Gasheizungen
Studie: 90 Prozent des Gasnetzes sind künftig überflüssig
In einem klimaneutralen Deutschland braucht es keine Erdgasleitungen mehr, und das Wasserstoffnetz wird deutlich kleiner als das Erdgasnetz. Da sind sich die Experten einig. Doch was bedeutet das für den Verbraucher?
Von ave
Bis zum Jahr 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Bis dahin, so sieht es der Plan der Bundesregierung vor, soll auch Erdgas weitgehend aus dem deutschen Energiemix verschwunden sein. Stattdessen sollen viele Prozesse, die heute mithilfe von Kohle oder Gas betrieben werden, mit Strom laufen. Und statt Erdgas soll Wasserstoff künftig Kraftwerke antreiben und so die Volatilität von Sonne und Wind ausgleichen und der Industrie als Rohstoff dienen.
Diese Transformation betrifft auch den Wärmemarkt und findet derzeit Niederschlag in der Novelle des Gebäudeenergiegesetzes, die vorsieht, den Neueinbau von Gasheizungen nur dann zu gestatten, wenn diese spätestens 2035 auch vollständig mit Wasserstoff betrieben werden können. So sieht es der Entwurf von Bundeswirtschafts- und Bundesbauministerium vor, den das Kabinett vergangene Woche gebilligt hat. Knapp die Hälfte des deutschen Wohnbestands wird derzeit mit Erdgas beheizt.
Doch nicht nur von dieser Seite droht Besitzern von Erdgasheizungen in Zukunft Ungemach: Denn wenn der Anteil von Erdgas im deutschen Energiemarkt wie geplant deutlich sinkt, wird natürlich auch das dazugehörige Netz nicht mehr in dem bisherigen Ausmaß gebraucht. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie des Berliner Thinktanks Agora Energiewende, die einen „neuen Ordnungsrahmen für Erdgasverteilnetze“ entwirft und Vorschläge macht, wie man die Konsequenzen für Kunden und Netzbetreiber bezahl- und handhabbar gestalten könnte.
71 bis 94 Prozent des heutigen Gasverteilnetzes, so eine Kernaussage der Untersuchung, werden bis 2045 nicht mehr gebraucht und könnten stillgelegt werden. Weitergedacht heißt das: Selbst wenn eine neue Heizung wasserstofffähig wäre, könnte man sie nicht mehr betreiben, wenn der Hausanschluss eines Tages fehlt.
Ausgangsthese der Studie ist dabei, dass Wasserstoff teuer und schwer zu beschaffen sein wird und deshalb nur dort Einsatz findet, wo es gar nicht anders geht. „Alle großen Energiesystemstudien zeigen, dass nur ein Bruchteil des heutigen Erdgasbedarfs durch erneuerbaren Wasserstoff ersetzt werden wird“, sagt Simon Müller, der Direktor Deutschland von Agora Energiewende. Im Schnitt laute die Prognose, dass 2045 der Wasserstoffbedarf weniger als 30 Prozent des aktuellen Erdgasbedarfs betragen werde und vor allem in Kraftwerken und Industrieanlagen anfalle. Als Folge müssten die Gasnetzbetreiber weite Teile ihres Netzes stilllegen, so die Studie. Den verbleibenden Gasheizungsbesitzern müsse der Staat finanziell unter die Arme greifen, fordern die Autoren, zu denen auch Vertreter der Energierechtskanzlei Rosin Büdenbender und der Beratungsgesellschaft BET gehören: Denen drohe nämlich eine Versechzehnfachung der Netzentgelte, wenn sie noch beliefert werden – denn die Kosten für den Netzbetrieb werden von den Gaskunden getragen, und sinkt deren Zahl, steigen natürlich die Entgelte. Auf eine Verachtfachung der Netzentgelte, die in Vorkrisenzeiten etwa ein Viertel des Endkundenpreises ausmachten und heute etwa zehn Prozent, müssen sich die Kunden aber einstellen, so die Studie.
In Baden-Württemberg werden weite Teile des Erdgasverteilnetzes von der EnBW-Tochter Netze BW betrieben. Deren Chef Christoph Müller begrüßt die Studie der Agora Energiewende: „Es ist wichtig und gut, dass die Studie endlich die Fragen aufwirft, die sich bei der Transformation für das Gasverteilnetz stellen“, sagt er. In der Tat sei es etwa wahrscheinlich, dass es für Kommunen immer schwerer werden wird, Betreiber für ihre Gasnetze zu finden. Und es stelle sich auch die Frage, wie man künftig mit Abschreibungen umgehe. Bislang beträgt die Abschreibungsdauer für Investitionen, die vor 2022 getätigt wurden, in der Regel 45 Jahre. Noch 2021 flossen laut Bundesnetzagentur fast drei Milliarden Euro in Wartung und Neu- sowie Ausbau des Gasnetzes.
Mit der Grundthese der Studie ist Müller allerdings nicht einverstanden: Dass Wasserstoff knapp und teuer sein wird, hält er nicht für ausgemacht. „Normalerweise ist die Industrie viel preisempfindlicher bei Energie als ein Haushaltskunde“, erklärt er, „wenn Wasserstoff in Zukunft so günstig sein sollte, dass es sich für Industrie und Energiewirtschaft rechnet, dann ist nicht nachvollziehbar, warum man ihn nicht auch an Haushaltskunden liefern können sollte.“ Oder wie es Müller pointiert ausgedrückt: „Wenn wir künftig 266 Terawattstunden bezahlbaren Industriewasserstoff liefern können, wie es in der Studie prognostiziert ist, dann ist Wasserstoff nicht mehr der Champagner der Energiewende, sondern das Leitungswasser.“
Die Technologien im Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes
Entwurf Der aktuelle Entwurf des neuen Gebäudeenergiegesetzes sieht vor, dass auch künftig noch neue Erdgasheizungen eingebaut werden können, sofern sie auch zu 100 Prozent mit Wasserstoff laufen können – allerdings mit großen Hürden: Denn der Gasverteilnetzbetreiber soll zum Zeitpunkt des Einbaus garantieren, dass er seinen Kunden bis spätestens 2035 zu mindestens 65 Prozent mit grünem oder blauem Wasserstoff beliefern wird. Schon ab 2030 müssen diese Heizungen verlässlich zur Hälfte mit Biomethan betrieben werden.
Wasserstoff Die Energiebranche teilt Wasserstoff je nach dessen Herstellung und Ausgangsprodukt in verschiedene Farben ein. Grüner Wasserstoff wird unter Einsatz von Ökostrom aus Wasser erzeugt. Blauer Wasserstoff basiert auf Erdgas, allerdings wird das dabei anfallende Kohlendioxid gespeichert oder verwendet. Beide Wasserstoffarten gelten als klimaneutral. Wird das CO2 in die Atmosphäre entlassen, spricht man übrigens von grauem Wasserstoff.
Technologieoffenheit Momentan befindet sich das Gebäudeenergiegesetz noch im Entwurfsstadium. Umstritten ist nicht zuletzt die Technologieoffenheit. Während die Grünen eigentlich den Neueinbau von Erdgasheizungen ganz verbieten wollten, pocht die FDP darauf. Angesichts der hohen Hürden im jetzigen Entwurf gehen Beobachter davon aus, dass es darüber noch Diskussionen geben wird.