Südwest-FDP: Bedenken gegenüber allgemeiner Impfpflicht
dpa/lsw Fellbach. In der FDP wächst die Skepsis gegenüber einer allgemeinen Impfpflicht. Die Parteispitze im Südwesten befürchtet, dass sich die Fronten verhärten.
Die FDP im Südwesten hat sich skeptisch über eine mögliche Impfpflicht gegen Corona gezeigt. Landeschef Michael Theurer sagte auf dem Landesparteitag in Fellbach bei Stuttgart, er habe gegenüber der allgemeinen Impfpflicht erhebliche Bedenken und sprach von einer Gewissensentscheidung. „Was uns am meisten besorgen muss, ist, dass die Diskussionen um die Corona-Pandemie-Maßnahmen zunehmend zu einer Spaltung in unserer Gesellschaft führen“, sagte Theurer. Er mahnte zu mehr Sachlichkeit und warnte vor einer Radikalisierung.
Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke mahnte mit Blick auf eine mögliche Impfpflicht gegen Corona, erst zu denken und dann zu handeln. Eine Impfpflicht sei eine schwerwiegende Einschränkung individueller Grundrechte. Bedingung für den Erfolg einer Impfpflicht sei ein nationales Impfregister. „Da schrecken viele zurück aufgrund eines enormen bürokratischen Aufwands und aufgrund von datenschutzrechtlichen Bedenken“, sagte Rülke. Wem der Mut für ein Impfregister fehle, der sollte auch die Finger von einer allgemeinen Impfpflicht lassen. Er befürchte, dass eine nicht funktionierende Impfpflicht von den Querdenkern als Argument für ein Versagen des Staats genutzt werden könnte.
Auf dem Landesparteitag diskutierten die Delegierten einen Antrag des Ravensburger Mitglieds Hans-Peter Locher. Sein Vorschlag: Die Impfbereitschaft mit einer 500-Euro-Prämie anzukurbeln. „Ich glaube nicht, dass die Impfpflicht die Lösung ist“, sagte Locher, der wie die meisten Delegierten wegen der Pandemie digital zugeschaltet wurde. In dem Papier heißt es, eine Impfpflicht sei unverhältnismäßig, solange nicht alle anderen gangbaren Möglichkeiten ausgeschöpft worden seien. Rülke monierte, dass bei der Prämie die Verfolgbarkeit schwierig sei. Die Delegierten lehnten den Antrag mit großer Mehrheit ab.
Über eine allgemeine Impfpflicht gegen Corona soll der Bundestag voraussichtlich in diesem Jahr in freier Abstimmung ohne Fraktionsdisziplin entscheiden. Parteichef Christian Lindner geht nach eigener Aussage in die Richtung Impfpflicht. Innerhalb der FDP im Bundestag regt sich immer mehr Widerstand. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende, Wolfgang Kubicki, und weitere FDP-Abgeordnete hatten sich in einem Antragsentwurf klar gegen eine solche Pflicht ausgesprochen.
Theurer und Rülke warfen der grün-schwarzen Landesregierung und der ehemaligen unionsgeführten Bundesregierung schwere Versäumnisse in der Corona-Politik vor. Theurer kritisiert etwa die Abschaffung der kostenlosen Bürgertests. Rülke stellte unter anderem den Sinn von Ausgangssperren in Frage und kritisierte, dass die 3G-Regel im öffentlichen Nahverkehr nicht kontrolliert werde. Zudem warf er der grün-schwarzen Landesregierung vor, sämtliche Überzeugungen über Bord geworfen zu haben.
Die FDP regiert als Teil der neuen Bundesregierung gemeinsam mit der SPD und den Grünen. Trotz der neuen Konstellation sparte der Fraktionschef auch nicht mit Seitenhieben auf die Grünen: Er kritisierte die hohen Kosten für Staatsbeamte und warf der Regierung eine „Taschenspielerlogik“ in der Haushaltspolitik vor. Rülke kritisierte auch die geplante Nahverkehrsabgabe als „kolossale Geldverschwendung“. Die Abgabe soll den Kommunen beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs helfen.
Unstimmigkeiten mit der Landesregierung gibt es auch beim Wahlrecht: Auf dem Landesparteitag sprach sich die Südwest-FDP per Beschluss für eine Verringerung der Wahlkreise von 70 auf 60 in Baden-Württemberg aus. Es brauche zwar eine Zweitstimme im Landtagswahlrecht und mehr Einfluss von Frauen, sagte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Aber es müsse verhindert werden, dass sich der Landtag immer weiter aufblähe. Die Zahl der Parteien steige, die Volksparteien würden immer schwächer.
Nach Vorstellungen von Grünen, CDU und SPD soll es in Baden-Württemberg ähnlich wie im Bund ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht geben - bislang hat jeder eine Stimme. Wählerinnen und Wähler sollen dann mit der Erststimme ihren Direktkandidaten im Wahlkreis in den Landtag wählen können. Die Zweitstimme soll wie bei der Bundestagswahl an eine Partei gehen. Da diese Reform eine Änderung der Landesverfassung nötig macht, braucht die Koalition eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag.
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