Stillmahlzeit in der Mittagspause
Die Weltstillwoche nimmt das Thema „Stillen im Beruf – Kenne deine Rechte“ in den Blick. Silke Latzel gehört zu den Müttern, die ihr Kind während ihrer Berufstätigkeit gestillt haben, und zieht ein positives Resümee.
Von Nicola Scharpf
Aspach/Murrhardt. Sie ist Mutter und sie ist zertifizierte, bindungs- und bedürfnisorientierte Stillberaterin: Silke Latzel kennt das Thema „Stillen und Beruf“ von zwei Perspektiven. Als ihre Tochter Frederike vor etwas mehr als zwei Jahren auf die Welt kam, hatte die 38-Jährige vor, ihr Kind nach der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO zu stillen. Die besagt: mindestens bis zum zweiten Geburtstag oder länger, wenn beide – Mutter und Kind – es wollen. Ginge es nur nach den Kindern, so die Stillberaterin, die mit ihrer Familie in Murrhardt wohnt, würden sie noch im Kindergartenalter die Brust bekommen: „Das physiologische Abstillalter liegt zwischen dreieinhalb und sieben Jahren.“ Die Frage nach dem Stillen und der Berufstätigkeit stellt sich den meisten Frauen früher oder später. „Viele Frauen denken, sie müssten abstillen, wenn sie anfangen zu arbeiten“, schildert die Stillberaterin Erfahrungen aus ihrer Beratungstätigkeit. „Sie denken das, weil sie a) die gesetzlichen Regelungen nicht kennen und b) weil sie glauben, es zeitlich nicht anders hinzubekommen.“
Silke Latzel hat nicht abgestillt, obwohl sie wieder anfing zu arbeiten, als ihre Tochter zehn Monate alt war. Morgens, bevor sie das Haus verlassen habe, habe Frederike ihr Muttermilchfrühstück bekommen. Mittags sei sie, zu jener Zeit noch in Aspach wohnend, nach Hause gefahren, um ihr Kind zu stillen, und das nächste Mal dann wieder nach Feierabend. „Die Zeit dazwischen hat meine Tochter locker überbrückt. Sie hat mit zehn Monaten bereits gut gegessen.“ Solange sie keinen beruflichen Termin hatte, sei diese Handhabung entspannt gewesen. Wenn sie ihr Töchterchen allerdings aus dem Mittagsschlaf habe wecken müssen, um zu stillen, fand das Mädchen das „uncool“. Also gingen sie dazu über, dass ihr Mann, der in Elternzeit war, seine Frau anrief, wenn Frederike wach war, und sie erst dann vom Arbeitsplatz losfuhr. Rückblickend sagt Latzel: „Ich würde es jederzeit wieder so tun.“
Nicht jede Tätigkeit lässt die notwendige Flexibilität zu
Die gesetzliche Regelung sieht vor, dass stillende Frauen bis zum ersten Geburtstag ihres Kindes eine Stunde pro Arbeitstag vom Arbeitgeber für das Stillen gutgeschrieben bekommen. Ihre Arbeitgeberin, die Aspacher Gemeindeverwaltung, habe sich als „superflexibel“ und „großartig“ – sprich als stillfreundliche Arbeitgeberin, die die gesetzlichen Regelungen kennt und berücksichtigt – erwiesen. Latzel weiß aber auch: Sie hatte eine nur viertelstündige Autofahrt heim zu ihrem Kind zurückzulegen und sie hat einen Schreibtischjob, arbeitet beispielsweise weder am Band noch hat sie Kundenverkehr. „Bei derartigen Tätigkeiten geht das nicht so flexibel.“
Trotz des Wiedereinstiegs in den Beruf weiterzustillen kann klappen. „Es kann sehr gut funktionieren, sechs bis acht Stunden vom Stillkind entfernt zu sein“, sagt Diana Stabl, die mit ihrer Stillberatung seit vielen Jahren Räumlichkeiten unter anderem in Waiblingen unterhält. Viele Frauen, die weiterstillen wollen, hätten bereits einen guten Fahrplan und würden von ihr lediglich noch ein paar Tipps benötigen. Andere wiederum kämen zu ihr in die Beratung mit der Frage: Wie mache ich es mit dem Abstillen, wenn ich wieder anfange zu arbeiten? „Die Aufklärung ist nicht so gut“, stellt Stabl immer wieder fest. Bei vielen Frauen sei das Denken vorherrschend, dass sie mit der Beikost beginnen, wenn das Baby sechs Monate alt ist. „Dabei sind Kinder bis zwölf Monate Säuglinge.“ Ob Berufstätigkeit und Stillen miteinander vereinbar sind, hänge von beiden ab – Arbeitgeber wie Arbeitnehmerin. Zum Beispiel wenn im Betrieb der kalte, hässliche Erste-Hilfe-Raum mit Pritsche als Stillzimmer angeboten wird: „Man muss da als Frau flexibel sein“, findet Stabl. Loungebereiche oder Wohlfühlecken, in die sich Stillende zurückziehen könnten, würden allenfalls die großen Konzerne bereithalten. Von daher sagt sie über die Arbeitgeberseite: „Es gibt noch viel zu tun.“ Viel hänge vom Können und Wollen ab.
Der Profit wird über die Gesundheit gestellt
Stabl attestiert der Gesellschaft, seit rund 150 Jahren stillunfreundlich zu sein, und beschäftigt sich in einer Facharbeit eingehend mit diesem Thema. „Der Samen sitzt tief in den Köpfen.“ Anfang 1900 habe es erste Kampagnen gegeben, gezuckerte Kondensmilch als geeignete Säuglingsnahrung zu verkaufen. Seitdem sei der Profit über die Gesundheit gestellt worden. Eigentlich wäre Gorillamilch der Muttermilch am ähnlichsten. Doch Kuhmilch sei nun mal „sehr günstig zu haben“. Kunstmilch auf Basis von Kuhmilch sei nicht förderlich für die Gesundheit des Babys. Obwohl das bekannt sei und das Stillen den Standpunkt habe, gesetzlich geschützt zu sein, erweise sich die Gesellschaft als stillunfreundlich. „Warum das trotzdem so ist? Das ist der Punkt, an dem auch meine Facharbeit nichts lösen wird. Ich freue mich jedenfalls über jede Frau, die ich zum Weiterstillen bewegen konnte.“
Einen Rat gibt sie Müttern dabei mit auf den Weg. Sobald das Baby auf der Welt ist, sehen sich die Frauen mit der Frage und Erwartung konfrontiert: Du stillst doch, es ist das Beste für dein Kind. Sobald das Kind ein Jahr ist, lauten Frage und Haltung: Was, du stillst noch? „Resilienz ist ein Thema, mit dem sich alle Mütter gerne beschäftigen sollen und dürfen.“
Weltstillwoche Sie ist eine von der World Alliance for Breastfeeding Action (Waba) initiierte Aktionswoche und wird seit 1991 jährlich in über 120 Ländern abgehalten. In Deutschland findet sie in der Kalenderwoche 40 statt, weil eine normale Schwangerschaft etwa 40 Wochen dauert. Die Weltstillwoche richtet sich in Deutschland vorrangig an Mütter und ihr Umfeld. Die Nationale Stillförderung und weitere Organisationen kreieren am runden Tisch so eine Weltstillwoche, deren zielgerichteteres Motto sich vom internationalen weitgehend losgelöst hat.
Stillen im Beruf Es gibt gute Gründe, Mütter beim Weiterstillen zu unterstützen, wenn sie in den Beruf zurückkehren: Eine längere Stillzeit verringert das Risiko für viele Erkrankungen, zum Beispiel für akute Atemwegs- und Durchfallerkrankungen der Kinder oder Brustkrebs der Mütter. Auf der individuellen Ebene trägt es zur Gesundheit und zum Wohlbefinden der Familie bei. Auf der gesellschaftlichen Ebene entlastet längeres Stillen das Gesundheitssystem. Es bleibt immer die persönliche Entscheidung einer jeden Frau, ob und wie lange sie stillt. Damit ihr Stillwunsch gelingt, braucht sie die passenden Informationen und Bedingungen. Dies gilt ganz besonders, wenn sie in den Beruf zurückkehrt.
Mutterschutzgesetz Es beziehen sich mehrere Paragrafen auf das Stillen, unter anderem: Paragraf 4 verbietet Mehrarbeit, Paragraf 5 verbietet Nachtarbeit, Paragraf 6 verbietet – mit Ausnahmen – Sonn- und Feiertagsarbeit, Paragraf 8 beschränkt Heimarbeit. Paragraf 7 benennt das Recht auf Freistellung zum Stillen während der ersten zwölf Monate nach Geburt, Paragraf 23 legt fest, dass die Freistellung zum Stillen bezahlte Arbeitszeit ist. Paragraf 12 benennt unzulässige Tätigkeiten für Stillende. Die WHO/Unicef-Initiative „Babyfreundlich“ empfiehlt Arbeitgebern einen innerbetrieblichen Ablaufplan, der die Umsetzung mütterlicher Rechte erleichtert.
Weitere Infos unter www.babyfreundlich.org, www.nationalestillfoerderung.de, bei Stillberaterin Silke Latzel unter www.familie-rems-murr.de und Diana Stabl www.stillberatung-waiblingen.de.