Großeltern in der Kinderbetreuung
Sorry, Oma hat heute keine Zeit
Viele Großeltern werden heute fest in die Betreuung der Enkelkinder eingeplant, die meisten machen das gern. Doch die neue Rolle birgt auch Konfliktpotenzial.
Von Sandra Markert
Fast 500 Stunden im Jahr: So viel Zeit sind Großeltern inzwischen nach Angaben des Deutschen Zentrums für Altersfragen im Jahresdurchschnitt für ihre Enkel da. Mehr als die Hälfte aller Omas und Opas schließen regelmäßig Betreuungslücken, die sich in den Ferien, an den Nachmittagen, bei Krankheit in Familien auftun.
„Durch diese regelmäßige Betreuung hat sich die Rolle der Großeltern verändert“, sagt die Pädagogin Birgit Ertl, die in Stuttgart eine Praxis für Menschlichkeit in Erziehung und Beziehung betreibt. Das Problem: Vielen Großeltern und Eltern ist das Konfliktpotenzial nicht bewusst. „Redet miteinander“, sagt Birgit Ertl, die auch Kurse für Großeltern anbietet.
„Eltern erziehen, Großeltern verwöhnen“
Omas und Opas haben Kinder großgezogen, jahrelang Konflikte über Bettgehzeiten, Süßigkeiten, Hausaufgaben und Tischmanieren erlebt. In ihrer Rolle als Großeltern wollen sie die Enkel oft einfach nur verwöhnen. „Erziehungsverantwortung ist weder rechtlich noch sozial für Großeltern eigentlich eingeplant“, sagt François Höpflinger, Alters- und Generationenforscher von der Universität Zürich.
Durch die stärkere Beteiligung an der Betreuung sei es heute aber nötig, sich auch hier zu engagieren. Auch Birgit Ertl sagt: „Je mehr Zeit ich mit den Enkeln verbringe, je mehr ich in deren Alltag eingespannt werde, umso weniger komme ich um Erziehungsfragen herum.“
Für die Großeltern bedeutet das, sich zu überlegen: Möchte ich das überhaupt? Den Kindern wiederum muss klar sein: Wenn sie die Großeltern in ihrem Alltag als regelmäßige Betreuung einplanen, dann gehören dazu auch das Vertrauen und die Freiheit, dass die Großeltern diesen auch nach eigenen Regeln gestalten dürfen.
„Wer den Großeltern vom Anziehen über die Zutaten fürs Mittagessen bis zum sinnvollen Nachmittagsprogramm alles vorgibt, nimmt ihnen die Möglichkeit, sich den Enkeln gegenüber authentisch zu verhalten“, sagt Birgit Ertl. Sie empfiehlt Eltern, die ein, zwei Regeln, die ihnen wirklich wichtig sind, bei den Großeltern klar zu kommunizieren – und das sollten diese dann auch respektieren.
Sie gibt aber zu bedenken: Macht man den Großeltern zu viele Vorschriften, seien diese oft nur noch bemüht, alles richtig machen zu wollen. „Darunter kann auch die Freude an den Enkelkindern leiden“, sagt Ertl. Für Großeltern hat sie einen Tipp: „Am besten verwöhnt man seine Enkel mit Zeit.“ Oft hätten die Kinder heute so viel Programm, dass gerade Großeltern als Gegenpol einen Ruheraum bieten können.
„Bei Oma darf ich das!“
Enkelkinder merken natürlich, dass bei den Großeltern andere Regeln gelten als zu Hause. „Das ist aber nicht schlimm, sondern eher eine Bereicherung, weil es das Blickfeld erweitert“, findet Birgit Ertl. „Das erleben Kinder im Kindergarten oder in der Schule auch. Und sie verstehen gut, dass verschiedene Bezugspersonen Dinge unterschiedlich handhaben, schließlich handelt es sich jeweils um eine eigene Beziehung, die gestaltet wird.“ Wichtig sei, sich aber nicht vor den Kindern über unterschiedliche Ansichten zu streiten. Dadurch entstehen für das Kind Loyalitätskonflikte.
„Ihr seid ja auch groß geworden!“
Wenn Eltern bei ihren eigenen Eltern Erziehungsmethoden erleben, hinter denen sie selbst nicht stehen, und dies ansprechen, fühlen sich Großeltern oft angegriffen. „Da schwingt ja immer auch ein Vorwurf mit, dass man selbst früher etwas falsch gemacht hat, ja den eigenen Kindern damit vielleicht sogar geschadet hat“, sagt Birgit Ertl.
Sie empfiehlt Eltern, mit ihren erwachsenen Kindern ein Gespräch zu führen. „Da kann man mal nachfragen, was die Kinder als gut erlebt haben, was sie vielleicht gestört hat in ihrer eigenen Kindheit“, sagt Birgit Ertl. Je entspannter die Beziehung zwischen Großeltern und Eltern sei, umso einfacher sei es, eine gute Beziehung zu den Enkeln aufzubauen.
„Wichtig dabei ist, dass man sich einen ruhigen Moment dafür sucht und sich als Kind klarmacht: Meine Eltern haben damals auch versucht, das alles so gut wie möglich hinzukriegen“, sagt Birgit Ertl. Dass dabei auch mal Fehler passieren würden, sei ganz normal. „Hier sehe ich auch eine große Chance von Großeltern, den eigenen Kindern den Druck zu nehmen, den es heute gibt, immer alles richtig machen zu müssen“, so Ertl. Mit einer größeren Lebenserfahrung zeige sich, dass das ohnehin nicht möglich sei. „Großeltern haben die Möglichkeit, mehr Ruhe und Gelassenheit in eine Familie zu bringen“, sagt Birgit Ertl.
„Früher hätte es das nicht gegeben!“
Umgekehrt stellen aber auch die Großeltern nicht selten den Erziehungsstil ihrer Kinder infrage. „Die Kompetenz und die Verantwortung dafür liegt eindeutig bei den Eltern des Kindes“, sagt Birgit Ertl. Und man kann es ihnen auch bei Erziehungsfragen nicht abnehmen, ihre eigenen Erfahrungen zu sammeln.
François Höpflinger beobachtet aber, dass Werteunterschiede in der Erziehung zwischen Jung und Alt oft gar nicht so groß seien, wie viele es annehmen würden, und autoritäre Erziehungsstile weitgehend verschwunden seien. „Viele ältere Menschen sind heute sehr offen, auch neue Werte anzunehmen, wenn sie dies in der Familie erleben“, sagt François Höpflinger.
„Könnt ihr heute vielleicht die Kinder nehmen?“
„Vielen Großeltern fällt es schwer, auf diese Frage auch mal mit ,Nein‘ zu antworten“, beobachtet Birgit Ertl. Für viele Kinder sei es selbstverständlich, dass ihre Eltern für sie immer da seien. Viele Großeltern wiederum hätten ein schlechtes Gewissen, wenn ihnen der Kaffeeklatsch mit der Freundin oder der Kinobesuch wichtiger sei als in dieser Zeit die Enkel zu betreuen.
„Wenn Großeltern regelmäßig in die Betreuung eingebunden werden sollen, ist es aber ganz wichtig darüber zu reden, in welchem Umfang das passiert“, sagt Birgit Ertl. Und dass Großeltern auch klar signalisieren: Das und das kann ich leisten – und das kann und möchte ich nicht. François Höpflinger verweist auf Studien, die zeigen, dass es sich negativ auf die psychische Gesundheit von Großeltern auswirkt, wenn diese mehr als zweimal pro Woche fix in die Betreuung von Enkelkindern eingeplant sind.
„Grundsätzlich aber fühlen sich Großeltern, die sich um ihre Enkelkinder kümmern, mindestens zwei Jahre jünger, als sie tatsächlich sind. Auch dazu gibt es Studien“, sagt François Höpflinger. Und kennt auch das Gegenteil, nämlich dass es Familien gibt, in denen Großeltern gern mehr beitragen würden.
Info
Umgangsrechte Großeltern In manchen Familien führen Streit oder Scheidung dazu, dass Oma und Opa keinen Kontakt mehr zu ihren Enkelkindern haben dürfen. Im Familienrecht gibt es das so genannte Umgangsrecht. Es sieht nicht nur einen Kontakt zu den Eltern für das Kind vor, sondern auch für Verwandte oder andere Personen, die in einer engen sozial-familiären Beziehung zum Kind stehen. Dient der Umgang mit den Großeltern eindeutig dem Kindswohl, haben diese ein Recht darauf, welches sie vor dem örtlichen Familiengericht auch einklagen können. Herrscht aber beispielsweise ein Streit zwischen Eltern und Großeltern, der das Kind in Loyalitätskonflikte bringen würde, wäre dies ein Grund, das Umgangsrecht zu verweigern. MAR