Über 19 Milliarden Euro mehr Steuern bis 2025
dpa/lsw Stuttgart. Gute Nachrichten für Grüne und CDU im Südwesten: Der Aufschwung der Wirtschaft spült wieder deutlich mehr Geld in die Landeskassen. Das weckt fast überall Begehrlichkeiten. Doch Kretschmann und Co. müssen in den nächsten Jahren auch Altlasten der Corona-Krise bewältigen.
Land und Kommunen in Baden-Württemberg dürfen sich über wieder stärker sprudelnde Steuereinnahmen freuen. Das Plus summiert sich bis 2025 auf rund 19,2 Milliarden Euro. Das ergibt sich aus der Steuerschätzung des Bundes, die das Finanzministerium in Stuttgart nun für den Südwesten heruntergerechnet hat. Das Land kann bis 2025 mit Steuermehreinnahmen in Höhe von rund 12,6 Milliarden Euro rechnen. In die Kassen von Städten und Gemeinden sollen 6,6 Milliarden Euro zusätzlich fließen. Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) sagte am Montag: „Die Konjunktur zieht an, damit steigen auch die Steuereinnahmen, das ist eine gute Nachricht für unser Land.“ Sofort wurden Forderungen laut: FDP und Steuerzahlerbund dringen auf eine Senkung der Grunderwerbsteuer, SPD und Gewerkschaften wollen mehr Investitionen in Schulen und Nahverkehr sehen.
Im laufenden Jahr soll es ein Steuerplus von 1,88 Milliarden Euro für das Land geben. „Damit liegen die Steuereinnahmen erstmals seit zwei Jahren über dem Niveau von vor der Corona-Pandemie“, erklärte Bayaz. Für 2022 geht das Land von Mehreinnahmen in Höhe von etwa 2,57 Milliarden Euro aus. Da das Finanzministerium schon mit einem Plus von einer Milliarde Euro gerechnet und dieses im Haushaltsentwurf verplant hat, kann die Regierung nun noch über rund 1,5 Milliarden Euro mehr verfügen. Schon am Abend wollen sich die Spitzen von Grünen und CDU in der Haushaltskommission treffen, um über die Verwendung des zusätzlichen Geldes im Etat 2022 zu beraten. Sie müssen auch entscheiden, wofür der Überschuss aus 2021 eingesetzt werden soll.
Finanzministerium drückt auf Euphoriebremse
Im Jahr 2023 soll es ein Plus von 2,66 Milliarden Euro geben, 2024 nochmal 2,73 Milliarden Euro und 2025 sogar 2,81 Milliarden Euro. Das sind recht gute Aussichten für die Koalition, die bis 2026 zusammen regieren will. Bayaz sieht aber auch Risiken: „Allerdings sind die globalen Lieferengpässe weiterhin ein Problem für unsere exportorientierten Unternehmen, etwa bei den Halbleitern oder beim Aluminium.“ Für die Kommunen rechnet das Ministerium mit einem Plus für das Jahr 2021 von 1,68 Milliarden Euro und für 2022 von 1,46 Milliarden Euro. 2023 sollen es 1,11 Milliarden Euro sein, 2024 1,10 Milliarden Euro und 2025 1,25 Milliarden Euro.
Trotz der Mehreinnahmen für Land und Kommunen tritt das Ministerium auf die Euphoriebremse und warnt vor überzogenen Ausgabeforderungen. Schließlich habe die Corona-Krise in den vergangenen zwei Jahren riesige Löcher in den Etat gerissen, hieß es. So klaffe allein im Doppelhaushalt 2023/2024 absehbar eine Lücke von knapp 5 Milliarden Euro. Hinzu kommt, dass die Regierung die in der Krise aufgenommenen Rekordschulden abtragen muss. Allein im Doppelhaushalt 2020/2021 nahm das Land rund 14,7 Milliarden Euro neue Kredite auf, um die Pandemie zu bewältigen und die Wirtschaft zu stützen.
Lange Wunschliste der Ministerien
Der Entwurf für den Haushalt 2022 sieht bisher vor, dass die Regierung im kommenden Jahr keine neuen Schulden aufnimmt und 474 Millionen Euro der Corona-Kredite tilgen will. Darüber hinaus will Grün-Schwarz rund 915 Millionen Euro investieren und gut 500 Millionen Euro als Polster für den weiteren Verlauf der Pandemie zurücklegen. Die Wunschliste der Ministerien für weitere Ausgaben ist lang, denn in der ersten Runde waren wegen fehlender Mittel zahlreiche Projekte abgelehnt worden.
Bayaz sagte zu den Verhandlungen am Abend: „Wir werden uns bei der Verwendung der Steuermehreinnahmen an Zielen orientieren, die wir in der Koalition gemeinsam beschlossen haben: Notkredite tilgen, gezielt in die Zukunft des Landes investieren, vor allem aber auch die Pandemie weiterhin bekämpfen.“ Angesichts der rasant steigenden Inzidenzen könnten wieder deutliche Mehrkosten auf das Land zukommen, etwa für die Wiedereinführung von Gratis-Tests oder die Infrastruktur für Impfungen zur Auffrischung des Schutzes gegen das Coronavirus.
Die Qual der Wahl: Vorschläge zum Geldausgeben
Der FDP-Haushaltsexperte Stephen Brauer und der Steuerzahlerbund schlugen vor, das Plus für eine Senkung der Grunderwerbsteuer und den sofortigen Einstieg in die Tilgung der Corona-Schulden zu verwenden. „Mit einer Entlastung hier könnte man mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen und so dafür sorgen, dass sich auch mehr junge Familien ein Eigenheim leisten können“, sagte Zenon Bilaniuk vom Steuerzahlerbund.
Für die SPD verlangte Nicolas Fink ein Investitionsprogramm in Höhe von 400 Millionen Euro für bezahlbare Wohnungen und die Zukunftsfähigkeit der Innenstädte. DGB-Landeschef Martin Kunzmann sagte: „Vorrang sollten Investitionen in Bildung, in den Nahverkehr und in das Gesundheitswesen haben. So werden die Pandemiefolgen abgemildert und gleichzeitig tut das Land mehr für das Klima.“
Der Umweltverband NABU appellierte an das Land die „hohe ökologische Schuldenlast“ abzubauen. Es brauche mehr Mittel für Klima- und Naturschutz, dies habe oberste Priorität. Die Bauwirtschaft hingegen forderte, die Mehreinnahmen vor allem in die „marode Infrastruktur“ des Landes zu stecken. „Durch den plötzlichen Investitionsstopp der Kommunen im letzten aber auch in diesem Jahr sind zahlreiche wichtige Baumaßnahmen von jetzt auf nachher gestoppt worden“, monierte Hauptgeschäftsführer Thomas Möller.
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