Ältere sollen Führerschein für Gratis-Tickets abgeben
dpa/lsw Stuttgart. Weg vom Steuer und umsteigen in den Bus! Das Land will Senioren aus dem eigenen Auto locken. Damit soll nicht nur die Luft sauberer, sondern die Straßen sollen auch sicherer werden. Aber sind alte Menschen wirklich ein Verkehrsrisiko?
Autofahrer ab 65 können in vielen Regionen des Landes bald kostenlos Bus und Bahn fahren, wenn sie freiwillig ihren Führerschein für ein Jahr abgeben. Das Land bietet betagten Autofahrern und Autofahrerinnen für den Tausch ein kostenloses Jahresticket des öffentlichen Personennahverkehrs an. Das Ministerium für Verkehr habe mit vielen Verkehrsverbünden des Landes einen Kooperationsvertrag geschlossen, sagte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) am Montag.
Das Tauschangebot gilt ab 1. Dezember in 14 Verkehrsverbünden im Südwesten. Dafür geben Senioren ihre Fahrerlaubnis zwischen Dezember 2021 und August 2022 für ein Jahr ab - was über die Führerscheinstelle läuft. Sie müssen einen Erstwohnsitz im Gebiet des Verkehrsverbunds vorweisen. Die Antragsteller müssen 65 Jahre sein. Wer eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, ein Ruhegehalt aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis oder Bezüge aus einer berufsständischen Versicherung, kann schon ab 60 Jahren mitmachen.
Mit dem Angebot sollen ältere Menschen in Busse und Bahnen gelockt und der Verkehr sicherer gemacht werden. Über ein Drittel der im Straßenverkehr tödlich verunglückten Verkehrsteilnehmer seien 65 Jahre und älter, sagte Hermann. „Zwar fallen Senioren im Unfallgeschehen nicht besonders auf, aber wenn sie beteiligt sind, dann enden die Unfälle häufig tödlich.“ Sie trügen als Fahrer zudem in mehr als zwei von drei Fällen (2020: 68,7 Prozent) der Unfälle die Hauptschuld. Senioren seien zudem mobiler als früher. Und aufgrund des demografischen Wandels würden immer mehr Senioren am Verkehr teilnehmen. Der Anteil der Menschen ab 65 Jahren an der Bevölkerung sei in den vergangenen 20 Jahren von 16,4 auf 21,8 Prozent gestiegen.
Man wolle Senioren nicht pauschal verurteilen, aber ein Angebot schaffen, sagte Hermann. Mindestens 50 Prozent der Kosten tragen die teilnehmenden Verbünde. Das Land beteilige sich mit bis zu drei Millionen an den Kosten für die Tickets. Man hoffe, dass die, die sich beteiligten, dann auch dauerhaft den Nahverkehr stärker nutzten.
Bernd Ebert vom Landesseniorenrat betonte, dass das eigene Auto für die Senioren Eigenständigkeit, Freiheit und Flexibilität bedeute. Man könne die Fahrtüchtigkeit auch nicht am Alter festmachen, es gebe 80-Jährige, die noch topfit seien. Viele Fahrer sähen ihre Fähigkeiten aber selbstkritisch. Testfahrstunden und Fahrtrainings könnten die eigenen Grenzen aufzeigen.
Es dürfe nicht sein, dass ältere Menschen genötigt würden, den Führerschein zurückzugeben, sagte Ebert. Aber mit der Tauschaktion könne die Hemmschwelle für ältere Menschen in den Städten gesenkt werden, eine lange aufgeschobene Entscheidung zu treffen. Da das Programm nach einem Jahr ausläuft, forderte er ein 365-Euro-Ticket, wie es die Landesregierung für Jugendliche plant, auch für Senioren.
Die Forderung wies Minister Hermann zurück - allein das geplante Ticket für die Schüler koste im Jahr bis zu 100 Millionen Euro. „Deshalb sind wir da schon auch zögerlich, da weiterzumachen.“ Wichtiger als eine weitere Tarifabsenkung sei aber ein besseres ÖPNV-Angebot im öffentlichen Raum.
Ebert vom Landesseniorenrat verwies auch auf die problematische Anbindung im ländlichen Raum. Dort würden Senioren so lange fahren wie möglich, weil sie zum Arzt oder zum Einkaufen fahren müssten.
In acht Verbünden gibt es bereits seit längerem solche Angebote für Senioren. Im Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart hätten sich bereits 5300 Senioren beteiligt, berichtete VVS-Geschäftsführer Thomas Hachenberger am Montag. Zwei Drittel davon hätten den ÖPNV vorher nicht regelmäßig genutzt. Etwa die Hälfte habe sich auch nach dem Jahr das Seniorenticket gekauft. Der Kreis Ludwigsburg biete das Tauschgeschäft bereits seit 2015 an, der Kreis Esslingen und die Stadt Stuttgart seit 2020. Im Ostalbkreis etwa gibt es das Angebot seit 2016.
Durch die Unterstützung des Landes soll nun ein möglichst flächendeckendes Angebot in Baden-Württemberg erreicht werden - mit dem Vertrag sind es nun 14 Verbünde. Alle 21 Verkehrsverbünde seien eingeladen worden, den Kooperationsvertrag zu unterzeichnen, sagte Hermann.
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