Schulbeginn: Qualität des Unterrichts wird geprüft
Zu Beginn des neuen Schuljahres ist der Lehrermangel im Rems-Murr-Kreis weiterhin ein großes Problem. Trotzdem will das Staatliche Schulamt die Arbeit in den Klassenzimmern genauer unter die Lupe nehmen. Auch Zielvereinbarungen mit den Schulen sind geplant.
Von Kornelius Fritz
Rems-Murr. Sechseinhalb Wochen Sommerferien sind zu Ende: Am Montag geht die Schule wieder los. Die Coronapandemie ist zu Beginn des neuen Schuljahres kein Thema mehr, doch andere Probleme sind geblieben, allen voran der akute Lehrermangel. Bei einem Pressegespräch in Weissach im Tal gab das Staatliche Schulamt Backnang gestern einen Überblick über die aktuelle Situation im Rems-Murr-Kreis.
Schülerzahlen Auf diesen Moment warten viele von ihnen schon mit Spannung: Insgesamt 4088 Abc-Schützen werden kommende Woche im Rems-Murr-Kreis eingeschult, das sind 389 mehr als vor einem Jahr. Insgesamt melden die 84 Grundschulen im Kreis sogar 670 Schüler mehr als 2022, auch die Zahl der Klassen erhöht sich um 24. Neben gestiegenen Geburtenzahlen spielt dabei auch die Zuwanderung eine Rolle. An den weiterführenden Schulen sind die Zahlen hingegen weitgehend konstant. Erfreulich ist aus Sicht von Schulamtsleiterin Sabine Hagenmüller-Gehring, dass die Gemeinschaftsschulen im Rems-Murr-Kreis sehr beliebt sind. Knapp ein Viertel der Viertklässler wechselt auf diese Schulart, landesweit sind es weniger als 15 Prozent.
Kreisweit fehlen etwa 150 Lehrkräfte
Lehrerversorgung „Alle Schulen sind arbeitsfähig“, sagt Sabine Hagenmüller-Gehring. Doch das heißt nicht, dass auch alle Lehrerstellen besetzt sind. Nach Angaben von Schulrat Markus Keller fehlen zum Schuljahresbeginn kreisweit etwa 150 Lehrkräfte. Dabei mangelt es nicht am Geld, sondern an Bewerbungen, vor allem im ländlichen Raum. Um wenigstens den Pflichtunterricht anbieten zu können, wurden rund 2000 Lehrerwochenstunden mit Aushilfen besetzt. Das sind zum Beispiel pensionierte Lehrkräfte oder Personen ohne vollwertiges Lehramtsstudium. Trotzdem konnten nicht alle Schulen voll versorgt werden und an eine Reserve für Krankheitsfälle oder Schwangerschaften ist schon gar nicht zu denken. „Insgesamt ist die Personalsituation genauso angespannt wie im vergangenen Schuljahr“, fasst Sabine Hagenmüller-Gehring die Lage zusammen. Die Schulleitungen werden also weiter improvisieren müssen: „Jeder, der ausfällt, muss durch die aufgefangen werden, die da sind.“
Schulleitungen Es gibt aber auch gute Nachrichten: So ist es gelungen, 19 Stellen von Schulleitern und Konrektoren wieder zu besetzen. „Andere Schulämter beneiden uns darum“, sagt der stellvertretende Schulamtsleiter Roland Jeck. Er führt diesen Erfolg auch auf die intensiven Bemühungen um den Führungsnachwuchs zurück. Unter anderem bietet das Schulamt Informationsveranstaltungen und Coachings für ambitionierte Nachwuchskräfte an. Keinen Erfolg hatte die Suche bisher nur an der Grundschule in Kirchberg an der Murr, die weiterhin kommissarisch von einem Lehrerteam geleitet wird. Jeck hofft, dass sich auch dort bald eine dauerhafte Lösung findet.
Mehr Unterstützung beim Übergang zum Beruf
Grundschulen Um die Lesekompetenz der Kinder zu verbessern, sind ab dem kommenden Schuljahr an allen Grundschulen mindestens zwei 20-minütige Übungsphasen pro Woche Pflicht, und das von der ersten bis zur vierten Klasse. Außerdem müssen alle Schulen ein wissenschaftsbasiertes Leseförderkonzept haben, das dabei hilft, den Lernstand der Schülerinnen und Schüler regelmäßig zu überprüfen. Die meisten Schulen im Rems-Murr-Kreis nutzen dabei das Angebot der bundesweiten Initiative Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS).
Sekundarstufe „Bundesweit gibt es 630000 junge Menschen unter 25 Jahren, die weder in einer Ausbildung noch berufstätig sind“, weiß Sabine Hagenmüller-Gehring. Eine alarmierende Zahl, die für die Schulamtsleiterin auch ein Auftrag an die Schulen ist: „Wir müssen die Schüler dazu bringen, dass sie dran bleiben“, fordert sie. Die Schulen müssten die Jugendlichen beim Übergang ins Berufsleben oder auf eine weiterführende Schule noch stärker unterstützen. Der für die Sekundarstufe zuständige Schulrat Helmut Bauer hat dabei auch die Eltern im Blick. Sie will er künftig noch mehr in die Berufsorientierung ihrer Kinder einbeziehen.
Vorbereitungsklassen Der anhaltende Zustrom von Geflüchteten stellt auch die Schulen vor Herausforderungen. Kinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse werden wenn möglich zunächst in speziellen Vorbereitungsklassen unterrichtet. 70 Stück gab es davon im vergangenen Schuljahr, jetzt sind es bereits 79. Ob das reichen wird, ist unklar: „Wir wissen ja nicht, wie viele Geflüchtete noch kommen“, sagt Sabine Hagenmüller-Gehring. Ein weiterer Ausbau werde allerdings immer schwieriger, denn neben Lehrkräften fehlen dafür an vielen Schulen mittlerweile auch die Räume.
Lehrermangel besonders an Sonderschulen
Sonderpädagogik und Inklusion Am gravierendsten ist der Lehrermangel derzeit an den Sonderschulen. Kreisweit sind in diesem Bereich nur etwa 90 Prozent der Stellen besetzt, viele davon nicht mit ausgebildeten Sonderpädagogen. Verschärfend kommt hinzu, dass gleichzeitig die Schülerzahlen weiter steigen. Deshalb sei man gezwungen, Abstriche bei der Förderung zu machen, erklärt Claudia Dippon, die den Fachbereich Sonderpädagogik im Schulamt leitet. Das gilt auch für inklusive Angebote: Eigentlich sollten behinderte Kinder, die eine Regelschule besuchen, zusätzliche Förderung durch Sonderpädagogen erhalten. Dies ist laut Dippon wegen des Lehrermangels aber nicht im vollen Umfang möglich.
Unterrichtsqualität Fast jeder fünfte Viertklässler in Baden-Württemberg kann nicht richtig lesen, auch in Mathematik erreichen viele nicht einmal den Mindeststandard. Das schlechte Abschneiden in mehreren Bildungsstudien hat die Politik wachgerüttelt. Deshalb steht die Qualität der Lehre an den Schulen nun stärker im Fokus. Künftig wird das Staatliche Schulamt mit allen Schulen sogenannte Ziel- und Leistungsvereinbarungen abschließen. Dafür werden zunächst an allen Schulen Daten erhoben, die Auskunft über den Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler geben. In einem sogenannten Statusgespräch werden die Ergebnisse dann mit den Schulleitungen analysiert und Verbesserungspotenzial besprochen. Dieser Prozess gehe über mehrere Jahre, erklärt Schulrat Manuel Ade-Thurow; der Rems-Murr-Kreis startet dieses Jahr mit 18 Schulen.
Vereidigung Bei einer Feierstunde in der Seeguthalle in Weissach im Tal sind gestern 106 neue Lehrerinnen und Lehrer vereidigt worden. Diese werden in der kommenden Woche ihren Dienst an den Schulen im Rems-Murr-Kreis antreten.
Begrüßung Landrat Richard Sigel hieß die Junglehrer herzlich willkommen. „Während wir weiter mit einem Lehrermangel kämpfen, leisten Sie mit Ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag dafür, die Bildungslandschaft in unserem Landkreis aufrechtzuerhalten“, sagte der Landrat.