Tempo 30 wird im Rems-Murr-Kreis ausgebremst
Mehr Eigenständigkeit bei der Bestimmung von innerörtlichen Tempolimits wünschen sich viele Gemeinden. Doch ein Gesetzentwurf, der diese Eigenständigkeit weiter vorantreiben sollte, wurde kürzlich abgelehnt. Kommunen sind enttäuscht, geben aber auch noch nicht auf.
Von Kristin Doberer
Rems-Murr. Ob es um Lärmschutz, Sicherheitsbedenken, Umweltschutz oder mehr Raum für Fußgänger geht, einige Gemeinden wünschen sich schon lange mehr Selbstbestimmung bei der Festlegung von Geschwindigkeitsgrenzen. Um ihr Anliegen weiter voranzubringen, sind in den vergangenen beiden Jahren nicht nur mehrere Kommunen im Rems-Murr-Kreis der Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden durch angemessene Geschwindigkeiten“ beigetreten, sondern auch der Landkreis selbst. Die Initiative, die deutschlandweit über 1000 Mitglieder hat, setzt sich dafür ein, dass die Kommunen häufiger selbst darüber entscheiden dürfen, wann und wo welche Geschwindigkeiten angeordnet werden, um zielgerichtet und flexibel auf die jeweiligen örtlichen Begebenheiten reagieren zu können.
Doch kürzlich gab es einen Rückschlag für die Bestrebungen der Initiative: Der Bundesrat hat eine vom Bundestag beschlossenen Novelle des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und damit auch der Straßenverkehrsordnung (StVO) gestoppt (siehe Infotext).
Im Rems-Murr-Kreis zeigen sich die Mitglieder der Initiative enttäuscht von dieser Entscheidung, zum Beispiel in Burgstetten. Die Gemeinde hatte sich bereits vor einiger Zeit der Initiative angeschlossen. „Wir hätten uns gewünscht, dass wir mehr Dinge selbst regulieren könnten“, sagt Bürgermeisterin Irmtraud Wiedersatz. Die Gemeinden wüssten schließlich am besten, an welchen Stellen eine Verkehrsberuhigung hilfreich oder sogar nötig wäre. Gerade bei den viel befahrenen Ortsdurchfahrten – auf denen viele Autofahrer ohnehin zu schnell unterwegs sind –, in der Friedhofsstraße oder rund um die Schule hätte man das Tempo gerne etwas gedrosselt.
Kommunen hoffen auf Vereinfachung der Verfahren in der Zukunft
Trotzdem gibt die Bürgermeisterin die Hoffnung nicht auf, dass die Initiative in der Zukunft etwas bewirken könnte. „Es stehen jetzt so viele Gemeinden dahinter“, so Wiedersatz. Gleichzeitig verfolgt die Kommune aber auch andere Wege, um eine Verkehrsberuhigung in bestimmten Bereichen zu erwirken, zum Beispiel mit Lärmaktionsplänen. Doch diese Verfahren seien unglaublich aufwendig und oft mit vielen Zählungen und Gutachten, die dann natürlich wieder Geld kosten, verbunden. „Wir hoffen, dass das in Zukunft vereinfacht wird.“
Auch Großerlach ist der Initiative beigetreten. Bürgermeister Christoph Jäger hofft nun auf weitere Nachbesserungen bei dem Gesetzesentwurf, um ihn doch noch durchzubringen. Er spricht sich dringend dafür aus, an dem Thema dranzubleiben. „Sollte der Bundesrat aus grundsätzlichen Überlegungen gegen eine entsprechende Ermächtigung der kommunalen Ebene sein, hätte er eine Chance verpasst“, meint Jäger zur Entscheidung des Bundesrats. Der Entwurf biete pragmatische Lösungsansätze, mit welchen man der Lebenswirklichkeit in den Städten und Gemeinden gerecht werden könnte. „Man hat stetig zunehmend den Eindruck, dass auf Bundes- und Länderebene in vielen, selbst solch lebensnahen Themen den Städten und Gemeinden die erforderliche Objektivität bei der Abwägung und Entscheidungsfindung nicht zugetraut wird. Dabei ist nach meinem Dafürhalten das Gegenteil der Fall.“
Initiative ist enttäuscht vom Ergebnis
In Althütte ist die Hauptstraße bestes Beispiel dafür, dass die innerörtlichen Tempobegrenzungen ein ganz schöner Flickenteppich werden können. Zunächst sind dort 50 Stundenkilometer erlaubt. Wo sich aber die Geschäfte konzentrieren, ist die Geschwindigkeit dann auf 40 beschränkt, beim Kindergarten Kunterbunt gibt es für nur wenige Meter eine Tempo-30-Zone und auf der kurzen Strecke bis zum Ortsschild kann dann wieder 50 gefahren werden. Mit dem Stückwerk ist man in Althütte nicht unbedingt zufrieden, weshalb sich die Gemeinde im April dieses Jahres ebenfalls der Initiative angeschlossen hatte. Reinhold Sczuka betont, dass sich die Gemeinde Althütte weiterhin um mehr Eigenverantwortlichkeit bei der Festsetzung von Tempobeschränkungen bemühen will – auch wenn ein erster Vorstoß nun gescheitert ist. „Die Initiative wird sicher weitere Überlegungen für eine Forderung der Umsetzung in der Zukunft anstellen und ihre Arbeit fortsetzen. Wir bleiben Mitglied“, betont der Bürgermeister. Darauf hofft auch die Landkreisverwaltung, um „mehr Gestaltungsspielraum auf kommunaler Ebene zu erreichen. Daher wäre es weiterhin in unserem Sinne, dass sich das Gesetz noch durchsetzt“, teilt eine Sprecherin mit.
Die Initiative selbst reagiert mit Enttäuschung auf das Ergebnis. Thomas Dienberg, Sprecher der Initiative, meint: „Jetzt müssen schnell Lösungen her.“ Die Initiative wachse täglich um weitere Mitglieder an, für diese wolle man sich künftig noch mehr ins Zeug legen, damit die Versprechungen aus dem Koalitionsvertrag bald erfüllt werden. Wie es nun weitergehen soll, das ist bisher noch offen. Möglich wäre, dass die Bundesregierung oder der Bundestag nun den Vermittlungsausschuss anruft, um über einen Kompromiss zu verhandeln.
Novelle Im Koalitionsvertrag ist festgelegt, dass die Straßenverkehrsrecht so angepasst wird, dass neben Sicherheit und fließendem Verkehr auch die Themen Umweltschutz, Gesundheit und städtebauliche Entwicklung berücksichtigt werden.
Länder und Kommunen sollten schneller und flexibler auf besondere Anforderungen vor Ort reagieren können.
Entwurf Der Bundestag hat einer Änderung bereits Ende Oktober zugestimmt. Geplant waren
erleichterte Tempo-30-Regelungen an Fußgängerüberwegen, vor Kindergärten und Kindertagesstätten, Spielplätzen, hochfrequentierten Schulwegen, allgemeinbildenden Schulen, Förderschulen, Alten- und Pflegeheimen oder auch Krankenhäusern.
die flexiblere Anordnung von Bewohnerparken dort, wo Parkraummangel droht oder bereits besteht. Dort sollten die zur Verfügung stehenden Flächen leichter – vollständig oder zeitlich beschränkt – für Anwohner und sonstige Berechtigte reserviert und gekennzeichnet werden können.
die erleichterte Einrichtung von Sonderfahrspuren für Linienbusse und befristet zur Erprobung neuer Mobilitätsformen.
die Bereitstellung angemessener Flächen für den fließenden und ruhenden Fahrradverkehr sowie für den Fußverkehr.
Abgelehnt Der Bundesrat verweigerte am 24. November seine Zustimmung und stoppte damit die Reform.