Schlechte Impfquoten in Baden-Württemberg
Soll gegen HPV in Schulen geimpft werden?
Die Impfquoten bei Jugendlichen gegen krebserregende HP-Viren sind im Südwesten schlecht. Experten und Krankenkassen in Baden-Württemberg fordern nun niederschwellige Angebote – etwa mit Impfkampagnen in Schulen. Was die Landesregierung dazu sagt.
Von Regine Warth
Es ist bislang die einzig wirksame Schutzimpfung vor Krebs, die vor acht Jahren dank des Heidelberger Nobelpreisträgers Harald zur Hausen entwickelt worden ist. Gerade mal 0,5 Milliliter Vakzin – verabreicht in zwei bis drei Dosen – genügen, um vor den gefährlichsten Varianten des Humanen Papillomvirus (HPV) zu schützen. Diese können auf lange Sicht Gebärmutterhals-, Anal- und Kehlkopfkrebs verursachen. Mehr als 90 Prozent der Erkrankungen könnten mit einer HPV-Impfung vor dem ersten Sexualkontakt verhindert werden. Sie wird Kindern im Alter von neun bis 14 Jahren empfohlen und von den Kassen erstattet.
Doch ist das Wissen darüber gering, das Misstrauen groß. Andere Länder haben weltweit eine Impfquote bei Jugendlichen von 70 Prozent oder mehr und damit den für einen Gemeinschaftsschutz nötigen Wert erreicht. In Deutschland sieht es ungünstiger aus. Negativ stechen die Impfquoten im Südwesten heraus: Nach aktuellen Zahlen der Krankenkasse Barmer war in Baden-Württemberg im Jahr 2022 nur etwas mehr als die Hälfte aller Mädchen bis 17 Jahre vollständig gegen HPV geimpft, 44,7 Prozent dagegen gar nicht oder nur unvollständig. Bei Jungen ist die Quote besonders alarmierend: 2022 waren nur knapp 19 Prozent vollständig geimpft. Mehr als 70 Prozent hatten keinen Impfschutz. Das Land hat somit bundesweit die drittschlechteste Impfquote nach Bayern und Bremen.
Mehrheit der Bundesbürger befürwortet Impfungen in der Schule
Weil zwischen Infektion und der Entstehung von Tumoren oft Jahre lägen, sei das Virus eine „tickende Zeitbombe“, sagt Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer der Barmer. Er sieht – neben Impfansprachen durch soziale Medien sowie gezielte Erinnerungsschreiben der Eltern – nur eine Chance, die Bilanz zu verbessern: mit Schulimpfungen.
Den Zahlen des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) zufolge bieten von 137 Ländern mit HPV-Impfprogrammen bereits drei Viertel eine Impfung in Schulen an. Auch in Deutschland wäre die Akzeptanz groß: Laut einer Umfrage im Auftrag des DKFZ befürworten mehr als zwei Drittel freiwillige HPV-Impfungen an Schulen.
Viele Eltern wissen zu wenig über die HPV-Impfung
Das zeigen auch Erfahrungswerte der Stiftung Preventa, einer kleinen gemeinnützigen Organisation, die seit 2015 Schulimpfungen auf freiwilliger Basis initiiert und mehr als 2000 Familien bis zum Beginn der Pandemie erreicht hat. „Es gibt keine Impfmüdigkeit“, sagt der Geschäftsführer, Claus Köster. „Es gibt eine mangelnde Aufklärung.“ Wurden Schulleitung und Eltern frühzeitig informiert – etwa bei virtuellen Elternabenden –, habe sich ein Großteil bereit erklärt, ihre Kinder in der Schule impfen zu lassen. „Wir haben ein positive Rückmeldung von 87 Prozent erreicht“, so Köster. 77 Prozent der Kinder wurden tatsächlich geimpft.
Über die Statistik der Kassenärztlichen Vereinigung konnte Köster nachvollziehen, wie sich die Impfrate in der Region, wo Preventa tätig war, verändert hat: Demnach habe sich die Impfrate dort vervierfacht. Viel Aufwand braucht es dazu nicht: Köster berichtet von einer Aktion in einer hessischen Schule in Biblis, in der eine Kinderärztin und eine Gynäkologin pro Stunde 40 Kinder geimpft haben. „Das ist im Praxisalltag zeitlich und auch ökonomisch gesehen kaum zu schaffen“, sagt Köster.
Gesundheitsminister fordert zum Impfen auf
Warum also nicht das Projekt landesweit ausweiten? Noch ist das Land gegenüber Impfungen in Schulen vorsichtig eingestellt: Zwar befürwortet Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) die HPV-Impfung: „Ich appelliere alle Eltern im Land, den HPV-Impfstatuts ihrer Kinder zu prüfen.“ Auch hat er sich für eine rechtzeitige Impfung ausgesprochen. Doch für flächendeckende Schulimpfungen seien die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen je nach Alter der Impflinge vergleichsweise hoch. Ob ein flächendeckendes Schulimpfangebot nachhaltig zur Erhöhung der HPV-Impfquoten in Baden-Württemberg beitragen würde, ist für das Sozialministerium fraglich. Auch wäre eine flächendeckende Einführung von HPV-Impfungen in Schulen in 2025 mit den derzeitigen Personalressourcen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in Baden-Württemberg gar nicht darstellbar.
Doch Plötze gibt sich zuversichtlich, dass sich dies bald ändern könne: Neben der Barmer befürworten weitere gesetzliche Krankenkassen die Möglichkeit, die schlechten HPV-Impfquoten unter anderem auch mittels Schulimpfungen zu verbessern. „Gemeinsam sind wir derzeit dabei, eine Landesrahmenvereinbarung mit dem Gesundheitsministerium abzuschießen“, sagt Plötze. „Darin wird geregelt, dass die Gesundheitsämter mit den Krankenkassen abrechnen und so auch bei Schulimpfungen unterstützen können.“ Der Abschluss der Verhandlungen könne im ersten Halbjahr 2025 erfolgen.
So verursachen HP-Viren Krebs
Infektion HPV-Infektionen zählen zu den häufigsten ansteckenden Infektionen weltweit: Etwa 80 Prozent aller Menschen infizieren sich im Laufe ihres Lebens mit HPV. Schätzungen zufolge sind in Deutschland jedes Jahr insgesamt rund 7700 Krebsneuerkrankungen auf HP-Viren zurückzuführen.
Krebsrisiko HP-Viren werden überwiegend sexuell übertragen. Häufig verläuft die Infektion ohne erkennbare Symptome, aber in etwa zehn Prozent der Fälle bleibt die Infektion dauerhaft bestehen und kann verschiedene Krebsarten wie Gebärmutterhalskrebs, Vulva- und Vaginalkrebs, Peniskrebs, Analkrebs sowie Mund- und Rachenkrebs verursachen.
Impfung Die STIKO empfiehlt zur Reduktion der Krankheitslast durch HPV-assoziierte Krebserkrankungen und Warzen die HPV-Impfung sowohl für Mädchen als auch Jungen. Das empfohlene Impfalter ist 9 bis 14 Jahre. Versäumte Impfungen sollten so früh wie möglich nachgeholt werden – dies kann bis zum Alter von 17 Jahren erfolgen.