Stuttgarts OB wird vereidigt
dpa/lsw Stuttgart. Vor mehr als einem Jahr ist Frank Nopper zum neuen Stuttgarter Oberbürgermeister gewählt worden, nun darf der CDU-Politiker auch endlich abstimmen und die Amtskette tragen. Ein OB in der Warteschleife - das ist kein Einzelfall in Baden-Württemberg.
Martin Horn hat mitgezählt. 303 Tage mussten nach seiner Wahl zum Freiburger Oberbürgermeister vergehen, bevor er die Amtskette umlegen durfte. 248 Tage waren es nach Dienstantritt, bevor das Stadtoberhaupt auch im Gemeinderat abstimmen konnte wie jedes andere gewählte Mitglied auch. Die Klagen gegen seinen Wahlsieg hatten ihm zunächst den Titel eines „Amtsverwesers“ beschert, eines Rathauschefs in der Warteschleife, der zwar regieren kann, aber dabei kein Stimmrecht hat. Erst als der Verwaltungsgerichtshof Mannheim die Einsprüche gegen die OB-Wahl rechtskräftig zurückgewiesen hatte, konnte Horn so richtig loslegen. „Das war echt eine Last, ein Bremsklotz“, sagt er heute und scherzt: „Ich war einfach zu jung und zu dynamisch, um zu verwesen.“
Frank Nopper könnte dieses Gefühl durchaus bekannt vorkommen. Denn seine Amtskette als gewählter OB von Stuttgart hat er auch fast 14 Monate nach seiner Wahl Ende November 2020 noch nicht getragen. Er musste sein Amt wegen mehrerer Klagen und Einsprüche gegen das Wahlergebnis zunächst ebenfalls als „Amtsverweser“ und somit ohne Stimmrecht ausführen. Anfang Januar lief die Frist für den letzten Kläger aus, rechtlich gegen seine Niederlage vorzugehen. Nun wird der CDU-Politiker, der die Geschicke der Stadt bereits seit vielen Monaten lenkt, heute auch offiziell im Gemeinderat vereidigt.
Grund für die Verzögerung ist zum einen die Gemeindeordnung, die die Möglichkeit eines Amtsverwesers definiert. Dies ist in der Regel der Wahlsieger, der dann für höchstens zwei Jahre sein Amt ausüben kann, ohne eine Entscheidung der Justiz abwarten zu müssen. Horn, Nopper und zahlreiche andere Gemeinde- und Stadtoberhäupter besaßen somit fast alle Rechte und Pflichten eines Oberbürgermeisters - aber eben nur fast alle. „In meinen ersten neun Monaten als Oberbürgermeister konnte ich in keiner einzigen Abstimmung mitstimmen“, erzählt der parteilose Kommunalpolitiker. „Dabei bin ich doch gewählt worden, um klar Position zu beziehen. Und ohne ein demokratisches Stimmrecht fehlt einfach etwas.“
Zum anderen werden Wahlsieger auf dem Weg zum Amtseid durch die Einsprüche und Klagen von Spaßbewerbern und anderen Dauerkandidaten ausgebremst. Den Rekord in Baden-Württemberg hält der als „Remstal-Rebell“ bekannt gewordene und im Jahr 2004 gestorbene Helmut Palmer. Der Vater des amtierenden Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer (Grüne) war bei mehr als 300 Bürgermeister- und Abgeordneten-Wahlen angetreten, teilweise auch sehr erfolgreich, wenngleich nicht siegreich. Als Deutschlands rastloseste Bürgermeisterbewerberin gilt eine Frau aus Sindelfingen, die bei mehr als 110 Wahlen aussichtslos angetreten ist. Immer wieder hat sie das Ergebnis angefochten, darunter auch in Freiburg und Stuttgart.
Dem Städtetag ist das Kandidaten-Déjà-vu schon länger ein Dorn im Auge. Er sieht durchaus Möglichkeiten, Hürden auf dem Weg ins Rathaus aufzustellen, ohne tiefer in demokratische Rechte einzugreifen. In Kommunen mit mehr als 20.000 Einwohnern müssen Kandidaten zum Beispiel mindestens 50 Unterschriften von Wahlberechtigten vorweisen, um zugelassen zu werden. In kleineren Gemeinden ist das nicht der Fall. „Genau das könnte Spaßkandidaten dort aber abschrecken“, sagt Norbert Brugger vom Kommunalen Spitzenverband. Außerdem sollten auch Amtsverweser regieren wie Bürger- oder Oberbürgermeister, sie sollten also auch abstimmen dürfen. „Für die Betroffenen ist das psychologisch gravierend“, sagt Brugger. „Sie sind in der Zeit eben doch nicht so ganz OB.“
Ein großes Risiko sieht er im vorzeitigen Amtsantritt nicht. Die Wahlprüfungsbehörden seien sehr sorgfältig, außerdem werde eine Wahl nach einer gerichtlichen Überprüfung nur selten aufgehoben. Deshalb will der Städtetag nach Angaben Bruggers erneut mit seinen Vorschlägen für eine Änderung des Kommunalwahlrechts auf die grün-schwarze Landesregierung zugehen.
Eine bestimmte Zahl von Unterschriften für den Platz auf dem Kandidatenkarussell, das fordert der Verband baden-württembergischer Bürgermeister schon lange. „Die Fehlentwicklungen in einzelnen Kommunen, bei denen über 30 Bewerber aufgetreten sind, von denen bei der überwiegenden Mehrzahl berechtigte Zweifel an deren Ernsthaftigkeit bestanden, muss mit dieser bewährten Regelung vorgebaut werden“, sagt der Verbandspräsident, Ditzingens parteiloser Oberbürgermeister Michael Makurath. Es sei wichtig, im Wettbewerb um die besten Köpfe in den Rathäusern das Bewerbungsverfahren zu verbessern.
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