Neue Technologien

So will Bosch das Bremsen und Lenken im Auto revolutionieren

Der Zulieferer Bosch stellt scheinbar Selbstverständliches infrage und entwickelt neue Systeme fürs Lenken und fürs Bremsen. Neben dem Komfort kann die neue Technologie auch die Sicherheit erhöhen.

Bei Testfahrten werden die Daten aus den neuen Bosch-Systemen ausgewertet.

© Bosch/Martin Stollberg

Bei Testfahrten werden die Daten aus den neuen Bosch-Systemen ausgewertet.

Von Klaus Köster

Zulieferer wie Bosch, ZF und Conti befinden sich in der Krise, denn die schwachen Zulassungszahlen führen dazu, dass die milliardenschweren Investitionen sich nicht richtig rechnen. Klar ist aber auch, dass die Zulieferer die großen Treiber für technologische Neuerungen in der Autobranche sind – und auch bleiben wollen. Deshalb investieren sie weiter hohe Summen in künftige Technologien. Der Zulieferer Bosch gab einige Einblicke in seine Entwicklungen – einige davon stellen wir hier vor.

Bremssystem „Brake by Wire”

Es ist so selbstverständlich, dass niemand fragt, warum man zum Bremsen eigentlich ein Pedal betätigen und es ein ganzes Stück nach vorn drücken muss, bevor die Bremse schließlich anschlägt. Dabei hat dieses System eine Reihe von Nachteilen, die man nur deshalb in Kauf nimmt, weil man es nicht anders kennt. Es beansprucht nicht nur Platz, sondern ist bei schweren Unfällen auch eine Gefahrenquelle. Denn wenn die Fahrgastzelle zusammengedrückt wird, können die Pedale schwere Fuß- und Beinverletzungen verursachen und die Bergung von Insassen erschweren.

Bosch hat ein System entwickelt, das die mechanische Verbindung zwischen Bremspedal und Bremssystem überflüssig macht. Stattdessen wird der Bremswunsch mit dem System „Brake by Wire“ von einem elektronischen Pedal aufgenommen und über Signalleitungen zum sogenannten Aktuator übertragen. Der Aktuator ist eine Art Dolmetscher, der das elektronische Signal vom Bremspedal in Bremsbewegungen übersetzt. Damit ein Ausfall der Signalleitungen keine fatalen Folgen hat, ist das System redundant ausgelegt, hat also zwei unabhängig voneinander funktionierende Signalleitungen.

Ein solches System hat verschiedene Vorteile:

  • Es erlaubt, die Pedale durch druckempfindliche Sensoren zu ersetzen, die keinen Platz beanspruchen. Diese sind im Fußraum an der sogenannten Spritzwand angebracht, die Fahrgastzelle und Motorraum voneinander trennt. Je nach Stärke des Drucks baut der Aktuator den entsprechenden Bremsdruck auf.
  • Das System erhöht nicht nur die Beinfreiheit, sondern verringert im Fall des Falles auch das Verletzungsrisiko.
  • Zudem ermöglicht das System eine schnellere Bremsung in Notsituationen. Denn der Fuß muss beim Bremsen nicht erst auf das Bremspedal wandern und dieses dann auch nicht nach vorne drücken. Beides zusammen bringt eine Zeitersparnis von mehreren Zehntelsekunden, die im Notfall sehr wertvoll sein können.

Selbst wenn die Hersteller sich weiter an die Gewohnheiten der Fahrerinnen und Fahrer anpassen und beim herkömmlichen Bremspedal bleiben wollen, können sie das Auto mit dem System deutlich sicherer machen. Denn auch von den Teilen der Bremse, die bisher hinter der Spritzwand angebracht sind, gehen im Fall eines Crashs Gefahren aus. Beim kabelgesteuerten Bremsen müssen die Pedale vor und die eigentliche Bremse hinter der Spritzwand nicht mehr miteinander verbunden sein – somit sind Hersteller viel freier, die Bremse an Stellen unterzubringen, an denen von ihr weniger Gefahren ausgehen. Vorteilhaft ist auch, dass sich durch den Wegfall der mechanischen Verbindung einiges an Gewicht und Materialeinsatz sparen lässt.

Mit dem neuen Bremssystem lassen sich überdies ganz neue Komfortfunktionen verbinden. So können verschiedene Bremsmodi programmiert werden. Ähnlich wie das Fahrwerk auf sportlich oder komfortabel ausgelegt werden kann, lässt sich auch die Bremse härter oder weicher einstellen. An der Sicherheit soll sich dadurch nichts ändern, auch nicht im Notfall. Denn Notbremsassistenten und andere Assistenzfunktionen lassen sich in diese Systeme integrieren. Das gilt auch für das Antischleudersystem ESP, das als zweiter Aktuator wirkt und jedes Rad einzeln ansteuert, um bei Bedarf ein Schleudern zu verhindern.

Sanfter Bremsassistent (eBrake to Zero)

Kommt ein Auto zum Stillstand, gibt es meist einen Ruck. Und den empfinden manche Insassinnen und Insassen als unangenehm – vor allem, wenn sie unter Reiseübelkeit leiden. Auch hier soll künftig Technik helfen: Eine neue Softwarefunktion von Bosch kann diesen unangenehmen Ruck verhindern – jedenfalls bei Elektroautos. Das Programm steuert das Zusammenspiel zwischen dem E-Motor und der hydraulischen Bremse so, dass das Auto völlig ruckelfrei zum Stillstand kommt.

Lenksystem „steer by wire“

Nicht nur die Bremse denkt Bosch neu, auch am Lenkrad wird gearbeitet. Beim System „steer by wire“ wird die mechanische Verbindung, die bisher zwischen Lenksäule und dem Lenkgetriebe besteht, durch ein Kabel ersetzt. Das Lenkrad ist damit auch nicht mehr mit den Rädern verbunden, sondern nimmt lediglich den Lenkwunsch des Fahrers entgegen, der dann digital an den sogenannten Zahnstangenaktuator weitergegeben wird. Dieser übersetzt das Signal dann in Lenkbewegungen. Die Lenkung lässt sich auf diese Weise sehr präzise steuern – und auch hier sind Komfortfunktionen möglich.

Auch die Rückmeldung an den Fahrer, etwa über Spurrillen oder Schlaglöcher, erfolgt digital. Je nach Wunsch und Einstellung können diese Rückmeldungen entweder komplett herausgefiltert, gedämpft oder sogar verstärkt werden. Auch die Möglichkeiten, das Lenkrad zu positionieren, sind mit diesem System wesentlich größer als mit der bisher üblichen mechanischen Verbindung. Eine besondere Bedeutung gewinnt diese Technologie, sobald die Fahrzeuge hoch automatisiert unterwegs sind, also auf Stufe vier von fünf des automatisierten Fahrens, bei dem in definierten Situationen kein Fahrer mehr erforderlich ist. In diesen Fällen kann das Lenkrad vorübergehend komplett verstaut werden.

Datenbasierte Dienste

Dass Informationen in Echtzeit verwendet werden, kennt man bereits von vielen Navigationssystemen oder von Google Maps. Die Daten, die von den einzelnen Fahrzeugen bei den Anbietern auflaufen, werden in eine Karte übertragen und den anderen Nutzern zur Verfügung gestellt – so lassen sich Staus oder Straßensperrungen zeitnah erkennen.

Bosch will diese Technologie weiterentwickeln und Sensordaten des Fahrzeugs auswerten, um Informationen über den Straßenzustand und sogenannte Straßenreibwerte – sprich: mögliches Glatteis oder Aquaplaning – zu gewinnen. Diese Daten sollen dann mit denen von anderen Fahrzeugen und mit Informationen über das Wetter zusammengeführt geführt werden. Dadurch soll es möglich werden, Fahrer zeitnah vor Gefahren, Hindernissen, plötzlich auftretender Glätte, Unfällen oder Aquaplaning zu warnen.

Je mehr Fahrzeuge Messwerte zur Verfügung stellen, desto genauer und aktueller wird die Karte, die nicht nur den Komfort, sondern auch die Verkehrssicherheit erhöhen kann. Grundsätzlich ist heute aber niemand verpflichtet, diese Daten zur Verfügung zu stellen, was die Nutzung der Technologie erschwert. Auf EU-Ebene gibt es nach Informationen unserer Zeitung aber Bestrebungen, diese Daten zu einer Art öffentlichem Gut zu erklären, sodass jeder sie zur Verfügung stellen muss und auch nutzen kann. Unternehmen wie Bosch könnte dies nur recht sein – sie verdienen dann zwar nicht an den Daten, sehr wohl aber an den Geräten, mit denen sie für den Einzelnen nutzbar gemacht werden können. Überdies ist die Qualität der Daten am höchsten, wenn diese aus möglichst vielen Fahrzeugen geliefert werden.

Zum Artikel

Erstellt:
27. August 2024, 10:58 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen