„Haushaltsberatungen“: Grün-Schwarz vor Belastungsprobe

dpa/lsw Stuttgart. Der Speck soll weg - aber wo? Grüne und CDU ändern knapp zwei Monate nach ihrem Start ihren Kurs und wollen nach der Corona-Krise auch sparen. Aber kann der Südwesten so zum „Klimaschutzland Nummer Eins“ werden?

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Foto: Marijan Murat/dpa/Archivbild

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Foto: Marijan Murat/dpa/Archivbild

Die grün-schwarze Koalition im Südwesten will im kommenden Jahr ohne neue Schulden auskommen und dafür auf Sparkurs gehen. Jedoch setzte die CDU am Sonntag ein erstes Stoppschild: Kommunen und Beamte sollen verschont werden. „Ich möchte kein Sparen zulasten Dritter“, sagte der CDU-Finanzpolitiker Tobias Wald der Deutschen Presse-Agentur. Er schlug stattdessen vor, „liebgewonnene Förderprogramme“ auf den Prüfstand zu stellen. Das dürfte in der Koalition noch für heftige Diskussionen sorgen, denn das Personal ist mit Abstand der größte Ausgabenposten im Haushalt. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz sagte der dpa: „Wir freuen uns über jeden Einsparvorschlag.“ Innenminister und CDU-Landeschef Thomas Strobl sagte voraus: „Das werden hammerharte Haushaltsberatungen.“

Die Spitzen von Grünen und CDU hatten sich am Freitagabend in der Haushaltskommission darauf geeinigt, die Schuldenbremse nach zwei Ausnahmen hintereinander wieder einzuhalten. „Es gibt keine neuen Schulden“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) der dpa. Die Eckpunkte des Etats seien „in trockenen Tüchern“. Sie sollen am 20. Juli im Kabinett beschlossen werden. Die Ministerien müssen mindestens 250 Millionen Euro sparen - wenn der erwartete Aufschwung nach Corona schwächer ausfällt als erwartet, könnte der Betrag noch steigen. Kurz vor Weihnachten - also nach der Steuerschätzung im November - soll der Haushalt im Landtag beschlossen werden.

Kursänderung nach einem Nachtrag mit Milliardenschulden

Die Entscheidung gegen neue Schulden hat weitreichende Folgen, denn Corona hat ein Riesenloch in die Landeskasse gerissen. Zudem hatte Grün-Schwarz zu ihrem Start im Mai versprochen, Baden-Württemberg zum „Klimaschutzland Nummer Eins“ zu machen. Nun sprach Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) von einem „Haushalt des Übergangs“. „Das Wünschenswerte muss warten“, sagte CDU-Fraktionschef Manuel Hagel. Zuletzt war in der Koalition viel von „enkelgerechter Finanzpolitik“ die Rede. Doch das neue Bauministerium, weitere Posten für Staatssekretäre, der Nachtragsetat mit Schulden und Überlegungen zu einer Aufweichung der Schuldenbremse bei den Grünen hatten heftige Kritik bei der Opposition ausgelöst.

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke hält die Entscheidung gegen neue Schulden nur für einen Trick, weil die Koalition längst vorgesorgt habe. „Die Neuverschuldung 2022 versteckt die grün-schwarze Koalition in den nicht benötigten Verschuldungsrechten des aktuellen Haushalts und den kreuzunnötigen neuen Schulden des anstehenden Nachtragshaushalts.“ Bei Grün-Schwarz wird darauf verwiesen, dass man es im Land im nächsten Jahr anders machen wolle als der Bund: Finanzminister Olaf Scholz (SPD) will 97 Milliarden Euro neue Kredite aufnehmen - mit Hinweis auf den Corona-Notstand.

Bittere Pille vom Finanzminister

Bayaz bezifferte die corona-bedingte Deckungslücke auf gut 3,6 Milliarden Euro. „Jedes Ressort wird deshalb auch Einsparungen leisten müssen, es gibt nur einen schmalen Korridor für Mehrausgaben.“ Grün-Schwarz wolle trotzdem gezielt in wichtige Zukunftsprojekte investieren. Bayaz sagte: „So bleiben wir als Landesregierung handlungsfähig.“

345 Millionen Euro für politische Projekte

Die Vorlage, die sein Ministerium erarbeitet hat und die der dpa vorliegt, spricht zunächst einmal eine andere Sprache. Die Lücke wird auf genau 3,628 Milliarden Euro beziffert. Doch damit nicht genug: Der Nachtragsetat, den Bayaz am Mittwoch in den Landtag einbringen will, enthält politische Maßnahmen und Vorfestlegungen, die im Haushalt 2022 Kosten in Höhe von 343 Millionen Euro auslösen. Der Korridor für Mehrausgaben wird auf 345 Millionen Euro festgelegt. Macht unterm Strich: 4,316 Milliarden Euro.

Finanzministerium: „Moderate Konsolidierungsauflage“

Woher soll das Geld aber kommen, ohne neue Schulden? Zunächst rechnet das Ministerium wegen der Mai-Steuerschätzung mit Mehreinnahmen für 2022 in Höhe von 1,151 Milliarden Euro. Zudem setzt das Ressort darauf, dass die Konjunktur nach Corona wieder anspringt und die Steuerquellen stärker sprudeln. Das Plus wird auf 315 Millionen Euro angesetzt. Der größte Batzen soll aus Haushaltsresten und nicht genutzten Verschuldungsrechten aus dem Jahr 2020 kommen: Hier geht das Ressort von 2,6 Milliarden Euro aus. Übrig bleibt ein Delta von 250 Millionen Euro, das eingespart werden muss. In der Vorlage ist von einer „moderaten Konsolidierungsauflage“ die Rede.

Der Speck soll weg - aber wo?

Vor allem im August will Bayaz die „Chefgespräche“ mit den anderen Ministerinnen und Ministern über Investitionen und Sparbeiträge führen. CDU-Politiker Wald sagte, Städte und Gemeinden müssten die Folgen der Corona-Krise bewältigen, hier müsse das Land weiter helfen. Er sei dagegen, den Beamten im Land etwa die Beihilfe zu kürzen. Wald geht davon aus, dass über den Posten Allgemeine Finanzverwaltung etwa 100 Millionen Euro eingespart werden können. Das würde bedeuten, dass die anderen Ressorts noch 150 Millionen bringen müssten. Man müsse da hinschauen, „wo ein bisschen Speck angesetzt wurde“. Möglich sei auch, Fördergelder des Bundes oder der Europäischen Union, mal verfallen zu lassen, weil man sie nicht kofinanzieren könne.

Die Corona-Krise hat tiefe Spuren im Landesetat hinterlassen. 2020 hatte die alte grün-schwarze Regierung deshalb die Schuldenbremse ausgesetzt und neue Kredite in Höhe von 13,5 Milliarden Euro für den Doppelhaushalt aufgenommen. Zuletzt hatte die Koalition einen Nachtragsetat beschlossen, der neue Kredite in Höhe von 1,2 Milliarden Euro vorsieht. CDU-Fraktionschef Hagel sieht keine Alternative zu dem Kurs ohne neue Schulden. Man könne nur neue Impulse setzen, „wenn wir alte Zöpfe anderswo abschneiden“.

Und was, wenn die Virusvarianten die Krise noch verlängern?

Dann hätte Grün-Schwarz noch eine Art Sparstrumpf. Die Koalition könnte einen ungenutzten Corona-Rettungsfonds für mittlere Firmen mit einem Volumen von einer Milliarde Euro auflösen. Die Frist für den Beteiligungsfonds läuft noch bis Ende September 2021. „Die „frei“ werdenden Mittel können entweder zur Finanzierung von Corona-Mehrbedarfen oder zur Sondertilgung der Notkredite verwendet werden“, schlägt das Ressort vor.

Der Kampf ums Geld beginnt erst

Wegen der relativ leeren Kassen hat Grün-Schwarz alle geplanten Projekte unter Haushaltsvorbehalt gestellt. Hagels grüner Kollege Schwarz zeigte sich trotzdem optimistisch: „Die Konjunktur zieht an. Durch die Steuermehreinnahmen erhalten wir so mehr Möglichkeiten zum Investieren.“

Trotzdem wird Grün-Schwarz nicht umhin kommen, verstärkt politische Prioritäten zu setzen. Das birgt Zündstoff: Strobl will mehr Stellen für die Polizei, Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) kämpft um Lehrerstellen. Zugleich soll mehr in Klimaschutz und die Verkehrswende investiert werden. Das Ringen um das knappe Geld beginnt nun erst. „Das wird kein Spaß“, soll Kretschmann in der Haushaltskommission gesagt haben. Bayaz twitterte am Wochenende: „Frei nach Hannah Arendt muss der Haushalt keinen Spaß, sondern Sinn machen.“

© dpa-infocom, dpa:210708-99-311592/5

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Erstellt:
9. Juli 2021, 01:55 Uhr

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