„Fund des Jahres“ aus Welterbe-Höhle

Steinzeit-Schätze aus dem Hohle Fels

Die Wiege der Kultur liegt auf der Schwäbischen Alb. Im Hohle Fels, einer Höhle bei Schelklingen, haben Archäologen Entdeckungen von Weltrang gemacht – wie die weltberühmte Venus. Jetzt wurde eine weitere Figur aus Mammutelfenbein präsentiert.

Laut Conard wurden in diesen eiszeitlichen Höhlen rund 120 Fragmente aus Mammutelfenbein gefunden. Die meisten von ihnen konnten bisher nicht gedeutet werden. Doch mit dem diesjährigen „Fund des Jahres“ sind es 34 Artefakte, die eindeutig als Tiere definieren werden können.

© Universität Tübingen/Ria Litzenberg

Laut Conard wurden in diesen eiszeitlichen Höhlen rund 120 Fragmente aus Mammutelfenbein gefunden. Die meisten von ihnen konnten bisher nicht gedeutet werden. Doch mit dem diesjährigen „Fund des Jahres“ sind es 34 Artefakte, die eindeutig als Tiere definieren werden können.

Von Markus Brauer

Tierfigurinen aus Elfenbein wie das kleine Mammut und der im Jahr 2023 durch einen Fragmentfund ergänzte Höhlenbär aus dem Unesco-Welterbegebiet „Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb“ haben internationale Berühmtheit erlangt.

Steinzeitliche Figurinen erstrahlen in neuem Licht

Jetzt haben Archäologen der Universität Tübingen in der Naturhöhle Hohle Fels unweit von Schelklingen in Schichten der Jüngeren Altsteinzeit (45.000 bis 11.700 Jahre) den Körper einer weiteren Figur geborgen. „Sie hat das Zeug dazu, unseren Blick auf die Elfenbeintiere in ein neues Licht zu rücken“, sagt Nicholas Conard vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen. Die außergewöhnliche Figur gebe Einblicke in die komplexe Vorstellungswelt eiszeitlicher Jäger und Sammler vor mehr als 40 000 Jahren.

Der 63-Jährige ist prähistorischer Archäologie und Direktor der Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie – und eine weltweite Koryphäe. Seit rund 30 Jahren gräbt der Deutsch-Amerikaner in den Karsthöhlen auf der Schwäbischen Alb. So fand sein Team, in dem Forscher und Studenten aus aller Welt mitarbeiten, im Jahr 2008 im Hohle Fels eine fast vollständige Flöte aus der Speiche eines Gänsegeiers.

Otter aus Mammutelfenbein

Das 40 000 bis 38 000 Jahre alte Artefakt stellt nach Ansicht der Spatenforscher einen Otter dar. Das Besondere: Der Fund ist im Gegensatz zu anderen Figurinen nicht mit verzierenden Ritzmustern versehen.

Das Fragment aus Mammutelfenbein ist 5,9 Zentimeter lang, 1,5 Zentimeter hoch und einen halben Zentimeter breit. Ein Kunstwerk von gedrungener Form mit kurzem, spitz zulaufenden Schwanz. Die Beine des Tieres sind sehr kurz, der Hals dagegen sehr lang. Der Kopf ist abgebrochen und fehlt.

Eine der größten natürlichen Kathedralen Deutschlands

Die Otter-Figurine wurde im Hohle Fels auf der Schwäbischen Alb gefunden. Frederik Mygdam von der dänischen Universität Arhus, der zu Conards  Grabungsteam gehört, hatte sie am 20. Juli vergangenen Jahres entdeckt.

Der Eingang zu der Naturhöhle unweit der Gemeinde Schelklingen ist durch ein massives Eisentor versperrt. Nach wenigen Metern führt ein Steg in eine von spärlichem elektrischem Licht erhellte majestätische Halle. Mit rund 500 Quadratmetern Grundfläche ist die Karsthöhle eine der größten natürlichen Kathedralen in Deutschland. 

 

 

Sommer-Saison im Hohle Fels

Vor dem Eingang zur großen Halle steigt man eine schmale Leiter in die Grabungsstätte hinab. Auf dem terrassierten Untergrund sind Sandsäcke ausgebreitet. Mitarbeiter des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Uni Tübingen arbeiten jeden Sommer in der Grube. Mit feinen Stuckateureisen schaben sie die lehmige Erde vorsichtig Millimeter für Millimeter beiseite.

„55 000–65 000 vor heute“ steht mit schwarzen Buchstaben auf einem weißen Schild, das auf einem Sandsack postiert ist. Nur wenige Steinwerkzeuge aus Jurahornstein, der in der Nähe des Hohle Fels liegt, haben die Spatenforscher gefunden – hauptsächlich Knochen vom Höhlenbären.

Einblicke in eine untergegangene Welt

Um ein Vielfaches reichhaltiger sind die Funde aus der Zeit vor 43 500 bis 31 000 Jahren. Damals wanderten die ersten modernen Vertreter des Homo sapiens aus Afrika über den Nahen Osten entlang der Donau in das heutige Baden-Württemberg ein.

Achtlos liegen gelassene Kleinigkeiten, schwärzliche Flecken im Sediment, die auf eine Feuerstelle hindeuten, Bruchstücke von Elfenbein oder Knochenfragmente sind für die Forscher von unschätzbarem Wert. Vermitteln sie doch Einblicke in eine untergegangene Welt, die mit viel Geduld dem Vergessen entrissen wird. Jedes noch so kleine Stück kann Aufschluss über den Alltag in der Steinzeit geben.

Hohle Fels – eine steinzeitliche Schatzkammer

Der Ausgrabungsbereich ist in Quadrate zu je einem Quadratmeter unterteilt. Von oben nach unten werden die einzelnen Schichten akribisch durchsucht, die im Laufe von Zehntausenden von Jahren durch menschliche Besiedlung, Sedimente und Abbrüche von der Höhlendecke und den Wänden entstanden sind. Der Hohle Fels ist eine wahrlich steinzeitliche Schatzkammer.

 

 

Mit einem Vermessungsgerät wird jede Fundstelle angepeilt. Der rote Laserpunkt markiert, wo gemessen wird. Danach berechnet ein Computer anhand von zuvor gemessenen Punkten die 3D-Koordinaten und speichert sie in der lokalen Datenbank. Am Abend werden die Informationen in eine zentrale Datenbank eingefügt. Ein kurzer Blick in den Rechner – und schon wissen die Archäologen, wie viele Einzelfunde seit 1997 im Hohle Fels gemacht wurden.

Wo der Mensch die Kultur entdeckte

Vor rund 40 000 Jahren hat der moderne Mensch vermutlich erstmals figürliche Kunstwerke und Musikinstrumente geschaffen. Zu den wichtigsten Fundstätten gehören sechs Eiszeit-Höhlen am Rande der Schwäbischen Alb, die seit Sommer 2017 Weltkulturerbe sind.

  • Im Geissenklösterle unweit von Blaubeuren (Alb-Donau-Kreis) wurde ein Bär, ein Wisent und das Halbrelief einer menschlichen Figur aus Mammutelfenbein gefunden sowie Flöten aus Elfenbein und Vogelknochen – die ältesten Musikinstrumente der Erde.
  • In der Sirgensteinhöhle bei Blaubeuren fandenSpatenforscher Kratzwerkzeuge, Steinklingen, Knochengeräte wie Geschossspitzen sowie eine doppelt gelochte Perle.
  • Der Hohle Fels bei Schelkingen (Alb-Donau-Kreis) ist Fundort der berühmten Venus vom Hohle Fels, der weltweit ältesten Frauenfigur. Weitere Funde sind ein Wasservogel und ein Pferdekopf aus Mammutelfenbein sowie Flöten aus Knochen des Gänsegeiers.
  • Die Bocksteinhöhle liegt bei Rammingen (Alb-Donau-Kreis) und barg Schmuckgegenstände wie durchlochte Tierzähne sowie das Bocksteinmesser, ein Steinwerkzeug.
  • Im Hohlenstein bei Asselfingen (Alb-Donau-Kreis) wurde der weltberühmte Löwenmensch entdeckt. Die 31-Zentimeter-Statuette aus einem Mammutstoßzahn stellt ein Mischwesen aus Mensch und Höhlenlöwe dar.

 

 

  • Die Vogelherdhöhle liegt bei Niederstotzingen (Kreis Heidenheim). Dort fand man Tierfiguren, darunter ein Wildpferd und ein besonders fein gearbeitetes kleines Mammut.

Ältestes Kunstwerk der Welt

Die Fundstätte im Achtal, anderthalb Kilometer von Schelklingen entfernt, ist so reich an steinzeitlichen Artefakten wie nur wenige Fundorte. Was die Wissenschaftler hier dem Erdreich und dem Vergessen entrissen haben, sprengt jede Vorstellungskraft.

 

 

 

 

Die filigranen Tierdarstellungen aus Elfenbein, nur wenige Zentimeter groß und doch ungeheuer ausdrucksstark und detailgetreu, zählen zu den ältesten figürlichen Kunstwerken der Menschheit. Die berühmteste Kostbarkeit ist zweifelsohne die Venus vom Hohle Fels, die am 5. August 2008 von einer Schweizer Studentin gefunden wurde.

Die knapp sechs Zentimeter hohe Figurine aus Mammutelfenbein ist das älteste je entdeckte Kunstwerk aus der Hand des modernen Menschen. „Der Fund ist etwa 40 000 Jahre alt. Weltweit gibt es keinen Standort, wo ältere figürliche Kunst bekannt ist“, berichtet Conard.

Venusfigurinen sind Statuetten weiblicher Körper, die in archäologischen Siedlungen des Jungpaläolithikums gefunden wurden. Die Kleinkunstwerke stammen überwiegend aus dem jüngeren Gravettien (31 000 bis 24 000 vor Chr.) oder aus dem Magdalénien.

Unversehrte Relikte aus der Steinzeit

Totenstille herrscht in der Schelklinger Felskathedrale. Ab und an fällt ein Wassertropfen von der Decke auf den mit Sedimenten und Kalkversturzblöcken übersäten Boden. Abgesehen davon ist kein Geräusch zu hören - weder der Lärm der entfernt vorbeifahrenden Autos noch jener der Lastwagen, die ihre Ladung aus einem Steinbruch auf der nahe gelegenen Bundesstraße 492 transportieren.

 

 

Konstante zehn Grad Celsius herrschen das ganze Jahr über in der Höhle. Die Bedingungen sind optimal für eine Konservierung von Artefakten und Fossilien. Wie Maulwürfe graben sich die Forscher im Schneckentempo durch die Erdschichten. Etwa 20 Zentimeter pro Saison, die jedes Jahr von Ende Juni bis August dauert. Im Herbst ist die Höhle wegen der dort nistenden Fledermäuse geschlossen.

Info: Hohle Fels

Weltkulturerbe Unter dem Titel „Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb“ wurden 2017 sechs Höhlen, darunter der Hohle Fels und die sie umgebende Landschaft im Ach- und Lonetal, in die Unesco-Welterbeliste eingetragen.

Hohle Fels Die Karsthöhle, die aus einem 15 Meter langen Gang und einer rund 500 Quadratmeter großen Halle besteht, ist neben der Vogelherdhöhle (Niederstotzingen), dem Hohlenstein-Stadel (Asselfingen) und dem Geißenklöstele (Blaubeuren) einer der wichtigsten Fundplätze der Jungsteinzeit (Jungpaläolithikum) in Mitteleuropa.

Erforschung Seit der Töpfer Karl Friedrich Rixinger im Jahr 1830 im Hohle Fels beim Graben nach Lehm und Ton durch Zufall auf die Knochen eines Höhlenbären stieß, ist die Alb-Höhle eine Parade-Grabungsstätte für Paläontologen. Erste Grabungen der beiden Pfarrer und Naturforscher Oscar Fraas und Josef Hartmann brachten in den Jahren 1870/187171 Knochenreste von Höhlenbären, Rentieren, Mammuts und Wildpferden zutage. 1958 bis 1960 wurde abermals gegraben – von dem Prähistoriker Johannes Gustav Riek. Ab 1977 folgte dann die systematische millimeterweise Erkundung des Erdreichs in der Höhle durch das baden-württembergische Landesamt für Denkmalpflege – erst unter Joachim Hahn und seit 1997 unter Nicholas Conard.

Zeitreise in die Steinzeit Wer in die Mysterien der Steinzeit auf der Schwäbischen Alb eintauchen und die bedeutendsten Funde sehen will, kann dies in folgenden Museen tun:

• Museum Schloss Hohentübingen: Burgsteige 11, 72070 Tübingen, www.unimuseum.uni-tuebingen

• Landesmuseum Württemberg: Altes Schloss, Schillerplatz 6, 70173, www.landesmuseum-stuttgart.de

• Urgeschichtliches Museum Blaubeuren: Kirchplatz 10, 89143 Blaubeuren, www.urmu..de

So sah es bei den Sommer-Grabungen im Jahr Jahr 2023  im Hohle Fels aus – eigentlich  so wie jedes Jahr.

© Universität Tübingen/Alexander Janas

So sah es bei den Sommer-Grabungen im Jahr Jahr 2023 im Hohle Fels aus – eigentlich so wie jedes Jahr.

Die Fundlage der Elfenbeinfigurine am Tag der Entdeckung durch Frederik Mygdam (re., mit Martyna Lech)

© Universität Tübingen/Alexander Janas

Die Fundlage der Elfenbeinfigurine am Tag der Entdeckung durch Frederik Mygdam (re., mit Martyna Lech)

Das Elfenbeinfragment ist unterhalb des Messstabes deutlich zu erkennen.

© Universität Tübingen/Alexander Janas

Das Elfenbeinfragment ist unterhalb des Messstabes deutlich zu erkennen.

„Fund des Jahres“: Eine 40 000 bis 38 000 Jahre alte Tierfigurine aus Mammutelfenbein, die einen Otter darstellen soll.

© Universität Tübingen/Ria Litzenberg

„Fund des Jahres“: Eine 40 000 bis 38 000 Jahre alte Tierfigurine aus Mammutelfenbein, die einen Otter darstellen soll.

Die Tierfigurine wurde im Hohle Fels bei Schelklingen entdeckt.

© Universität Tübingen/Jens Burkert

Die Tierfigurine wurde im Hohle Fels bei Schelklingen entdeckt.

Ein Kunstwerk von gedrungener Form mit kurzem, spitz zulaufenden Schwanz. Die Beine des Tieres sind sehr kurz, der Hals dagegen sehr lang. Der Kopf ist abgebrochen und fehlt.

© Universität Tübingen/Ria Litzenberg

Ein Kunstwerk von gedrungener Form mit kurzem, spitz zulaufenden Schwanz. Die Beine des Tieres sind sehr kurz, der Hals dagegen sehr lang. Der Kopf ist abgebrochen und fehlt.

Fischotter leben bereits seit fünf Millionen Jahren auf der Erde.

© pixabay

Fischotter leben bereits seit fünf Millionen Jahren auf der Erde.

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Erstellt:
25. Juli 2024, 14:36 Uhr
Aktualisiert:
25. Juli 2024, 16:49 Uhr

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