Bahnexperte Matthias Gastel

Sieben Vorschläge für pünktlichere Züge

Unter den Bundestagsabgeordneten ist vermutlich niemand häufiger mit dem Zug unterwegs als Matthias Gastel. Der Verkehrsexperte der Grünen ärgert sich über häufige Verspätungen und sagt, wie es besser werden könnte. Nicht alle Vorschläge hält der DB-Konzern für sinnvoll.

Ein Mann fotografiert eine Anzeigentafel im Essener  Hauptbahnhof. Dort werden Störungen im Bahnbetrieb angezeigt.

© imago/Gottfried Czepluch

Ein Mann fotografiert eine Anzeigentafel im Essener Hauptbahnhof. Dort werden Störungen im Bahnbetrieb angezeigt.

Von Thomas Wüpper

Mit allen Experten ist sich Matthias Gastel einig, dass die Pünktlichkeit im deutschen Bahnverkehr erst wieder deutlich besser werden kann, wenn die Probleme beim über Jahrzehnte vernachlässigten Schienennetz gelöst sind. Die begonnene Generalsanierung wird aber mindestens bis 2030 dauern. Der Bundestagsabgeordnete (Grüne) hat sieben Vorschläge, wie die ICE-Flotte zumindest etwas pünktlich werden könnte.

1 ICE-Linien verkürzen

Aktuell, so kritisiert der Experte, „verlängert die DB die Länge ihrer Fernverkehrslinien immer weiter“. So würden Verspätungen durch ganz Deutschland geschleppt. Ursache seien auch Vorgaben bei der Trassenvergabe. Die Linien sollten verkürzt, Anpassungen beim Moderne-Schiene-Gesetz vorgenommen werden, solange sich die Pünktlichkeit auf dem Tiefpunkt befinde.

Die DB lehnt das ab: Die langen Laufwege zu unterbrechen sei „nicht sinnvoll“, sagt ein Sprecher. Viele Fahrgäste bevorzugten attraktive Direktverbindungen, die Verkürzung hätte längere Fahrzeiten, zusätzliche Umstiege und die abschnittsweise Einstellung von Angeboten zur Folge. Für kürzere Laufwege brauche man zudem mehr Personal und Fahrzeuge, beides ist ohnehin knapp. Wenn noch mehr Linien in großen Städten beginnen oder enden, werde überdies die Infrastruktur in den Bahnknoten noch mehr überlastet durch zusätzliche Bereitstellungsfahrten sowie Bahnsteigbelegungen.

2 Mehr Ersatzzüge und Sanktionen

Ein Problem sieht Gastel darin, dass Züge schon verspätet starten: „Bahnunternehmen insbesondere im Fernverkehr müssen dafür konsequenter sanktioniert werden.“ Vorbild sei die Schweiz. „Sollten Züge außerhalb der geplanten Fahrplanlage fahren, abgesehen von einigen wenigen Minuten Verspätung, wird der Zug ausfallen und mit einem Ersatzzug weitergeführt“, so sein Vorschlag. Dadurch werde der übrige Zugverkehr weniger beeinträchtigt.

Die DB hält das Problem für weniger bedeutsam. 2023 sei nur bei dreieinhalb Prozent der Fahrten die „verspätete Bereitstellung“ als Grund genannt worden, die Auswirkung auf die Gesamtpünktlichkeit im Fernverkehr sei gering. Die meisten Fernzüge würden in hoch ausgelasteten Knoten bereitgestellt, entsprechend wirke sich die knappe und störanfällige Infrastruktur auch dabei aus. An wichtigen Knotenbahnhöfen würden Ersatzzüge bereitgehalten, um kurzfristige Fahrzeugausfälle oder verspätete Bereitstellungen zu kompensieren.

3 Kein Vorrang für verspätete Züge

Wenn schon verspätet bereitgestellte Züge fahren dürfen, sollten sie keinen Vorrang erhalten, um die Verspätung aufzuholen, fordert Gastel: „Das erhöht zwar die Verspätung einzelner Züge, reduziert aber die Auswirkungen auf das Gesamtsystem.“ Dominoeffekte würden vermieden. Ein DB-Sprecher erklärt dazu, das würde „bereits jeweils im konkreten Einzelfall im Interesse der Pünktlichkeits-Stabilisierung so gehandhabt“.

4 Weniger Züge in großen Bahnhöfen

„Züge sollten nicht länger als unbedingt nötig in großen Bahnhöfe abgestellt werden, denn so gehen wertvolle Gleiskapazitäten verloren“, schlägt Gastel vor. Inwieweit wird das bei der DB umgesetzt? Abstellungen in großen Stationen gebe es „für gewöhnlich in minimalem Umfang – zur Schonung wertvoller Gleiskapazität“, erklärt der Konzern.

5 Längere Regionalzüge statt Zusatzverkehr

Besonders in den großen Bahnknoten rangeln Fern- und Regionalzüge um knappe Trassen. Die Taktung im Nahverkehr sollte daher erst weiter erhöht werden, wenn entsprechende Kapazität vorhanden ist, fordert Gastel. Bei fehlenden Kapazitäten sollten erst Alternativen wie längere Regionalzüge umgesetzt werden.

Hält die DB den Vorschlag für zielführend? Im Regionalverkehr seien Kapazität und Taktung der Fahrzeuge in den Verkehrsverträgen der Aufgabenträger festgelegt, weist der Konzern die Verantwortung von sich. DB Regio bewerbe sich auf Ausschreibungen für diese Verkehrsverträge und stehe „im intensiven Austausch mit den jeweiligen Aufgabenträgern, um Betriebskonzepte zu optimieren“.

6 Engpässe mehr umfahren

Hauptbahnhöfe in Metropolen wie Köln und Frankfurt sind stark überlastet, was zu vielen Verspätungen führt. Solche Engpässe sollten vorläufig mehr umfahren werden, bis die Infrastrukturmaßnahmen fertig gestellt sind, schlägt Gastel vor: „Es gibt jeweils andere Haltemöglichkeiten in den Städten wie Frankfurt Süd oder Köln Deutz.“ So würden Verspätungsquellen entlastet.

„Wo dies sinnvoll ist, setzt DB Fernverkehr dies bereits um“, erklärt der Konzern dazu. So seien zuletzt einzelne Zugverbindungen nicht mehr zum überlasteten Frankfurter Hauptbahnhof geführt worden, sondern hielten ersatzweise in Frankfurt Süd. Ähnliches werde teils in anderen Knoten wie Köln oder Hamburg praktiziert. Man wäge das im Interesse der Fahrgäste aber sorgfältig ab, da der Halt abseits der Hauptbahnhöfe Nachteile bringe wie zusätzliche Umstiege und längere Reisezeiten.

7 Infrastruktur rasch robuster machen

Auch die Bürokratie hat lange die zügige Beseitigung kleinerer Engpässe im Schienennetz verhindert. Mit der Novellierung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes könnten kleinere und mittlere Maßnahmen nun rascher realisiert werden, so Gastel. Die Verwaltungsvorschriften müsse das Verkehrsministerium festlegen. Die DB teilt dazu mit, man sei „bereits mitten in der Umsetzung“. Bis 2030 sollen bundesweit 355 kleine und mittlere Maßnahmen durchgeführt werden, die kurzfristig Pünktlichkeit und Stabilität erhöhen, darunter 36 Überholgleise, 140 Überleitstellen und 41 Maßnahmen zur Verkürzung von Blockabständen.

Erlebnisse im Fernverkehr

TagebuchUnter den mehr als 700 Abgeordneten im Deutschen Bundestag ist vermutlich niemand häufiger mit dem Zug unterwegs als Matthias Gastel. Der Verkehrsexperte der Grünen aus Filderstadt führt seit mehr als zehn Jahren online ein öffentliches Bahn-Tagebuch zu seinen Erlebnissen im Fernverkehr der bundeseigenen Deutschen Bahn AG, den er nicht nur zwischen Berlin und seinem Wahlkreis Nürtingen nutzt.

ThemenHäufiges Thema seiner Einträge: Betriebsprobleme und Unzuverlässigkeit der ICE-Flotte. Im ersten Halbjahr fuhren nur noch 62,7 Prozent der Züge mit weniger als sechs Minuten Verspätung, im Juni war fast jede zweite Fahrt teils massiv verspätet.

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Erstellt:
8. September 2024, 15:10 Uhr

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