Tunnelbau, Kameras: Steuerzahler beklagen Verschwendung
dpa/lsw Stuttgart. Jahr für Jahr veröffentlicht der Bund der Steuerzahler sein „Schwarzbuch“ mit möglichen Fehlplanungen der Behörden und mutmaßlich rausgeschmissenen Geldern. Auch 2021 hat sich der Verein wieder Beispiele aus dem Südwesten herausgepickt.
Allzu sorglosen Umgang mit Steuergeld prangert der Bund der Steuerzahler in seinem 49. „Schwarzbuch der öffentlichen Verschwendung“ an - und zieht dafür auch elf Beispiele aus Baden-Württemberg heran. Unter anderem hätten mehrere Städte und Gemeinden sowie ein Zweckverband aus dem Südwesten viele Millionen Euro bei der Bremer Privatbank Greensill angelegt, die pleite ging. Allein die Gemeinde Bötzingen (Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald) habe der Bank 13,2 Millionen Euro anvertraut, heißt es in der am Dienstag veröffentlichten neuen Ausgabe. „Auf die Bürger dieser Gemeinde könnte damit ein rechnerischer Verlust von rund 2500 Euro pro Kopf zukommen.“ Weitere Beispiele im Überblick:
Elektromobilität: In eine breit angelegte Kampagne, um Bürgerinnen und Bürgern die Elektromobilität in Form von kostenlosen Probefahrten näherzubringen, habe das Verkehrsministerium 400 000 Euro an öffentlichem Geld investiert. „Die Lust aufs Probefahren hält sich allerdings in Grenzen“, schreibt der Steuerzahlerbund. Bei dem auf drei Jahre angelegten Projekt solle es rund 26 000 Testfahrten geben - im ersten halben Jahr seien es aber gerade einmal 2650 gewesen.
Das Ministerium entgegnete, das Projekt „Verkehrssicherheit elektrisiert“ ermögliche Menschen unter anderem niederschwelligen und gebührenfreien Zugang zu E-Fahrzeug-Probefahrten. „Das Angebot wird pro Jahr etwa 6000 Menschen erreichen“, teilte ein Sprecher mit. Es habe damit einen besonders hohen Kosten-Nutzenfaktor. Allerdings seien Probefahrten nur ein Element der Kampagne. So gebe es verschiedene Veranstaltungen für ein breites Publikum.
Tunnelbau: Der 400 Meter lange Weilertunnel in Schwäbisch Hall ist Teil eines Ausbaus der Bundesstraße 19, dessen Gesamtkosten sich auf inzwischen rund 100 Millionen Euro verdoppelt hätten. Neben allgemeinen Preissteigerungen im Bau werden als Gründe auch geologische und hydrologische Schwierigkeiten, Auflagen für den Artenschutz von Fledermäusen sowie zusätzliche technische Anforderungen genannt. Der Tunnel selbst ist noch gar nicht im Bau - damit soll erst im kommenden Jahr gestartet werden.
Die Stadtverwaltung kommentierte das nicht mit Verweis darauf, dass es sich beim Weilertunnel um eine Baustelle des Bundes handelt.
Partymeile: In Freiburg habe der Gemeinderat beschlossen, 16 Videokameras für rund 500 000 Euro anzuschaffen, um Straftaten in einem Ausgehviertel einzudämmen. Doch laut Polizei war die Kriminalitätsbelastung in der Gegend nicht zuletzt coronabedingt noch nicht so hoch, „dass eine Videoüberwachung gerechtfertigt gewesen wäre“, heißt es im „Schwarzbuch“. Eine tödliche Messerattacke im Oktober 2020 fand zudem unter der Woche statt - die geplanten Überwachungszeiten seien aber an Wochenenden und an Feiertagen.
Eine Sprecherin verwies darauf, dass die Polizei an gesetzliche Bestimmungen gebunden sei. „Für die Anordnung einer Videoüberwachung bedarf es eines Kriminalitätsbrennpunktes, was aufgrund der Einflüsse der Pandemie auf das öffentliche Leben nicht mehr gegeben war.“ Sehr wohl registrierten die Beamten angesichts der Lockerungen, dass öffentliches Leben wieder möglich ist. „Dies hat selbstverständlich auch Einfluss auf die aktuelle Kriminalitätsentwicklung, was sich naturgemäß auf unsere Bewertung auswirken könnte.“
Skischanze: Im vergangenen Herbst wurde die 3,2 Millionen Euro teure Sanierung der Adlerschanze in Hinterzarten (Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald) abgebrochen. „Man stellte nämlich fest, dass der Verbund aus Sprungturm, Anlaufgerüst und Schanzentisch nicht richtig zueinander passte, sondern um 80 Zentimeter versetzt aus der Spur geraten war.“ Inzwischen wird weitergebaut. Von den Mehrkosten von rund 580 000 Euro habe eine Versicherung 200 000 Euro zugesagt. „Das dürften für den Steuerzahler teure 80 Zentimeter werden.“
Treppenkunst: Sorge bereitet dem Verein die Investition von 75 000 Euro für die Verzierung dreier Treppenstaffeln in Stuttgart - auf dass sie die Bürger öfter nutzten und so fitter blieben. Unter anderem ziert nun ein Brezelherz die Frontansicht der Stufen einer Treppe. „Geht es nach der Stadt, könnten indes - perspektivisch gesehen - sogar noch weitere Treppen und Stufen mit Mitteln aus dem Budget „Masterplan urbane Bewegungsräume“ verschönert werden“, heißt es im „Schwarzbuch“ dazu weiter. „Bei mehr als 500 solcher "Stäffele-Anlagen" könnte da ein schönes Sümmchen zusammenkommen.“
Die Befürchtungen entkräftete ein Stadtsprecher etwas: Viele „Stäffele“ seien denkmalgeschützt. „Und ob wir weitere Schritte unternehmen, entscheidet der Gemeinderat.“ Interesse sei aber schon angemeldet worden. Auch sei die Idee aus der Bürgerschaft gekommen, die dazu animieren solle, mal wieder die Treppe zu nehmen.
„Wir möchten, dass sich die Menschen gern in ihrer Stadt bewegen. Daher haben wir zwei Treppen aufgebrezelt, die eher ein Schattendasein fristeten“, erklärte der Sprecher. Auf diese Weise erhielten sie eine ganz andere Aufmerksamkeit und würden etwa in Sozialen Netzwerken als Hingucker beworben. Zudem hätten Studien gezeigt, dass mehr Aufmerksamkeit zu mehr Treppenläufen führt, erläuterte der Sprecher. „Kurzum: Es ist gelebte Wissenschaft.“
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