Sport Boss übergibt Geschäft an Sport Flöss
Seit über 43 Jahren betreibt die Firma Sport Boss ihre Geschäfte in Backnang. Altersbedingt übergibt nun Rosemarie Boss das Sportfachgeschäft in der Sulzbacher Straße an einen Intersport-Kollegen mit Stammhaus in Esslingen. Alle Beschäftigten werden zum neuen Inhaber wechseln.
Von Florian Muhl
Backnang. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge übergibt Rosemarie Boss ihr Geschäft. Die 65-Jährige trennt sich praktisch von ihrem Lebenswerk. Seit 1981 hat sie zusammen mit ihrem Ehemann Thomas das Sportfachgeschäft Sport Boss geleitet. „Mein Mann und ich zusammen in einem Betrieb, das hat eigentlich immer gut geklappt. Jeder hat seinen Bereich gehabt“, sagt sie. „Wir haben gemeinsam gearbeitet. Bis 2016.“ Bis zu jenem Tag im Juni 2016, an dem mit einem Schlag alles anders werden sollte. Thomas Boss ist ganz plötzlich und unerwartet an einem Aneurysma gestorben. „Das war schon ein Schlag, für uns alle.“ Die Unternehmerin schließt ihre Beschäftigten bewusst mit ein. „Wir haben hier bei uns wirklich immer ein tolles Team gehabt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in dieser schweren Zeit alle zu mir gestanden und haben mich unterstützt, ich hätt’s allein nicht geschafft.“
Unterstützung hatte die Geschäftsführerin damals auch durch ihren Sohn David. Der heute 32-jährige Grafikdesigner, der bis 2016 erfolgreich in einer Stuttgarter Agentur gearbeitet hatte, sagte nach dem Tod des Vaters zu seiner Mutter: „Sport ist mein Leben, ich mach’ mal mit, ich kann’s mir vorstellen“, so Rosemarie Boss. Er habe dann sofort den Ein- und Verkauf von Schuhen und Sportartikeln übernommen, habe sich sehr schnell hineingearbeitet und habe alles super erledigt. Zudem sei er für die Werbung und das Erscheinungsbild von Sport Boss verantwortlich.
Bürokratie und Personalmangel machen die Geschäftsübergabe oft schwierig
„Es war aber immer so, dass wir gesagt haben: Wenn ich mich zurückziehe und er das nicht alleine weitermachen möchte, dann ist das kein Problem, wir finden eine Lösung dafür“, sagt Rosemarie Boss. Ihr Sohn habe das so entschieden und das sei auch völlig in Ordnung. Die 34-jährige Tochter Laura, die als Wirtschaftsinformatikerin tätig ist, habe von Anfang an klar gemacht, dass für sie eine Mitarbeit im Geschäft nicht infrage komme. „Aber eine Lösung haben wir Gott sei Dank jetzt ganz, ganz schnell mit der Firma Flöss auch gefunden“, freut sich Rosemarie Boss.
Das Thema Geschäftsübergabe ist ein ganz schwieriges, so die Unternehmerin: „Es ist heutzutage schwierig für die ältere Generation. Man sieht’s ja bei der IHK, die hat die nächsten Jahre so viele Unternehmen, die eigentlich einen Nachfolger brauchen.“ Aber aus den Familien würde kaum mehr Nachwuchs beziehungsweise Interesse kommen. „Wenn, dann kann man’s wirklich nur fremd vergeben.“ Und die Gründe für mangelndes Interesse? „Es liegt vor allem an diesem wahnsinnigen Bürokratiewust, den wir nebenher zu bewältigen haben“, so ihre Erfahrungen. Einkauf, Verkauf, Organisation, das sei alles kein Problem. „Wenn ich jetzt noch weiß Gott was für Listen und Dokumente führen muss, einfach um irgendwelchen bürokratischen Forderungen Folge zu leisten, dann ist das wahnsinnig anstrengend und zeitaufwendig.“ Zu unterschätzen sei zudem auch nicht der momentane Fachkräftemangel.
In der Uhlandstraße hat alles angefangen
Mit der Übergabe an Sport Flöss wird auch ein traditionsreicher Name im Backnanger Geschäftsleben verschwinden. Denn auch der Schwager von Rosemarie Boss, Michael Boss, hat angekündigt, Ende Dezember mit dem Schuhprofi-Markt in der Sulzbacher Straße sein letztes Schuhgeschäft schließen zu wollen. Ein Blick zurück: Mit der Schuhmacherwerkstätte von Gottlieb Beerwart im Haus des Metzgers Schweizer in der Backnanger Uhlandstraße hat alles angefangen. Das Haus existiert heute nicht mehr, es stand bis in die 1960er-Jahre an der Ecke gegenüber dem heutigen Café Weller. Beerwart eröffnete am 11. Januar 1887 ein Schuhwarengeschäft und kaufte etliche Jahre später das Gebäude Uhlandstraße 11, bis Ende 2017 das Stammhaus der Familie Boss.
Die Tochter und der Schwiegersohn des Firmengründers, Mathilde und Karl Waldmann, wurden 1920 die Geschäftsnachfolger. Der Schwerpunkt verlagerte sich in Richtung Schuhhandel. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm die Tochter Margarete der Eheleute Waldmann zusammen mit Ehemann Wilhelm Boss den Betrieb. Sie gaben ihm den Namen „Waldmann-Boss“.
„Mein Mann hat 1978 in diesem Schuhhaus in der Uhlandstraße im zweiten Stock eine Sportabteilung gegründet. Er war ja auch ein unheimlicher Sportler, er war an jedem Sport interessiert, ob Gleitschirmflieger oder Ballett- und Trickski“, erinnert sich Rosemarie Boss. Alles, was irgendwie an Neuem im Sport aufgetaucht sei, habe er ausprobiert.
Der Standort ist nach Umbauten und Modernisierungen gut aufgestellt
1980 wurde das Sauer-Gebäude Am Obstmarkt 1 – heute Schwarzmarkt – frei. Wilhelm Boss zog mit seinen beiden Söhnen Michael (Schuhabteilung) und Thomas (Sportabteilung) von der Uhlandstraße ins neue Gebäude. „Dort waren wir 20 Jahre lang, von 1980 bis 2000, in einer Kooperation in einem Haus“, sagt die Sport-Boss-Chefin. Zwei separate Firmen wurden gegründet, um das Unternehmen an die nächste Generation weiterzugeben. „Meinen Schwiegereltern haben wir in dieser Zeit unheimlich viel zu verdanken gehabt, die haben sich jahrelang noch engagiert. Meine Schwiegermutter hat praktisch aus dem Nichts plötzlich, von einem Tag auf den anderen, Sport wie Trainingsanzüge und Skioveralls eingekauft.“
Rosemarie Boss, die Betriebswirtschaft an einer Berufsakademie studiert hatte, ist 1981 mit ins Geschäft eingestiegen und war im Büro tätig. „1994 hat unser Schwiegervater seine Anteile an uns verkauft und ist dann altershalber auch ausgestiegen“, berichtet die Unternehmerin. Im Oktober 2000 bezog Sport Boss seinen Standort an der Sulzbacher Straße 140 auf zirka 800 Quadratmetern auf einer Ebene. Aufgrund mehrerer Umbauten und Modernisierungen ist der Standort bestens aufgestellt.
Und was macht Rosemarie Boss, wenn sie keine Unternehmerin mehr ist? „Ich freue mich auf mein erstes Enkelchen, das wir zum Jahreswechsel erwarten“, strahlt die 65-Jährige. Dann wird sie in erster Linie auch Sport treiben. „Das ist die letzten Jahre ins Hintertreffen geraten.“ Aufs Wandern freut sie sich, aufs Radfahren und auf Fitness allgemein. Und sie will sich geistig einbringen, „irgendetwas Ehrenamtliches machen“, so ihre Vorstellungen.
Räumungsverkauf Aufgrund der Übergabe an die neuen Inhaber wird das gesamte Warensortiment in den nächsten Wochen zu Sonderpreisen abverkauft. Kunden dürfen sich auf Preisnachlässe zwischen mindestens 20 bis 50 Prozent freuen.Übernahme Neuer Eigentümer wird Intersport Sport Flöss aus Esslingen sein. Die Firma unterhält neben dem Stammhaus in Esslingen zwei weitere Filialen in Göppingen und Waiblingen.
Tradition Die Sport-Flöss-Gruppe ist ebenfalls ein familiengeführtes Unternehmen in vierter Generation. 1888 wurde das Unternehmen von den Urgroßeltern des heutigen Inhabers Thomas Flöss gegründet. Nach Eintritt in das elterliche Unternehmen und der Übernahme im Jahre 1987 baute er das Unternehmen kontinuierlich aus.
Sortiment Neben den gleichen Schwerpunkten im Sortiment wird ebenfalls viel Wert auf eine kompetente Beratung durch serviceorientierte und freundliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelegt. Ein weiterer wichtiger Sortimentsschwerpunkt neben Sport- und Wanderschuhen sowie der Outdoorabteilung wird der Wintersportbereich sein.
Wechsel Alle zurzeit beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden zum neuen Inhaber wechseln und dem Sportfachgeschäft treu bleiben.