Paris im Wandel

Sommerterrassen für die Stadt

Paris soll zur Wohnstadt werden: Je mehr Autos aus der City verdrängt werden, desto stärker sinkt der Lärmpegel und die Luftverschmutzung geht zurück. Doch die ausladenden Terrassen auf den Straßen schaffen neue Probleme.

Berühmte Einkaufsmeile und achtspurige Verkehrsstraße: die  Champs-Élysées.

© dpa/Peter Kneffel

Berühmte Einkaufsmeile und achtspurige Verkehrsstraße: die  Champs-Élysées.

Von Stefan Brändle

Stets im April fahren in Paris die Schreiner auf. Mit Balken und Brettern machen sie sich auf den Gehsteigen vor den Bistros zu schaffen. Sie sägen, sie hämmern – und am Abend kann der Wirt auf seiner neuen Terrasse, die sich bisweilen über den Rinnstein hinaus bis in die Fahrbahn oder auf einen Platz ausdehnt, bereits die ersten Sommergäste bewirten.

Ob in der Rue Cardinal-Lemoine am Rande des Quartier Latin oder in der Rue Saint-Martin im Marais: In der ganzen Stadt tauchen seit Anfang April die so genannten „vergänglichen Terrassen“ auf. Fast 4000 gibt es davon bereits. Begonnen hatte der Brauch im Pandemiejahr 2021, als die Wirte ihre Kundschaft nicht mehr in vollgestopften Lokalen empfangen durften. Neben Cafés und Bistros erhalten deshalb heute noch oft auch Buchhandlungen und Blumenläden die Erlaubnis, vor ihrem Schaufenster zwei oder drei Tischchen aufzustellen.

Aus Holz sind diese Terrassen, damit sie wieder abgebaut werden können. Ende Oktober, wenn es zu kühl zum Draußensitzen wird, verschwinden sie für fünf Monate aus dem Stadtbild. Die Sommerterrassen sind eine Idee von Bürgermeisterin Anne Hidalgo und Teil ihrer Bemühungen, die Autostadt Paris in eine verkehrsberuhigte Wohnstadt zu verwandeln. Mit der Luftverschmutzung ist auch der Lärmpegel gesunken. „Die Tendenz geht klar ich Richtung weniger Autolärm“, sagt Fanny Mietlicki, die Chefin des unabhängigen Messbüros Bruitparif.

Etwas hat die Pariser Bürgermeisterin Hidalgo übersehen: Die Terrassen können auch ganz schön lärmig sein. Die Wirte müssen die Tische auf den Holzplanken zwar um 22 Uhr räumen. Viele sehen darin aber nur einen Richtwert, der flexibel gehandhabt wird. Das ärgert die Nachbarn, die in der Nähe der Bistros wohnen. Sie hören das Gläserklirren und Gelächter von den Terrassen bis spät in den Abend und klagen darüber, dass sie im Sommer nicht mehr bei offenem Fester schlafen könnten.

Fanny Mietlicki räumt ein: „Der stark reduzierte Autolärm führt dazu, dass andere Geräuschquellen lauter wahrgenommen werden.“ Gerade die beruhigten Wohnstraßen steigern die Empfindlichkeit für den sommerlichen Terrassenlärm, moniert der Verein „Droit au sommeil“ (auf Deutsch: Recht auf Schlaf). Er kämpft gegen den Lärm, den der Verkehr, aber auch das Nachtleben verursachen. Im Stadtzentrum zählte der Verein 600 Bars und Nachtklubs auf einem einzigen Quadratkilometer. Er hat errechnet, dass sich – auf ganz Paris bezogen – die kurzlebigen Holzterrassen in drei Jahren um 48 Prozent ausgebreitet hätten.

Die Stadtverwaltung versucht, die Wirte zu mehr Rücksicht anzuhalten. Bürgermeisterin Hidalgo will nicht beschuldigt werden, ihr ökologisches Wohnmodell mache Paris für lärmgeplagte Anwohner unwohnlich. Die Polizei muss deshalb nun die Einhaltung der Öffnungszeiten überwachen. Dazu hat Hidalgo einen „Nachtrat“ eingerichtet, der versuchen soll, an neuralgischen Punkten Frieden zu stiften, wenn ein Frühschläfer sein Fenster aufreißt und über die gesellige Runden unten auf dem Trottoir schimpft. Bislang allerdings nur mit begrenztem Erfolg.

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Erstellt:
23. April 2025, 17:38 Uhr

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