Selbstbewusst wie Pippi Langstrumpf
Bundestagswahl 2021: In ihrer Partei hat Ricarda Lang schon in jungen Jahren Karriere gemacht, nun bewirbt sich die stellvertretende Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen um ein Bundestagsmandat im Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd.
Von Kornelius Fritz
Backnang. Als Kind hatte Ricarda Lang ein Lieblingsbuch: Pippi Langstrumpf. „Das musste mir meine Mutter immer wieder vorlesen“, erinnert sich die 27-Jährige. Nun hat die Geschichte von dem rothaarigen Mädchen aus der Villa Kunterbunt nicht viel mit Politik zu tun, und doch ist Astrid Lindgrens Heldin bis heute so etwas wie ein Vorbild für sie. Pippi ist stark, sie ist selbstbewusst und sie lässt sich von niemandem vorschreiben, wie sie leben soll – genau so sollten Frauen sein, findet Ricarda Lang.
Dass das nicht immer leicht ist, weiß die Grünen-Politikerin aus eigener Erfahrung: Nach öffentlichen Auftritten, wie im Juni in der Fernsehsendung „Hart aber fair“, wird sie im Netz regelmäßig wüst beleidigt – oft mit Bezug zu ihrem Aussehen. Auch Mord- und Vergewaltigungsdrohungen hat sie schon bekommen. Ricarda Lang will das nicht einfach hinnehmen und zeigt die Hater konsequent an. Aber noch weniger will sie sich von den Hasskommentaren einschüchtern lassen. „Für mich ist das eher ein Ansporn, noch leidenschaftlicher für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der alle gleichberechtigt teilhaben können.“
Wir treffen Ricarda Lang in Backnang auf der Murrtreppe an der Bleichwiese. Den Ort hat sie sich ausgesucht, „weil hier mitten in der Stadt die Natur erlebbar ist.“ Während im Hintergrund der Fluss über das Wehr rauscht, erzählt die 27-Jährige von den vielen positiven Begegnungen, die sie in Backnang im Wahlkampf hatte. „Ich spüre eine große Aufgeschlossenheit“, sagt sie. Dass die Stadt und der gesamte Wahlkreis bislang eine Bastion der Konservativen waren, mag sie deshalb kaum glauben.
Ricarda Lang kennt Backnang noch nicht lange. Sie ist in Nürtingen aufgewachsen, lebt aber seit 2014 in Berlin, wo sie in ihrer Partei Karriere gemacht hat. Mit 20 war sie Bundessprecherin der Hochschulorganisation Campusgrün, mit 23 Vorsitzende der Grünen Jugend, seit zwei Jahren ist sie eine von zwei stellvertretenden Bundesvorsitzenden. In der Parteizentrale arbeitet sie eng mit dem Spitzenduo Annalena Baerbock und Robert Habeck zusammen. Was zieht sie da zurück ins Schwabenland und ausgerechnet in den Wahlkreis Backnang?
„In der Partei kann ich zwar Einfluss auf gesellschaftliche Stimmungen nehmen, aber nicht auf Entscheidungen“, sagt Ricarda Lang. Das sei ihr auf Dauer zu wenig gewesen: „Ich will nicht nur am Seitenrand stehen“. So reifte bei der jungen Frau, die noch nie in einem Gemeinderat oder Kreistag saß, der Entschluss, sich um ein Bundestagsmandat zu bewerben, und zwar in ihrer schwäbischen Heimat.
Der Schritt von den großen politischen Visionen zu den konkreten Problemen vor Ort falle ihr nicht schwer, sagt Lang. „Mir macht das total Spaß. Jetzt kann ich zeigen, dass ich das, was ich politisch will, auch aufs Konkrete herunterbrechen kann“. Dass sie gerade in diesem Wahlkreis antritt, hängt mit ihrer Verbindung nach Schwäbisch Gmünd zusammen: Ricarda Lang, die bei ihrer Mutter aufgewachsen ist, hat dort zwar nie selbst gelebt, aber ihr Vater, der Bildhauer Eckhart Dietz. Ihn hat sie früher oft besucht und kennt die Stadt im Remstal deshalb gut. Den Raum Backnang hat sie erst durch den Wahlkampf näher kennengelernt, doch sie verspricht, sich als Bundestagsabgeordnete auch künftig regelmäßig hier blicken zu lassen. Ab Oktober hat sie eine Zweitwohnung in Schwäbisch Gmünd, zusammen mit dem Landtagsabgeordneten Ralf Nentwich will sie auch ein Büro in Backnang eröffnen. „Ich will für die Menschen im Wahlkreis da sein.“
Dass Ricarda Lang am 26. September in den Bundestag einziehen wird, ist schon so gut wie sicher: Mit Platz zehn auf der Grünen-Landesliste hat sie das Berlin-Ticket praktisch in der Tasche. Trotzdem will die 27-Jährige um das Direktmandat kämpfen: „Ich würde gerne das Unmögliche möglich machen“, sagt sie. Dass die Grünen inzwischen auch traditionelle CDU-Wahlkreise erobern können, hat Ralf Nentwich bei der Landtagswahl im März bereits bewiesen.
Allerdings ist die große Euphorie bei der Grünen schon wieder verflogen. Seit Mai ist die Partei in den Umfragen von 26 auf 17 Prozent abgestürzt. Viele machen dafür Annalena Baerbock verantwortlich, Ricarda Lang steht nach wie vor zur Kanzlerkandidatin: „Sie ist die Richtige für diese Zeit“, sagt sie. Baerbock habe einen klaren Plan, um das Land klimaneutral und sozial gerecht zu gestalten. Das sei viel wichtiger als die Diskussionen um geschönte Lebensläufe oder abgeschriebene Buchpassagen. Aber Klimaschutz haben sich inzwischen fast alle Parteien auf die Fahnen geschrieben. Warum also die Grünen wählen? „Bei den anderen Parteien steht Klimaschutz zwar auf den Plakaten, aber nicht in den Programmen“, sagt Ricarda Lang. CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet etwa spreche zwar von Klimaneutralität, lehne aber alle konkreten Vorschläge, die nötig wären, um dieses Ziel zu erreichen, ab. „Klimaschutz braucht eine ehrliche Politik. Mit Wegducken werden wir unseren Planeten nicht retten“, kritisiert die Grünen-Kandidatin. Deshalb wünscht sich die 27-Jährige nach der Wahl auch eine Regierung ohne Beteiligung der Union. Für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei sieht sie weniger Hürden: Lediglich die außenpolitischen Differenzen müssten noch ausgeräumt werden.
Langs zweites großes Thema ist die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Im Gespräch merkt man es auch daran, dass sie immer von „Bürgerinnen“ und „Wählerinnen“ spricht. Aber die gendergerechte Sprache ist für die 27-Jährige nicht viel mehr als ein Symbol: „Wegen mir kann jeder so reden, wie er will.“ Viel wichtiger ist es in ihren Augen, die strukturelle Benachteiligung von Frauen im Alltag zu beenden. Dazu gehört für sie zum Beispiel die schlechtere Bezahlung von klassischen Frauenberufen im sozialen Bereich oder die nach wie vor unzureichenden Kinderbetreuungsangebote im ländlichen Raum. Sie sei erschrocken gewesen, wie gerade in der Coronazeit wieder die traditionellen Rollenbilder zum Vorschein gekommen sind: „In vielen Familien galt da das Motto: Die Mama macht das schon.“
Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal – so werden politische Karrieren wie die von Ricarda Lang bisweilen beschrieben, denn tatsächlich hat die 27-Jährige noch nie in einem „richtigen“ Beruf gearbeitet. Ein Manko? „Ein Parlament sollte Abbild der Gesellschaft sein“, entgegnet Ricarda Lang. Deshalb brauche man im Bundestag erfahrene Kräfte mit Berufserfahrung ebenso wie Junge, „die selbst noch vor Kurzem einen Bafög-Antrag ausgefüllt haben.“ Und das mit dem „richtigen Beruf“ werde bei ihr eines Tages bestimmt noch kommen, glaubt die Jungpolitikerin: „Ich habe nicht vor, das die nächsten 25 Jahre zu machen.“
Ausbildung Ricarda Lang ist in Filderstadt geboren und in Nürtingen aufgewachsen. Nach dem Abitur am dortigen Hölderlin-Gymnasium begann sie ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Heidelberg, 2014 wechselte sie nach Berlin. Seit 2019 ruht ihr Studium.
Politik Im Alter von 18 Jahren trat Ricarda Lang den Grünen bei, im Studium engagierte sie sich bei Campusgrün, dem Bundesverband grün-alternativer Hochschulgruppen und war zwei Jahre lang dessen Sprecherin. 2017 wurde sie zur Bundessprecherin der Grünen Jugend gewählt, seit 2019 ist sie stellvertretende Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen.
Privatleben Ricarda Lang ist ledig, lebt aber in einer festen Beziehung. In ihrer Freizeit liest sie Bücher zu politischen Themen, aber auch Fantasyromane. Außerdem reitet sie gerne, früher hatte sie ein eigenes Pferd.