Geschlechtsidentität
Selbstbestimmungsgesetz: Antrag, Namensänderung, Kosten
Am 1. November 2024 tritt in Deutschland das neue Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Es wird trans-, inter- und nicht-binären Menschen die Möglichkeit geben, ihren Geschlechtseintrag ohne langwierige Prozesse zu ändern – ein Meilenstein für die geschlechtliche Selbstbestimmung.
Von Katrin Jokic
Die Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes markiert eine historische Wende für den Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt in Deutschland. Über Jahrzehnte hinweg wurden trans- und intergeschlechtliche Menschen mit starren rechtlichen Anforderungen und entwürdigenden Prozessen konfrontiert, um ihre Identität rechtlich anerkennen zu lassen. Nun soll eine einfache Erklärung beim Standesamt genügen, um den Geschlechtseintrag zu ändern.
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) betont: „Vielfältige geschlechtliche Identitäten gab es schon immer. […] In vielen Gesellschaften - auch in Deutschland - wurde geschlechtliche Vielfalt jedoch über Jahrhunderte ignoriert beziehungsweise als krankhaft angesehen und unterdrückt.“ Die Tatsache, dass sich transgeschlechtliche Personen vermehrt outen, bedeute laut Ministerium nicht, dass es eine 'Modeerscheinung' sei. Stattdessen sei dies ein Begriff derjenigen, die liberale Entwicklungen einer Gesellschaft nicht gutheißen. Dasselbe Argument habe sich demnach bereits zur vermeintlichen Trendhaftigkeit von Scheidung oder zu lesbischer, schwuler und bisexueller Identität finden lassen.
In diesem Artikel finden Sie folgende Informationen zum neuen SBGG:
- Das ist das Gesetz
- Früher: Das alte Transsexuellengesetz
- Namensänderung
- Benötigte Unterlagen
- Kosten
- Offenbarungsverbot & Bußgeld
- Kritik
- Weitere Infos
Das ist das neue Selbstbestimmungsgesetz
Das Selbstbestimmungsgesetz tritt am 1. November 2024 in Kraft, nachdem bereits seit dem 1. August Anmeldungen beim Standesamt möglich sind. Es bietet insbesondere trans-, inter- und nicht-binären Menschen in Deutschland eine Erleichterung: Die Änderung des Geschlechtseintrags und des Vornamens kann nun direkt durch eine Erklärung beim Standesamt erfolgen, ohne die bisher notwendigen psychologischen Gutachten oder gerichtlichen Verfahren. Mit diesem Gesetz will die Bundesregierung das Grundrecht auf geschlechtliche Selbstbestimmung stärken und somit die Würde und Anerkennung betroffener Menschen sichern.
Im Rahmen des Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG) hat jede Person bei der Änderung ihres Geschlechtseintrags die Möglichkeit, zwischen den Optionen „männlich“, „weiblich“ und „divers“ zu wählen. Alternativ kann der Geschlechtseintrag auch komplett gestrichen werden, wenn keine dieser Zuordnungen gewünscht ist.
Das Gesetz legt jedoch keine Regelungen zu medizinischen Maßnahmen wie geschlechtsangleichenden Operationen fest; es bezieht sich ausschließlich auf die Änderung des rechtlichen Geschlechts und Vornamens.
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Die Vereinfachung dieses Verfahrens kommt einer großen Anzahl von Menschen entgegen: Im Jahr 2021 gab es rund 3.200 gerichtliche Verfahren zur Geschlechtsänderung nach dem TSG. Die Bundesregierung rechnet mit dem neuen SBGG mit ca. 4.000 Anträgen pro Jahr. Medien berichteten zunächst, der Bedarf könnte deutlich höher sein. Demnach hatten sich seit August 2024 bereits mehrere tausend Menschen zur Änderung angemeldet, darunter 155 Anmeldungen in Stuttgart, wie das Standesamt auf Anfrage erklärte. Nach Angaben der Stuttgarter Standesämter wurde jedoch gleich zu Beginn dieser neuen Option, in den ersten Augusttagen, eine große Zahl von Anmeldungen verzeichnet, danach flachte die Kurve ab. Das deutet darauf hin, dass viele Betroffene bewusst auf das neue Gesetz gewartet haben und der Andrang daher lediglich in den ersten Tagen sehr hoch erschien. Wie viele Menschen letztlich das neue Selbstbestimmungsgesetz nutzen, um ihren Geschlechtseintrag und ihren Namen ändern zu lassen, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Deutschland reiht sich mit diesem Gesetz in eine Liste von mehr als 16 Ländern ein, die ähnliche Regelungen zur geschlechtlichen Selbstbestimmung eingeführt haben. Dazu zählen u.a. Argentinien, Chile, Malta, Finnland, Irland, Portugal, Island und Norwegen, aber auch Bundesstaaten wie Kalifornien in den USA und die meisten mexikanischen Bundesstaaten.
Transsexuellengesetz: So war die Lage früher
Vor der Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes galt in Deutschland das Transsexuellengesetz (TSG) aus dem Jahr 1980, das stark in die Rechte und die Würde von transgeschlechtlichen Menschen eingriff. Das Bundesverfassungsgericht hat das TSG in mehreren Entscheidungen in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt.
Die veralteten Regelungen erforderten eine gerichtliche Entscheidung für die Änderung des Geschlechtseintrags. Dazu mussten zwei unabhängige Sachverständige, meist aus der Psychologie oder Medizin, Gutachten erstellen, die bestätigten, dass eine „transsexuelle Prägung“ vorlag. Dieser Prozess war nicht nur zeitaufwendig und teuer, sondern auch belastend und entwürdigend für die Betroffenen.
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Selbstbestimmungsgesetz: Antrag & Anmeldung
Um den Geschlechtseintrag und die Vornamen offiziell zu ändern, können trans-, inter- und nicht-binäre Menschen in Deutschland eine „Erklärung mit Eigenversicherung“ persönlich beim Standesamt abgeben. Dabei handelt es sich um eine formlose Erklärung, die besagt, dass die Änderung dem empfundenen Geschlecht entspricht.
Für diesen Prozess sieht das Selbstbestimmungsgesetz eine dreimonatige Vorlaufzeit vor, in der die Änderung beim Standesamt angemeldet werden muss. Die Anmeldung und die Abgabe der Erklärung müssen beim selben Standesamt erfolgen. Möglich ist das bei jedem Standesamt in Deutschland, es muss sich dabei nicht um das Geburtsstandesamt handeln.
Die Anmeldung kann schriftlich oder mündlich erfolgen und in einigen Städten auch online. Wurde die Anmeldung eingereicht, hat die antragstellende Person sechs Monate Zeit, um die endgültige Erklärung abzugeben. Wird dies versäumt, verfällt die Anmeldung. Dabei müssen keine konkreten Angaben zu Vornamen oder Geschlechtseintrag gemacht werden. Die dreimonatige Vorlaufzeit dient dazu, der Person Bedenkzeit zu geben. Angaben, die bei der Anmeldung gemacht wurden, können bei der endgültigen Erklärung dann auch noch einmal geändert werden.
Selbstbestimmungsgesetz: Das ist bei der Namensänderung zu beachten
Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) sieht vor, dass die Änderung des Vornamens normalerweise im Zusammenhang mit der Änderung des Geschlechtseintrags erfolgt. Eine isolierte Änderung des Vornamens, ohne eine gleichzeitige Änderung des Geschlechtseintrags, ist im Rahmen des SBGG nicht vorgesehen. Allerdings bleibt eine separate Namensänderung gemäß dem Namensänderungsgesetz in bestimmten Ausnahmefällen möglich.
Bei einer Änderung des Geschlechtseintrags muss die Person (neue) Vornamen angeben, die dem gewählten Geschlechtseintrag entsprechen. Wird beispielsweise der Eintrag „männlich“ gewählt, sollte der Vorname traditionell männlich gelesen werden oder unisex sein (z.B. Kai, Kim, Flo). Ähnlich verhält es sich bei der Wahl des Eintrags „weiblich“, bei dem weibliche oder unisex Vornamen gewählt werden sollten. Wird der Geschlechtseintrag jedoch auf „divers“ oder offen gesetzt, können die Vornamen vermutlich frei gewählt und kombiniert werden, da das Gesetz diesbezüglich keine einschränkende Regelung trifft.
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SBGG: Diese Unterlagen benötigt das Standesamt
Für die Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrags und/oder der Vornamen im Rahmen des Selbstbestimmungsgesetzes müssen laut Standesamt Stuttgart folgende Dokumente vorgelegt werden:
- Gültiger Personalausweis, Reisepass oder Reiseausweis zur Identifizierung.
- Ausländische Staatsangehörige benötigen einen gültigen Aufenthaltstitel.
- Falls der Wohnsitz außerhalb der Stadt des Standesamtes liegt und kein deutscher Geburts- oder Eheregistereintrag vorhanden ist, ist eine erweiterte Meldebescheinigung erforderlich.
- Eine aktuell ausgestellte, beglaubigte Abschrift aus dem Geburtenregister oder alternativ eine Geburtsurkunde, ggf. mit Bescheinigung über frühere Erklärungen zur Änderung des Geschlechtseintrags und/oder der Vornamen.
- Falls kein deutscher Geburtsregistereintrag vorliegt: eine beglaubigte Abschrift aus dem Ehe- oder Lebenspartnerschaftsregister, alternativ eine Ehe- oder Lebenspartnerschaftsurkunde und Bescheinigung über ggf. vorherige Erklärungen zur Änderung.
- Aktuelle Geburtsurkunde von Kindern, falls erforderlich.
Das Standesamt wird im Einzelfall kommunizieren, ob zusätzliche Unterlagen erforderlich sind oder spezifische Fragen geklärt werden müssen.
Selbstbestimmungsgesetz: Diese Kosten entstehen
Für die Beantragung und Ausstellung von Bescheinigungen im Rahmen des Selbstbestimmungsgesetzes fallen laut Standesamt Stuttgart folgende Kosten an:
- Bescheinigung für die namensrechtliche Erklärung, falls diese von einem anderen deutschen Standesamt beurkundet wurde: 20 Euro
- Namensrechtliche Erklärung: 40 Euro
Bitte beachten Sie, dass die Gebühren in anderen Standesämtern abweichen können. In Berlin kostet die Beurkundung der Erklärung beispielsweise 15 Euro, während sie in Hamburg 35,50 Euro kostet. Informieren Sie sich bei Ihrem zuständigen Standesamt über die Gebühren.
Hinzu kommen ggf. Kosten, um Dokumente wie Personalausweis (37 Euro) oder Reisepass (70 Euro) ändern zu lassen.
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Selbstbestimmungsgesetz: Offenbarungsverbot & Bußgeld
Das Offenbarungsverbot im Kontext des Selbstbestimmungsgesetzes bedeutet, dass Informationen über den früheren Geschlechtseintrag oder früher verwendete Vornamen einer Person nicht ohne deren ausdrückliche Zustimmung weitergegeben werden dürfen. Dieses Verbot dient dem Schutz vor „Zwangs-Outings“, also der ungewollten Offenlegung, und soll betroffene Personen vor Diskriminierung und Stigmatisierung bewahren. Verstöße gegen das Offenbarungsverbot können mit einem Bußgeld von bis zu 10.000 Euro geahndet werden, besonders wenn die Offenlegung absichtlich erfolgte, um der Person zu schaden.
Kritik am Selbstbestimmungsgesetz
Das Selbstbestimmungsgesetz soll die entwürdigenden Prozesse und langwierigen Begutachtungen des alten Transsexuellengesetzes (TSG) ablösen, um die persönliche Freiheit zu stärken und betroffenen Personen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Durch den einfachen Standesamt-Antrag entfallen medizinische Gutachten und gerichtliche Verfahren – ein bedeutender Schritt in Richtung mehr Würde und Gleichstellung. Gleichzeitig entstehen jedoch neue Herausforderungen. Damit zeigt sich ein Dilemma: Das Gesetz verfolgt das Ziel, Diskriminierung zu beseitigen, muss jedoch auch Lösungen für komplexe, neue Fragen finden. Die zentralen Kritikpunkt am Selbstbestimmungsgesetz sind:
Auch von Befürwortern des Gesetzes gibt es Kritik. So die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, Dr. Beate von Miquel: "Wir bleiben [...] bei unserer Kritik, dass transfeindliche Narrative im Gesetzestext reproduziert werden, die besonders trans* Frauen unter Generalverdacht eines gewaltvollen Verhaltens stellen. Dabei sind diese Personengruppen in öffentlichen Räumen häufig selbst Gewalt ausgesetzt."
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Selbstbestimmungsantrag: Weitere wichtige Infos
Dokumente nach Änderung des Geschlechtseintrags: Nach einer Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen müssen betroffene Personen selbstständig neue Dokumente wie Personalausweis, Reisepass, Führerschein und Versicherungspapiere beantragen. Dies gilt auch für weitere offizielle Dokumente, bei denen die Anpassung des Geschlechtseintrags sinnvoll oder notwendig ist. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, ältere Zeugnisse oder Zertifikate entsprechend zu ändern, falls dies gewünscht wird.
- Personen ohne deutschen Personenstandseintrag: Falls kein deutscher Personenstandseintrag vorliegt, können ausländische Staatsangehörige gegenüber dem Standesamt erklären, welcher Geschlechtseintrag für sie gilt oder ob sie auf eine Geschlechtsangabe verzichten möchten. Das Standesamt I in Berlin führt ein Verzeichnis solcher Erklärungen und stellt auf Wunsch eine Bescheinigung aus. Diese Bescheinigung dient als zusätzlicher Nachweis der Geschlechtsidentität im deutschen Rechtsbereich und kann bis zur Ausstellung neuer Dokumente hilfreich sein.
- Sperrfrist für eine erneute Änderung: Nach einer erfolgten Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen gilt eine Sperrfrist von einem Jahr für eine erneute Änderung. Diese Frist soll sicherstellen, dass die Entscheidung gut überlegt ist und die Ernsthaftigkeit der gewünschten Änderung verdeutlichen. Bei einer erneuten Änderung gelten dieselben Bedingungen wie bei der ersten. Für Minderjährige entfällt diese Sperrfrist, da ihre Situation unter besonderen Voraussetzungen behandelt wird.
- Minderjährige: Minderjährige ab 14 Jahren können die Erklärung zur Änderung selbst abgeben, benötigen dafür jedoch die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter. Für Kinder unter 14 Jahren erfolgt die Erklärung ausschließlich durch die gesetzlichen Vertreter, jedoch im Einvernehmen mit dem Kind, sofern es mindestens fünf Jahre alt ist. Die Kinder müssen bei Abgabe der Erklärung persönlich anwesend sein und können sich freiwillig in Beratungsstellen beraten lassen – eine Beratungspflicht besteht jedoch nicht. Dies ermöglicht auch jungen Menschen Zugang zu ihren geschlechtlichen Selbstbestimmungsrechten, wobei die Belange des Kindeswohls beachtet werden.