Steuerbetrüger-Portal könnte Schule machen

dpa Berlin/Stuttgart. Im Schatten der Bundestagswahl war die Kritik am neuen Meldeportal gegen Steuerbetrug aus Baden-Württemberg lautstark. Nun zeigt sich: die Idee könnte kein Einzelfall bleiben. Auch wenn anonyme Hinweise für die meisten Deutschen nicht in Frage kommen.

Ein Schild mit dem Schriftzug „Ministerium für Finanzen“ steht vor dem Finanzministerium. Foto: Bernd Weissbrod/dpa/archivbild

Ein Schild mit dem Schriftzug „Ministerium für Finanzen“ steht vor dem Finanzministerium. Foto: Bernd Weissbrod/dpa/archivbild

Trotz scharfer Kritik und Internethetze gegen die bundesweit erste Online-Plattform für Hinweise auf Steuerbetrug könnte das neue baden-württembergische Angebot Schule machen. Nach einer „Welt“-Umfrage (Freitag) erwägt mindestens ein weiteres Bundesland die Einführung eines solchen digitalen Meldeportals, andere zeigen sich interessiert an einem bundesweiten Modell.

Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold sagte „Welt“ und „Handelsblatt“ (Freitag): „Bei der Digitalisierung der Verwaltung sollten wir möglichst keinen Bereich ausnehmen.“ In diesem Sinne prüfe die Landesregierung auch die Einrichtung eines entsprechenden Online-Portals. Thüringen kann sich dagegen keinen Alleingang vorstellen. Landesfinanzministerin Heike Taubert (SPD) hält aber eine bundesweite Lösung für nicht ausgeschlossen. Ein Onlineangebot für anonyme Anzeigen könne aus „Akzeptanzgründen in der öffentlichen Wahrnehmung wenn dann besser im Länderverbund erreicht werden“, teilte das Ministerium in Erfurt mit.

Ähnlich klingt dies in Berlin. Derzeit sei nicht geplant, ein Portal nach dem Vorbild aus Stuttgart einzuführen, zitierte die „Welt“. Doch einen gemeinsamen Weg aller 16 Bundesländer hält auch die Senatsfinanzverwaltung von Matthias Kollatz (SPD) für denkbar.

Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) hatte das Portal am Montag freischalten lassen, um den Kampf gegen Steuerbetrüger zu verstärken. Darauf hatte es Kritik unter anderem von Union und FDP gehagelt. Bayaz verwies darauf, dass es ähnliche Projekte auch in anderen Bundesländern gebe, nur eben nicht online.

Für die meisten Menschen in Deutschland kommt ein anonymer Hinweis über Steuerbetrüger allerdings nicht in Frage. 59 Prozent der Befragten antworteten bei einer Umfrage des Instituts YouGov, ein solcher Tipp ans Finanzamt sei für sie nicht wahrscheinlich. Etwa jeder Fünfte (21 Prozent) gab hingegen an, er würde ein Angebot wie die neue baden-württembergische Online-Meldeplattform durchaus auch nutzen. 18 Prozent machten keine Angabe, wie die Umfrage ergab, deren Ergebnisse der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegen.

Die Kritik am Portal lässt auch mehrere Tage nach dessen Freischaltung nicht nach. „Zu mehr Steuergerechtigkeit kann und wird ein solches Portal nicht führen“, sagte der Präsident der Bundessteuerberaterkammer, Hartmut Schwab, der „Bild“-Zeitung (Freitag). „Online geht immer alles viel schneller und hemmungsloser. Da ist der ehemalige Arbeitgeber, das Konkurrenzunternehmen, der nervende Nachbar und sicher auch der untreue Ehepartner schnell mit einem Klick angeschwärzt.“ Er gehe davon aus, dass man sich in dem Bundesland durch „jede Menge irrelevanter Meldungen“ kämpfen müsse.

Das ist allerdings bereits heute der Fall: Nach Angaben des baden-württembergischen Finanzministeriums sind im vergangenen Jahr von 1619 Anzeigen nur 2,9 Prozent relevant gewesen für die Steuerfahndung.

Der FDP-Landesvorsitzende Michael Theurer bemängelte das weitgehende Schweigen der Südwest-CDU in der Diskussion. „Aus der Union in ganz Deutschland kommt richtigerweise heftige Kritik an dem mittelalterlichen Steuer-Pranger“ sagte Theurer der dpa in Stuttgart. „Aber die baden-württembergische CDU schweigt und macht auch diese Schnapsidee zum Schaden der Menschen und des Landes mit.“

Während sich die Parteispitze der Südwest-CDU zurückhält, kritisiert ihr Wirtschaftsflügel das Portal scharf. Das Angebot schüre das Misstrauen unter Nachbarn und stelle vor allem Hausbesitzer und Handwerker unter Generalverdacht, bemängelte die Mittelstands- und Wirtschaftsunion Baden-Württemberg (MIT). „Wir wollen nicht, dass künftig der missgünstige Nachbar einem Bauherrn hinterherspioniert, wenn ein Handwerker dessen Grundstück betritt und dann vorsorglich schon mal eine Verdachtsmeldung an die Finanzbehörden absetzt“, sagte der Landesvorsitzende Bastian Atzger. Bei einem begründeten Verdacht auf Steuerhinterziehungen seien solche Meldungen schon bisher ohne großen Aufwand möglich, sagte er weiter.

Bürger dürften nicht zu „Hilfssheriffs“ gemacht werden, sagte zudem der baden-württembergische Finanzexperte im Deutschen Bundestag, Olav Gutting (CDU).

Die Grünen um Ministerpräsident Winfried Kretschmann verteidigen die Plattform dagegen als zeitgemäßes Instrument im Kampf gegen Steuerhinterziehung. Schon bis dato habe man Steuerbetrug anzeigen können - aber per Brief oder Mail. Auch der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck verteidigte die Meldeplattform. Sie sei ein Beitrag zur Durchsetzung von Recht und Gesetz, sagte er im Interview mit „Zeit Online“. „Wie kann man dagegen sein? Außer man ist ernsthaft der Meinung, dass Steuerhinterziehung besser ist als das Aufdecken von Steuerhinterziehung.“

© dpa-infocom, dpa:210903-99-74853/4

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Erstellt:
3. September 2021, 05:53 Uhr

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