Tanzen bis der Kopf raucht
Serie Mitgemacht: Kurs Hip-Hop Ü30 der Dance Intense Factory zeigt, dass Tanzenlernen keine Frage des Alters ist
Meine Zeiten durchtanzter Disconächte sind vorbei. Abzappeln zu aufgedrehten Bässen ist allenfalls angeschnallt hinterm Autolenkrad angesagt. Doch es groovt sich so schlecht zwischen Kupplung, Gas und Bremse. Hip-Hop Ü30, ein Kurs der Backnanger Dance Intense Factory, verspricht Abhilfe. Mit Popowackeln frei Schnauze hat das aber nichts zu tun. Koordination, Kondition, Konzentration sind gefragt. Eine schweißtreibende, spaßmachende Mischung.
Von Nicola Scharpf
BACKNANG. Eine Kursteilnehmerin steht vor Beginn der Stunde im Vorraum des parkettbelegten Tanzsaals mit der riesigen Spiegelwand, schaut sich ein Video mit der Choreografie der vergangenen Woche an und tanzt sie nach. Oh, offenbar hat die Gruppe Übungsmaterial mit nach Hause bekommen. Ich dagegen bin unvorbereitet...und etwas unsicher... zögerlich beim Betreten von Neuland. Und Hip-Hop-Tanzen zu lernen, das ist für mich ungewohntes Terrain. Trainer Marc Sailer, Inhaber der Dance Intense Factory, hat selbst als Zwölfjähriger mit dem Tanzen begonnen und feiert seit vielen Jahren mit Gruppen und Einzeltänzern seiner Tanzschule Erfolge bei nationalen und internationalen Wettkämpfen. Er spricht Mut zu: Keine andere Klasse ist so sehr motiviert, es Gleichgesinnten zu zeigen, dass man auch mit über 30 oder sogar über 40 Jahren mit dem Tanzen anfangen kann. „Zu spät ist es nie.“ Also denn, mitmachen!
Was ist das doch normalerweise für eine bequeme Position: Die berichterstattende Journalistin nimmt am Rand Platz, beobachtet das Geschehen, denkt sich und schreibt ihren Teil. Genaue Teilnehmerzahl, Zitate der Beteiligten, Musiktitel und Namen der Interpreten, Auffälliges aller Art wird im Schreibblock festgehalten. Das Gerüst für den Bericht steht. Dieses Mal bleiben Block und Stift in der Handtasche und ich fühle mich irgendwie unvollständig. Aber Notizen machen und Tanzschritte lernen gleichzeitig, das schaffen auch Multitaskingfähige nicht. So reduziert sich die Kursstunde auf die Wahrnehmung meiner selbst – oder anders ausgedrückt: Ich bin nur bei mir und dem, was ich lernen möchte.
Schätzungsweise 20 Teilnehmer, zum größeren Teil Frauen, stellen sich im Raum verteilt auf. Hip-Hop, der Erinnerungen an meine Jugend- und Studentenjahre weckt, dröhnt laut aus den Boxen. Die ersten machen erste Moves und ich bin erstmals beeindruckt. Erste Tanzschritte beim Aufwärmen. Da kann ich noch ganz gut mitmachen. Marc Sailer animiert die Gruppe, gelöst zu sein, zu grooven, zu posen. „Sonst spiele ich ‚Atemlos‘“, droht er eine Strafe an. Als die ersten Schweißtropfen perlen, ist Stretching an der Reihe. Beim Ausfallschritt – haha, den kann ich noch von meinen Zeiten als aktive Leichtathletin – rutschen meine nagelneuen, bis dato ungenutzten Hallenturnschuhe über den glatten Holzboden. Und beim Schielen nach den anderen erkenne ich, dass meine Dehnbarkeit meinem Alter entsprechend offenbar passabel ist. Marc Sailer geht von einem zum anderen, korrigiert hier, frotzelt da. Dazwischen gibt er Stretching-Tipps, die helfen, Rückenschmerz und Hexenschuss vorzubeugen. Dann geht’s los. Die Choreografie der vergangenen Woche wird fortgesetzt. An meinem selbst gewählten Platz in einer hinteren Reihe, am Rand, gut versteckt hinter den Könnern und für mich selbst im Spiegel unsichtbar, fühle ich mich wohl. Zunächst ohne Musik wiederholt Marc Sailer die Schritte: Einmal rechts, einmal links, zweimal rechts, einmal links, einmal rechts, zweimal links, nächste Bewegung. Mit den Augen fixiere ich Marc Sailers Beine und imitiere – oder versuche es zumindest.
Mal um Mal haut es mich an irgendeiner Stelle raus
Nach ein paar Durchgängen erklärt er die Armbewegungen zu den Schritten und zügig folgt den Trockenübungen der erste Durchlauf mit Beats. Die Armbewegungen lasse ich geflissentlich weg. Schon die Schrittfolge im Rhythmus der Musik auf die Reihe zu bringen, überfordert mich. Noch mehr Koordination? Nein danke, meine Arme dürfen erst mal „abhängen“. Es folgt Durchgang um Durchgang. Ist die Choreografie am Ende, fängt die Gruppe wieder von vorne an – energiegeladen, motiviert, ungehemmt. Von Song zu Song steigert sich das Tempo. Den Anfang der Choreo habe ich irgendwann intus, fühle mich weniger ungelenk, lockerer. Aber Mal um Mal haut es mich an irgendeiner Stelle raus. Dann wieder in Einklang zu kommen mit den anderen, scheint mir schier unmöglich.
Der Raum heizt sich auf, trotz aufgerissener Fenster. Der Schweiß strömt. Ich schütte Wasser in mich rein. Als die Powerstunde offiziell zu Ende ist, dreht ein Kursteilnehmer den Regler wieder hoch und fast alle tanzen die Choreo einfach noch mal und noch mal und noch mal. Sie haben Spaß, der nicht zu Ende gehen soll. Und es macht unglaublich viel her: 20 Menschen, die zeitgleich die gleichen Moves machen. Formation sieht bombastisch gut aus. Ich bin beeindruckt.
„Na, brennen die Beine?“, will Marc Sailer von mir wissen. Nein, es brennt nichts, aber es raucht der Kopf. Ich war viel zu konzentriert, um mich vollständig auszupowern. Sich die Schritte zu merken, sagt der Trainer aufmunternd, ist am Anfang immer schwierig. „Das dauert zwei bis vier Monate.“ Beiläufig erfahre ich, dass die Ü-30-Truppe plant, im kommenden Jahr bei der Europameisterschaft anzutreten. Uiuiui, wieder etwas Beeindruckendes. Das will doch gleich notiert werden. Ich schnappe mir Stift und Block und bin zurück in meiner gewohnten Berichterstatterposition.
Für die Serie „Mitgemacht“ testen Redakteure unserer Zeitungen verschiedene Kurse und berichten über ihre Erfahrungen.