Kinder im Vorschulalter

Was müssen Kinder können, die in die Schule kommen?

Expertinnen erklären, was Kinder können sollten, die in die Schule kommen, und was nicht. Und wie Eltern sie dabei unterstützen können, schulreif zu werden.

Spielend auf die Schule vorbereitet? Das geht tatsächlich.

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Spielend auf die Schule vorbereitet? Das geht tatsächlich.

Von Sandra Markert

Mein superdicker Vorschulblock“, „100 Übungen bis zum Schulanfang“, „In 8 Schritten zur Schulfähigkeit“ – wer sich als Mutter oder Vater die unzähligen Titel von Arbeitsheften für Vorschulkinder anschaut, gewinnt den Eindruck, dass das letzte Kindergartenjahr eine ganze Menge Arbeit bedeutet. Dass Kinder zu Hause gezielt mit ersten Übungen zu Buchstaben, Zahlen sowie zur Konzentrationsfähigkeit auf den Schulstart vorbereitet werden können, ja müssen.

Dazu noch die Aussagen anderer Vorschul-Eltern wie: „Emma kann schon die Namen aller Familienmitglieder schreiben.“ „Fabio zählt jetzt bis 100.“ Und das eigene Kind? Ist es trotzdem bereit für die Schule, auch wenn es all diese Dinge noch nicht kann? Und keinen einzigen Vorschulblock besitzt?

Kognitive Fähigkeiten sind nicht alles

„Eltern haben oft eher die kognitiven Fähigkeiten im Blick, wenn sie an die Schulfähigkeit denken. Aber es sind auch viele soziale, emotionale und motorische Kompetenzen nötig, damit ein Kind den Übergang von der Kita in die Schule gut meistern kann“, sagt Sabine Hanstein. Die Lerntherapeutin hat sich vor einigen Jahren mit anderen Therapeutinnen und Erzieherinnen zusammengetan, um ein Förderprogramm für Kinder in ihrem letzten Kita-Jahr zu entwickeln.

Dabei geht es aber nicht darum, in einem Vorschulblock Aufgaben abzuarbeiten. Die für die Schule nötigen Kompetenzen sollen vielmehr spielerisch im normalen Kita-Alltag erlernt werden – und das nicht erst im letzten Kindergartenjahr, sondern über die gesamte Kindergartenzeit.

Das ist auch die Botschaft, die Sabine Hanstein an alle Eltern hat: „Ein kindgerechter Alltag mit viel Raum für Spielen und Bewegung bereitet sehr gut auf die Schule vor.“ Worauf Eltern dabei einen wachen Blick haben können, sind diese vier Bereiche:

Emotionale Kompetenzen

Etwas wieder und wieder versuchen, wenn es nicht auf Anhieb klappt und dabei nicht frustriert aufgeben – wer das kann, tut sich in der Schule leichter. „Damit Kinder das lernen können, müssen sie auch mal Frust erleben dürfen“, sagt Sabine Hanstein. Viele Eltern würden ihren Kindern heute aber sehr viel abnehmen – statt ihnen zu zeigen, wie man an einer Sache dranbleibt oder wie man seinen Frust bewältigen kann. „Oft werden Kinder auch nur dann gelobt, wenn sie etwas geschafft haben. Es ist aber auch wichtig, dass Eltern die Anstrengung dahinter sehen und wertschätzen, selbst wenn es noch nicht so gut klappt“, sagt Sabine Hanstein.

Frustrationstoleranz üben und die Selbstwirksamkeit stärken können Kinder im Alltag beispielsweise, indem sie sich selbstständig anziehen, Schwimmen lernen, ein kniffliges Puzzle lösen, basteln sowie bei vielen Gesellschaftsspielen.

Auch Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit sind wichtige emotionale Kompetenzen für die Schule. Kinder, die sich viel draußen bewegen, klettern, beim Bäcker Brötchen kaufen oder andere kleine Aufgaben im Haushalt ganz allein erledigen dürfen, können diese Kompetenzen eher entwickeln als solche, deren Eltern sehr vorsichtig sind und ihren Kindern weniger zutrauen.

Soziale Kompetenzen

„Hier ist eine Kita ein super Übungsraum“, sagt Sabine Hanstein. Wie gibt sich ein Kind in der Gruppe? Kann es die Bedürfnisse anderer sehen und die eigenen äußern? Wie verhält es sich bei Konflikten? „Über solche Fragen kann man sich regelmäßig mit den Erzieherinnen und Erziehern austauschen“, sagt Sabine Hanstein. Darüber hinaus bieten Sportvereine oder private Treffen mit anderen Kindern viele Möglichkeiten, um soziale Kompetenzen zu stärken.

Motorische Kompetenzen

Mit dem so genannten Dreipunktgriff statt mit der Faust: eine gute Stifthaltung wird von Kinderärzten, Erziehern wie Vorschullehrerinnen oft angesprochen, wenn es um das Thema Einschulung geht. „Tatsächlich ist es sehr schwierig, sich eine ungünstige Stifthaltung wieder abzugewöhnen. Und sie kann für die Hand beim Schreiben oft sehr anstrengend sein“, sagt Sabine Hanstein. Sie sagt aber auch: „Damit eine günstige Stifthaltung überhaupt möglich ist, muss die gesamte Motorik gut entwickelt sein.“

Denn beim Schreiben sind sehr viele Muskeln beteiligt. Zudem braucht man eine gute Orientierung im Raum, um zu verstehen, wo bei Buchstaben oben und unten, rechts und links ist. „Alle körperbetonten Sportarten, bei denen man sich gut spürt und so wichtige Körper- und Raumerfahrungen sammelt, sind hier eine gute Übung“, so Hanstein. Die Feinmotorik sowie die Fingermuskulatur werden beim Kneten und Basteln trainiert, Perlen aufzufädeln oder mit Lego zu spielen, hilft ebenfalls.

Kognitive Kompetenzen

„Schreiben, Lesen und Rechnen lernen Kinder in der Schule“, sagt Sabine Hanstein. Mitbringen von zu Hause sollten sie die Grundlagen, die es braucht, um solche Dinge dort lernen zu können. Für Taha Kuzu von der Abteilung für Grundschulpädagogik der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd steht hier die so genannte Sprachhandlungsfähigkeit im Vordergrund, etwa beim Erklären und Beschreiben von Zusammenhängen und Beobachtungen. „Eltern unterstützen das, indem sie mit ihren Kindern ins Gespräch kommen, ihnen gut zuhören, sie durch geschickte Rückfragen zum Sprechen animieren“, so Kuzu. Solche Interaktionen seien zentral für die frühe Sprachförderung.

Wer beispielsweise mit Kindern einen Zoo besuche, sollte sich währenddessen und danach auch darüber austauschen, was es dort zu sehen gibt. „Im schlimmsten Fall bekommen die Kinder aber im Zoo ein Spielzeug oder Handy in die Hand und erzählen wenig. Oder man besucht den Zoo, spricht aber kaum über die Erlebnisse“, sagt Taha Kuzu. Ebenfalls gute Sprechanlässe schafft man beim Vorlesen sowie beim gemeinsamen Anschauen von Büchern.

Auch für den Matheunterricht ist es weniger entscheidend, dass ein Kind die Zahlen von 1 bis 100 in der richtigen Reihenfolge aufzählen kann. „Es geht vielmehr um ein erstes, stabiles Zahlenverständnis in kleineren Zahlenräumen“, sagt Taha Kuzu. Also dass hinter der Zahl zwei eine Menge steckt, beispielsweise zwei Bonbons. Und dass die Rangfolge der Zahlen nicht beliebig ist, sondern die zwei immer vor der drei kommt – und das auch einen Grund hat.

„Auch erste räumliche Vorstellungen wie vor, hinter oder neben Objekten sind für den Mathe-Unterricht wichtig“, sagt Taha Kuzu. Solche Dinge lassen sich natürlich auch in Vorschulblöcken üben. „Meist werden sie aber im Rahmen von spielerischen Aktivitäten mitgeschult. Und eine solche Förderung in einer geeigneten Spielumgebung ist zentral“, sagt Taha Kuzu.

Wenn Eltern sich viel mit ihren Kindern austauschen, sie aktiv in den Familienalltag einbeziehen, Treffen mit anderen Kindern und viel Bewegung ermöglichen, ihre Neugier fördern und vor allem viel Zeit zum Spielen (nicht am Smartphone) lassen und auch mal mitspielen – dann können Kinder auch ohne ein Vorschulbuch gut vorbereitet in die Schule gehen.

Info

EinschulungsuntersuchungBereits im vorletzten Kindergartenjahr gibt es in Baden-Württemberg inzwischen einen Austausch zwischen Kindergarten, Eltern sowie Gesundheitsamt. Teil davon ist auch eine Untersuchung, unter anderem zu Motorik, Sprache, Mengenerfassung sowie Verhalten. Bei etwaigen Auffälligkeiten bleibt so noch Zeit für Fördermaßnahmen bis zum Schulbeginn. Im letzten Kindergartenjahr haben die Kooperationslehrkräfte von Schule und Kindergarten die Möglichkeit, bei den Kindern eine weitere schulärztliche Untersuchung zu empfehlen, deren Schulfähigkeit ihnen dann noch gefährdet scheint. (mar)

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Erstellt:
25. Januar 2025, 08:10 Uhr
Aktualisiert:
25. Januar 2025, 15:22 Uhr

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