Handel und Industrie im Land nach Ampel-Aus
„Keine Zeit für Taktikspielchen – Scholz muss einen klaren Fahrplan aufzeigen“
Die Wirtschaftsverbände in Baden-Württemberg dringen auf eine handlungsfähige Bundesregierung und mehr Planungssicherheit für die Unternehmen. Die politischen Rahmenbedingungen werden derzeit als „Top-Geschäftsrisiko“ eingestuft.
Von Matthias Schiermeyer
Nach dem Aus für die Ampelkoalition eint eine Forderung alle Vertreter der Wirtschaft, die sich am Tag danach zu Wort melden: Rasch sollen die noch verbleibende Bundesregierung und deren Chef Olaf Scholz für Stabilität und Klarheit sorgen.
„Es ist zwingend, dass die Neuwahlen zum schnellstmöglichen Zeitpunkt erfolgen – deutlich früher als von Kanzler Scholz angekündigt“, betont Oliver Barta, Hauptgeschäftsführer der Unternehmer Baden-Württemberg (UBW). „Das Land kann kein weiteres halbes Jahr warten, bis eine neue Regierung im Amt ist.“ Scholz müsse die Vertrauensfrage sofort stellen. „Ein Neustart gelingt nur mit einer Bundesregierung, die in der Lage ist, in der Europäischen Union eine Führungsrolle zu übernehmen.“ Dass das Aus der Ampel zeitlich mit der US-Wahl zusammengefallen sei, werfe „ein schlechtes Licht auf die Souveränität unseres Landes“.
Politische Rahmenbedingungen sind ein „Top-Geschäftsrisiko“
Christian O. Erbe, Präsident des Industrie- und Handelskammertages im Land, verlangt einen „klaren Fahrplan, wie das Land bis wann weiter regiert werden soll und welche Maßnahmen noch umgesetzt werden“. Eine „Hängepartie können wir uns nicht leisten; die politische Vertrauenskrise ist längst in der Breite der Betriebe angekommen“. Es dürfe nicht länger so sein, „dass die politischen Rahmenbedingungen von den Unternehmen als ein Top-Geschäftsrisiko bei unseren Umfragen genannt werden“. Für eine „schnellstmöglich handlungsfähige Regierung“ setzt sich Thomas Bürkle, Präsident des Fachverbands Elektrotechnik, ein.
LBBW-Vorstandschef Rainer Neske nennt das Scheitern der Regierung einen „vielleicht notwendigen Einschnitt“. Um zu alter Stärke zurückzufinden, brauche es Maßnahmen, „die den Unternehmern Vertrauen und Freiraum geben, anstatt sie ständig kontrollieren zu wollen“, sagt er. „Es muss sich jetzt schnell und tief greifend etwas ändern.“
Auch Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg, mahnt schnelle Beschlüsse für Neuwahlen an. „Es ist jetzt nicht die Zeit für Taktikspielchen – der Bundeskanzler muss einen klaren und verlässlichen Fahrplan aufzeigen.“ Der Plan, die Vertrauensfrage auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, „ist unangemessen und wird dem Ernst der Lage nicht gerecht“. Nur mit Stabilität und Klarheit könne das Vertrauen von Bevölkerung und Wirtschaft wiederhergestellt werden. Der Einzelhandel starte in die umsatzstärkste Zeit des Jahres, so Hagmann. „Eine angespannte Stimmung aufgrund politischer Unsicherheit könnte verheerende Folgen für die Kaufbereitschaft haben.“
Bausparkassen-Chef dringt auf Reformvorhaben
Für den Vorstandsvorsitzenden der Bausparkasse Schwäbisch Hall, Mike Kammann, kommt der Bruch der Koalition „nicht überraschend“, aufgrund der offenen Entscheidungen zum Bundeshaushalt und ausstehender wichtiger Reformvorhaben aber zu einem kritischen Zeitpunkt. Dazu zählt er die nur als Referentenentwurf vorliegende Reform der privaten Altersvorsorge. Der Entwurf beinhalte wichtige Verbesserungen für die Schaffung von privatem Wohneigentum sowie Erleichterungen für energetische und altersgerechte Modernisierungen. „Reformvorhaben, die die Erschwinglichkeit von Wohneigentum verbessern sollen, dürfen nicht in der Schublade verschwinden.“
Wolfgang Grupp hat es vorher schon geraten
Wolfgang Grupp, der frühere Trigema-Chef, erinnert daran, dass er schon im September klar gesagt habe, die einzige Chance der FDP bestehe darin, die Koalition aufzulösen. Nun brauche es schnellstens Neuwahlen, um ein „Machtvakuum bis ins zweite Quartal 2025“ zu vermeiden.
Auch die IG-Metall-Vorsitzende macht Druck
Aus Sicht der IG-Metall-Chefin Christiane Benner „haben das Land und die Menschen Stabilität, Sicherheit und Zuversicht verdient“. So „können wir es uns nicht leisten, dass weiter Investitionen vertagt werden, Beschäftigte nicht wissen, wie sich ihr Arbeitsplatz entwickelt, die Infrastruktur um uns zusammenfällt.“ Wie Verdi-Chef Frank Werneke verteidigt sie die Entlassung des Finanzministers durch den Kanzler.