Ausbildungsbündnis im Land
Schülern mangelt es an beruflicher Orientierung
Das Ausbildungsbündnis in Baden-Württemberg zeigt sich angesichts von 60 000 unbesetzten Stellen alarmiert. Die Partner sehen insbesondere die Schulen in der Pflicht, die Orientierungsangebote den Schülern besser zu vermitteln.
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© Ines Rudel
Bei den Praktikumswochen können Schüler zweimal im Jahr Betriebsluft (hier bei Heller in Nürtingen) schnuppern.
Von Matthias Schiermeyer
Knapp 60 000 Ausbildungsplätze warten noch auf interessierte Jugendliche. „Diese Zahl wird im weiteren Jahresverlauf deutlich steigen“, sagt Martina Musati, baden-württembergische Regionalchefin der Bundesagentur für Arbeit. Im vorigen Jahr sind mehr als 12 000 Ausbildungsstellen unbesetzt geblieben. Auf 100 Plätze kommen rein rechnerisch lediglich 70 Bewerberinnen und Bewerber.
Was jungen Menschen gute Aussichten verheißt, ist vor allem für die Unternehmen ein Riesenproblem. Im Ausbildungsbündnis des Landes haben die Partner ein großes Manko ausgemacht: „Wir schöpfen noch nicht alle Potenziale bei den Schulabgängern aus“, sagte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut nach dem 53. Spitzengespräch. Schlicht formuliert: Zu oft haben Schulabsolventen keinen Plan, ob und wo sie eine Ausbildungsstelle antreten wollen. „Wir müssen daran arbeiten, die berufliche Orientierung zu verbessern, um mehr junge Menschen direkt nach der weiterführenden Schule für eine Berufsausbildung zu gewinnen und die Gleichwertigkeit zwischen der akademischen und beruflichen Bildung noch stärker hervorheben“, sagt Musati.
Holpriger Übergang von der Schule in den Beruf
Die SPD-Opposition im Landtag kritisiert angesichts dieser Bilanz, dass es die Wirtschaftsministerin in den vergangenen Jahren nicht geschafft hätte, für bessere Voraussetzungen des Übergangs von der Schule in den Beruf zu sorgen. Das Bündnis verweist hingegen auf zahlreiche Maßnahmen, darunter die Initiative Ausbildungsbotschafter und Bildungspartnerschaften zwischen Schulen und Unternehmen.
Als Gewinn werden auch die regelmäßigen Praktikumswochen herausgestellt. Diese ermöglichen es Schülern, mehrere freiwillige Tagespraktika in Unternehmen zu absolvieren. So können sie passend zu ihren Stärken Berufsfelder herausfiltern – die Firmen können sich als attraktiver Arbeitgeber präsentieren. 2024 haben während der Wochen gut 7700 Praktika im Land stattgefunden. Auch in diesem Jahr soll es wieder zwei Aktionszeiträume um die Oster- und Herbstferien geben.
Gerade die Schulen sollen liefern: „Berufswahlentscheidungen können besser getroffen werden, wenn die Orientierungsangebote in den Schulen gut genutzt werden und an Praktika teilgenommen wird“, sagt Musati. Sandra Boser, Staatssekretärin im Kultusministerium, sieht eher keine Versäumnisse – sie verweist auf das schulartübergreifende Konzept zur beruflichen Orientierung und die neue Berufswahl-App.
DGB fordert mehr Jugendberufsagenturen
Doch es gibt eine Kehrseite: Musati zufolge ist die Zahl der unversorgten Bewerber bis zum Jahresende auf 2080 deutlich gewachsen. Und Kai Burmeister, Landesvorsitzender des Gewerkschaftsbundes, ergänzt, dass aktuell fast 25 000 junge Menschen arbeitslos seien – 14,3 Prozent mehr als im Vorjahr. 18 Prozent der 25- bis 34-Jährigen, vor allem junge Männer, seien ohne Berufsabschluss. Weil kein Jugendlicher verloren gehen dürfe, „braucht es mehr Jugendberufsagenturen“, fordert er. Als beispielhaft sieht er die Agentur Jubag25 in Freiburg – dieses Modell müsse auf mehr Städte und den ländlichen Raum ausgeweitet werden.
Jugendberufsagenturen sollten vor Ort Anlaufstellen für alle Fragen zum Übergang Schule-Beruf sein – die Kooperation von Schulen, Arbeitsagenturen, Jobcentern, Jugendämtern, Wohlfahrtsverbänden und Kammern würde verstärkt. Bisher gibt es zwei Typen der Agenturen: In Freiburg, Heilbronn und Baden-Baden sowie zwei Landkreisen arbeiten die Sozialpartner unter einem Dach zusammen. In den Landkreisen Esslingen, Rastatt oder im Zollernalbkreis agieren die Partner dezentral.