Auswertung von Versicherern
Senioren am Steuer: Unfallzahl steigt deutlich
Senioren ab 75 Jahren sitzen zwar weniger am Steuer als jüngere Autofahrer, sind aber gemessen an ihrer Fahrleistung öfter in schwere Unfälle verwickelt – auch im Südwesten. Was sind die Gründe?

© Felix Kästle/dpa/Felix Kästle
Laut einer Auswertung sind Senioren häufiger in Unfälle verwickelt. (Symbolbild)
Von red/dpa
Immer mehr ältere Menschen am Steuer sind nach Auswertung der Versicherer in schwere Unfälle auf Straßen in Deutschland verwickelt. 2023 sind demnach 21.500 Autofahrer und -fahrerinnen im Alter von 75 Jahren und älter an Verkehrsunfällen mit Toten und Verletzten beteiligt gewesen. Das sei im Vergleich zu 2013 ein Anstieg um 26 Prozent, teilte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft mit. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Die Unfallforschung des Verbands sprach von einer Entwicklung gegen den allgemeinen Trend: Von 2013 bis 2023 sei die Zahl an schweren Unfällen beteiligter Autofahrer insgesamt um zwölf Prozent auf rund 303.800 zurückgegangen. Im vergangenen Jahr hatte es laut Statistischem Bundesamt mit 2.780 Verkehrstoten den drittniedrigsten Wert seit Beginn der Erfassung im Jahr 1953 gegeben. Autofahren ist seither immer sicherer geworden.
„Auf Deutschlands Straßen sind Ältere immer mehr unterwegs“
Statistisch gesehen sind ältere Menschen vergleichsweise selten in Verkehrsunfälle mit Personenschaden verwickelt. Zahlenmäßig sitzt die Gruppe der Berufstätigen viel häufiger am Steuer von Fahrzeugen. Aber: „Auf Deutschlands Straßen sind Ältere immer mehr unterwegs“, sagte die Leiterin der Unfallforschung, Kirstin Zeidler, laut Mitteilung des Verbands.
Das lässt sich zum Beispiel in der Zahl Älterer mit einer Fahrerlaubnis ablesen. „Gab es 2015 noch knapp 2,5 Millionen Führerschein-Besitzer in der Generation 75plus, waren es 2024 mit fast 5,9 Millionen mehr als doppelt so viele“, erläuterte Zeidler. Besonders gewachsen sei die Gruppe der Frauen in dem Zeitraum mit einem Führerschein - von 700.000 auf 1,9 Millionen.
Wer auf dem Land lebt, ist mitunter aufs eigene Auto angewiesen, weil der Bus zu selten fährt. Mobil zu sein, ist zudem selbstverständlicher geworden. Zugleich wird die deutsche Bevölkerung immer älter.
Risiko steigt
Entsprechend steigt auch das Risiko, dass ältere Menschen in Unfälle verwickelt sind. Laut Auswertung der Versicherer verursachten 2023 drei von vier Beteiligten ab 75 Jahren den Unfall selbst (77 Prozent). In 16.468 Fällen seien sie Hauptverursacher gewesen, ein Plus von 28 Prozent gegenüber 2013.
Das Statistische Bundesamt hatte zuletzt zu diesem Thema Daten für 2023 ausgewertet. Demnach wurde Fahrerinnen und -Fahrern von Autos im Seniorenalter zum Beispiel anteilig häufiger als den unter 65-Jährigen vorgeworfen worden, die Vorfahrt anderer Fahrzeuge missachtet zu haben.
Den Versicherern zufolge steigt ab 75 Jahren das Unfallrisiko deutlich, weil Aufmerksamkeit, Konzentration und Reaktionsgeschwindigkeit nach und nach nachließen. Das zeige sich in komplexen Situationen an Kreuzungen mit vielen Fußgängern, Autos und Radfahrern oder auf ungewohnten Strecken.
Immer wieder wird darüber diskutiert, ob Menschen ab einem bestimmten Alter sich untersuchen lassen sollten, ob sie noch fahrtüchtig sind. Zuletzt hatte sich das EU-Parlament gegen verpflichtende medizinische Gesundheitschecks ausgesprochen. Auch der Vorschlag, dass Führerscheine von Menschen über 70 alle fünf Jahre erneuert werden sollten, kommt vorerst nicht.
Untersuchung bleibt freiwillig
Es bleibt also weiter bei der Freiwilligkeit. So bieten zum Beispiel Fahrschulen Auffrischungskurse an. Geworben wird zudem für sogenannte Rückmeldefahrten, bei denen Senioren bei einer Fahrt von einem Fachmann begleitet werden, der dann Feedback zur Fahrweise gibt.
„Fahrende erhalten nach einer 45-minütigen Fahrt im eigenen Auto eine vertrauliche Rückmeldung von Experten und können ihr Fahren anpassen, etwa unbekannte Strecken oder Stoßzeiten meiden“, warb auch die Unfallforscherin Zeidler dafür. Entscheidend sei, dass das Ergebnis keine Folgen für den Führerschein habe. Das steigere die Akzeptanz.
Auch in Baden-Württemberg steigen Unfälle mit beteiligten Senioren
Auch in Baden-Württemberg verunglücken immer mehr ältere Autofahrer und Autofahrerinnen. Dies ging aus einer in Berlin veröffentlichten Auswertung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hervor.
Während die Zahl der an Unfällen mit Verletzten und Getöteten beteiligten Autofahrer insgesamt zwischen 2013 und 2023 um 20 Prozent auf rund 34.900 zurückging, stieg sie in der Gruppe der älteren Fahrenden ab 75 Jahren demnach um 14 Prozent auf rund 2.400. Drei von vier Beteiligten ab 75 Jahren hätten 2023 den Unfall selbst verursacht (76 Prozent). Sie waren in 1.839 Fällen Hauptverursacher (plus 15 Prozent gegenüber 2013).
Verkehrsminister setzt auf Eigenverantwortung
Für die Erhebung wurden Daten der Statistischen Landesämter des jeweiligen Bundeslandes ausgewertet. Die Leiterin der Unfallforschung der Versicherer im GDV, Kirstin Zeidler, sagte, auf den Straßen im Südwesten seien immer mehr Ältere unterwegs. Die von der Generation 75 Jahre und älter mit dem Auto zurückgelegte Strecke nahm der Auswertung zufolge zwischen 2008 und 2017 um knapp 81 Prozent zu. Es sei zu erwarten, dass sich dieser Trend fortsetzt.
Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sagte: „Fahrtüchtigkeit ist nicht allein eine Frage des Alters. Allgemeine Regeln oder gar ein pauschaler Führerscheinentzug sind daher wenig zielführend.“
Der Politiker setzt auf Eigenverantwortung. Wer sich unsicher fühle, sollte die Fahrtauglichkeit freiwillig von Ärzten oder Fahrlehrern prüfen lassen, auch ein paar Auffrischungsstunden in der Fahrschule könnten hilfreich sein. „Wichtig ist, dass Familienmitglieder, Freunde und Ärzte ältere Autofahrerinnen und Autofahrer beraten, wenn sie den Eindruck haben, dass es für diese Personen besser wäre, nicht mehr selbst zu fahren.“
Gegen verpflichtende Tests ab einem gewissen Alter
Ab 75 Jahren steigt nach Angaben der Versicherungswirtschaft das Unfallrisiko deutlich an, weil Aufmerksamkeit, Konzentration und Reaktionsgeschwindigkeit sukzessiv nachlassen. Das zeige sich in komplexen Situationen an Kreuzungen mit vielen Fußgängern, Autos und Radfahrern oder auch auf ungewohnten Strecken.
Rückmeldefahrten würden dabei helfen, möglichst lange sicher Auto zu fahren. „Fahrende erhalten nach einer 45-minütigen Fahrt im eigenen Auto eine vertrauliche Rückmeldung von Experten und können ihr Fahren anpassen, etwa unbekannte Strecken oder Stoßzeiten meiden“, sagte Zeidler.
Der ADAC Württemberg hält nach Angaben eines Sprechers eine gesetzliche Pflicht für ältere Menschen zu Fahreignungsprüfungen für nicht verhältnismäßig. Entscheidend für eine unfallfreie Teilnahme am Straßenverkehr sei nicht das Lebensalter, sondern neben dem Gesundheitszustand auch die Fahrerfahrung. „Ältere Fahrerinnen und Fahrer zeichnen sich in der Regel durch einen situationsangepassten Fahrstil sowie vorausschauendes Fahren aus und meiden riskante Manöver.“