Chaos bei Balkonkraftwerk
Sind aktuell 600 oder 800 Watt erlaubt?
Dieser Frühsommer hat etliche Erleichterungen für Balkonkraftwerke gebracht. Doch nicht alle gelten ab sofort. Besondere Verwirrung herrscht bei der Frage, wie viel Leistung zurzeit erlaubt ist.
Von Judith A. Sägesser
Balkonkraftwerke finden reißenden Absatz. Die Frage, die sich Verbraucher beim Kauf mit Sicherheit stellen: Wie viel Leistung dürfen sie damit zurzeit erzeugen? 600 oder 800 Wattpeak in der Spitze?
Im Mai ist das Solarpaket I in Kraft getreten. Per Gesetz wird unter anderem der Betrieb von Balkonkraftwerken vereinfacht. Unter anderem durch eine schlankere Anmeldung, durch Übergangsregelungen für Zähler ohne Rücklaufsperre, aber auch durch eine Verschiebung der Leistungsgrenze des Wechselrichters von 600 auf 800 Wattpeak. Allerdings steht im Solarpaket auch, dass die für den Netzanschluss maßgeblichen Regelungen weiterhin gelten. Und die sagen: Das vereinfachte Verfahren (ohne Elektrofachkraft) greift nur für Balkonkraftwerke bis 600 Wattpeak.
Offenbar Missverständnis um Produktnorm
Die Bundesnetzagentur teilt dazu mit: „Jede Solaranlage muss die technischen Anforderungen des VDE erfüllen.“ An der Produktnorm für Balkonkraftwerke werde derzeit noch gearbeitet. „Bis zur Veröffentlichung der neuen Produktnorm gelten die bisherigen Anforderungen für diesen Anlagentyp einschließlich der Grenze für die Wechselrichterleistung.“
So klingt auch die Einschätzung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, aus dem das Solarpaket stammt: „Steckersolargeräte wurden im Solarpaket mit 800 Watt Wechselrichterleistung definiert“, so der Sprecher Robert Säverin. „Diese Definition kann allerdings nicht die erforderlichen Änderungen in der technischen Normung vorwegnehmen. Die Sicherheitsanforderungen an Balkonkraftwerke bis 800 Watt werden durch die Produktnorm definiert, die gegenwärtig erarbeitet wird.“
„Die Anhebung der Wechselrichterleistung hat nichts mit der Produktnorm zu tun“, erklärt derweil Vanessa Rothe, Sprecherin des Verbands der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE). Es gehe stattdessen um eine Anschlussregel. Der VDE-FNN, in dem die Netzbetreiber im VDE zusammengeschlossen sind, erarbeite gerade eine Änderung, sagt Rothe. Wenn diese im Jahr 2025, wie geplant, veröffentlicht werde, sei das der Startschuss für die 800 Wattpeak.
Gesetz gebe die 800 Watt her
Bis zum 18. Juli war auf der VDE-Homepage übrigens noch diese Meldung aus dem Mai zu lesen: „Steckerfertige PV-Anlagen bieten vielen Menschen die Chance, an der Energiewende teilzunehmen. Diese Anlagen können seit 16. Mai 2024 mit einer maximalen Wechselrichter-Scheinleistung von 800 VA ins Stromnetz einspeisen.“ Der zweite Satz sei nach der Nachfrage unserer Redaktion „runtergenommen“ worden, sagt Rothe.
Aber was gilt denn nun? „Das ist eine ganz schwierige Gemengelage, da blickt keiner mehr durch“, fasst Matthias Bauer von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg zusammen. Nachdem der Jurist alle Fakten gesichtet hat, kommt er zu dem Schluss: „Das Gesetz gibt die 800 Watt her. Der Verbraucher macht nichts falsch.“ Auf der noch sichereren Seite sei man aber, wenn man warte.
Auf einer ähnlichen Linie wie Matthias Bauer ist Sebastian Müller vom Balkonsolar-Verein in Freiburg. „Wir stellen uns auf den Standpunkt: Die Leute dürfen ein Steckersolargerät mit 2000-Wattpeak-Panels und maximal 800 Watt betreiben“, sagt er. Die 2000 Watt gelten für die Modulleistung, die 800 Watt für den Wechselrichter.
Tipp des Verbraucherschützers für den Kauf
Dirk Legler, der Jurist, der auch Musterklagen zu Balkonkraftwerken für die Deutsche Umwelthilfe begleitet, findet eine Formulierung, die zeigt, wie verzwickt die Sache ist: „Fakt ist, dass wir heute eher einen Stand haben, dass eine 600-Watt-Begrenzung vorliegen muss“, sagt er. Es sei denn, man könne nachweisen, dass der Betrieb technisch sicher sei. Er habe sich von Technikern sagen lassen: „Das geht.“ Wenn die Komponenten CE-zertifiziert seien. Es sei nicht verboten, von VDE-Vorgaben abzuweichen.
Für alle, die jetzt nicht schlauer sind als vorher, gebe es immerhin eine technische Lösung, sagt Verbraucherschützer Matthias Bauer. „Soweit Verbraucher Geräte kaufen, die zwar einen 800-Watt-Wechselrichter enthalten, den der Hersteller auf den Ausgangswert von 600 Watt gedrosselt hat, sind sie in jeder Hinsicht auf der sicheren Seite.“