Archäologie
So schaurig klang die aztekische Totenkopfpfeife
Die Totenkopfpfeife der Azteken erzeugt einen schrillen, schreiähnlichen Ton. Eine Studie der Universität Zürich zeigt, dass dieses Pfeifen eine beängstigende Wirkung auf das menschliche Gehirn hat. Die Azteken setzten diesen Effekt möglicherweise gezielt bei Opferritualen ein.
Von Markus Brauer
Vor rund 500 Jahren besiegten die Spanier die Azteken. Deren Kultur verschwand nach und nach fast völlig. Auf den Ruinen ihrer Hauptstadt Tenochtitlan wurde das heutige Mexiko-Stadt erbaut. Dort findet man noch heute Spuren dieses präkolumbianischen Reiches, die an dessen vergangene Größe erinnern.
Tenochtitlan hatte bei der Ankunft der Spanier mindestens 250 000 Einwohner. Die in mehrere Stämme gegliederten Azteken schufen sich eine umfassende Götterwelt, deren Hauptgott Huitzilopochtli sie Zehntausende Menschen opferten.
Menschenopfer für Mictlantecuhtli, Herrscher der Unterwelt
Die Azteken verfügten über eine reiche Mythologie, die aufwendig in Ritualen und Opferzeremonien zelebriert wurde. Dabei verwendeten sie wie viele andere alten Kulturen auch Musikinstrumente für rituelle Zeremonien. So symbolisierten sie visuelle und klangliche Elemente mythologische Wesen aus der aztekischen Unterwelt.
Die aztekische Todespfeife mit ihrem schädelförmiger Körper scheint dabei Mictlantecuhtli , den aztekischen Herrscher der Unterwelt, darzustellen und ihr schreiähnlicher Klang könnte die Menschenopfer auf ihren Abstieg in die Unterwelt Mictlan vorbereitet haben.
Mictlan war in der aztekischen Mythologie die Bezeichnung für die Unterwelt und den Ort des Todes. Mictlantecuhtli – Herr des Todes – wurde meist als furchterregende Gestalt dargestellt wurde.
Einzigartige Konstruktion der Instrumente
Eine dieser Pfeifen wurde im Jahr 1999 entdeckt, als Archäologen bei Ausgrabungen eines aztekischen Tempels an der Stätte Tlatelolco in Mexiko-Stadt die Überreste eines 20-jährigen Opfers freilegten , das verschiedene Musikinstrumente in der Hand hielt. Darunter war auch eine kleine Pfeife aus Keramik in Form eines Totenkopfes.
Um die physikalischen Mechanismen hinter dem schrillen, kreischenden Pfeifton zu ergründen, hat ein Team von Forschern der Universität Zürich (UZH) unter Leitung von Sascha Frühholz, Professor für kognitive und affektive Neurowissenschaften, digitale 3D-Rekonstruktionen von originalen aztekischen Todespfeifen aus dem Ethnologischen Museum in Berlin erstellt. Die Studie ist im Fachmagazin „Communications Psychology“ erschienen.
Ancient Aztec 'skull #whistles' trigger fear in modern listeners, activating low-level cortical auditory regions and causing aversive reactions, according to a study by University of Zurich neuroscientists. https://t.co/EHkvEVTOoOhttps://t.co/VZ616xTjnv — Phys.org (@physorg_com) November 18, 2024
Klang ist abschreckend und furchterregend
Diese Modelle zeigen eine einzigartige Innenkonstruktion mit zwei gegenüberliegenden Schallkammern, die Luftturbulenzen und damit den schrillen Ton erzeugen. „Wir kennen kein vergleichbares Musikinstrument aus präkolumbischen Kulturen oder aus anderen historischen und zeitgenössischen Kontexten“, sagt Frühholz.
Tonaufnahmen von originalen und nachgebauten Todespfeifen wurden von Zuhörern als extrem beängstigend und abschreckend empfunden. Sie nahmen das Pfeifgeräusch als natürlichen Laut wahr – etwa als menschliche Stimme oder Schrei.
Die aztekische Todespfeife scheint furchterregende Geräusche akustisch und affektiv zu imitieren. „Dies steht im Einklang mit der Tradition vieler alter Kulturen, natürliche Klänge in Musikinstrumenten einzufangen. Die Todespfeifen sollten in Ritualen mythologische Wesen nachahmen“, erklärt Frühholz.
So hört sich die aztektische Todespfeife an.
Todespfeifentöne wirken affektiv und symbolisch
Die Forscher spielten die Pfeifenklänge Probanden vor und zeichneten deren Hirnaktivitäten auf. Dabei reagierten die Regionen des affektiven Nervensystems besonders stark, was den abstoßenden und beängstigenden Charakter der Pfeifenklänge bestätigte.
Die Wissenschaftler beobachteten auch Aktivitäten in Hirnregionen, die Geräusche mit symbolischer Bedeutung verknüpfen. Dies deutet darauf hin, dass die Töne der Todespfeife bei den Zuhörenden sowohl eine psychoaffektive Reaktion als auch eine mentale Verarbeitung der Klangsymbolik auslösen.
Moderne Menschen reagieren ähnlich wie einst Azteken
Musik hat schon immer einen starken emotionalen Einfluss auf die Menschen ausgeübt – heute wie in alten Kulturen – weshalb sie in rituellen, religiösen und mythologischen Kontexten eingesetzt wird.
Die Azteken könnten sich den furchteinflößenden und symbolischen Klang der Todespfeife zunutze gemacht haben, um das Publikum in rituellen Abläufen zu beeinflussen. „Leider konnten wir unsere psychologischen und neurowissenschaftlichen Experimente nicht mit Menschen aus alten Aztekenkulturen durchführen“, sagt Frühholz. „Aber die grundlegenden affektiven Reaktionen auf erschreckende Geräusche sind Menschen aus allen historischen Kontexten gemeinsam.“