Stuttgarter Naturkundemuseum
Tintenfisch im Magen: Was auf dem Speiseplan von Flugsauriern stand
Erstmals sind bei zwei 182 Millionen Jahre alten Flugsaurier-Fossilien die versteinerten Mageninhalte entdeckt worden. Das liefert Paläontologen wichtige Hinweise zu den Ernährungsgewohnheiten und zur Ökologie dieser Tiere.
Von Markus Brauer
Flugsaurier waren zur Zeit der Dinosaurier die Herrscher der Lüfte. Über Jahrmillionen entwickelte sich eine enorme Vielfalt, darunter riesige Arten mit Flügelspannweiten von bis zu 12 Metern.
Dorygnathus und Campylognathoides
Das Fressverhalten dieser Pterosaurier war bisher jedoch wenig erforscht. Die spektakuläre Entdeckung des versteinerten Mageninhaltes bei zwei Flugsaurier-Arten, Dorygnathus und Campylognathoides, aus dem frühen Jura Südwestdeutschlands liefert nun ganz neue Erkenntnisse über die Ernährung dieser Tiere.
Samuel Cooper, Paläontologe am Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart, untersuchte die Fossilien und analysierte die Reste im Magen der Saurier gemeinsam mit David Martill und Roy Smith von der Universität Portsmouth in Großbritannien.
Die in der Fachzeitschrift „Journal of Vertebrate Paleontology“ veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass der Flugsaurier Dorygnathus kleine Fische fraß, während Campylognathoides urzeitliche Tintenfische verzehrte.
One Dorygnathus ate fish One Campylognathoides ate Cefalophods Dietary tendencies of the Early Jurassic pterosaurs Campylognathoides Strand, 1928, and Dorygnathus Wagner, 1860, with additional evidence for teuthophagy in Pterosauria https://t.co/BsKhxpXhlApic.twitter.com/q4qJuPacPu — Dactylioceras (@Dinoh555) October 23, 2024
182 Millionen Jahre alten Exemplare aus Stuttgarter Naturkundemuseum
Dieser älteste und weltweit erste eindeutige Nachweis für den Verzehr von Tintenfischen bei Flugsauriern verrät den Forschern viel über die Lebensweise, Ökologie und Evolution der Tiere.
Die etwa 182 Millionen Jahre alten Exemplare von Dorygnathus und Campylognathoides stammen aus dem Posidonienschiefer der Region um Holzmaden in Baden-Württemberg. Bisher war nichts über die Ernährung von Pterosauriern aus dieser Zeit bekannt.
Der bemerkenswerte Fund ist der erste Beweis für unterschiedliche Ernährungsweisen von zwei verschiedenen Flugsaurierarten in demselben Biotop. „Die versteinerten Mageninhalte sagen uns viel über das damalige Ökosystem und wie die Tiere miteinander interagierten“, erklärt Samuel Cooper.
Flugsaurier hatten unterschiedliche Ernährungsweisen
Bisher sei man davon ausgegangen, dass sich Campylognathoides von Fisch ernährte, ähnlich wie Dorygnathus, bei dem kleine Fischgräten als Mageninhalt gefunden worden seien.
„ Die Tatsache, dass diese beiden Arten unterschiedliche Beutetiere fraßen, zeigt, dass sie sich auf unterschiedliche Ernährungsweisen spezialisiert hatten. Dadurch konnten Dorygnathus und Campylognathoides im gleichen Lebensraum ohne große Nahrungskonkurrenz zwischen diesen beiden Arten koexistieren“, erläutert Cooper.
Versteinerte Mageninhalte, die die letzte Mahlzeit dieser Tiere repräsentieren, sind äußerst selten zu finden. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass Pterosaurier ihre Nahrung sehr schnell verdauten, da das zusätzliche Gewicht im Magen sonst ihre Flugfähigkeit beeinträchtigt hätte.
Einzigartiger Einblick in Lebensweise uralter Kreaturen
Dorygnathus und Campylognathoides ähnelten modernen Seevögeln. Sie flogen über dem Wasser eines warmen, subtropischen Meeres, das während der Jurazeit Süddeutschland überflutete und ihre Nahrungsquelle war.
„Es ist unglaublich selten, 180 Millionen Jahre alte Flugsaurier zu finden, die mit ihrem Mageninhalt erhalten sind und einen eindeutigen Beweis für die Ernährung der Pterosaurier liefern.“ Die Entdeckung biete einen einzigartigen Einblick in die Lebensweise dieser uralten Kreaturen, in ihre Ernährung und in die Ökosysteme, in denen sie vor Millionen von Jahren lebten, erläutert David Martill von der School of Environment and Life Sciences der Universität Portsmouth.
Schwarzschiefer-Gesteinsformation in Holzmaden
Die beiden untersuchten Flugsaurier sind Teil der paläontologischen Sammlungen des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart. Im Rahmen eines Forschungsprojektes des Museums zum Thema „Paläobiologie der Wirbeltiere des Posidonienschiefers“, wurden zahlreiche Fossilien aus dieser Zeit neu untersucht. Dabei wurden die Mageninhalte bei den beiden Flugsauriern entdeckt.
Der Posidonienschiefer ist eine etwa 182 Jahre alte Schwarzschiefer-Gesteinsformation in Südwestdeutschland, die für ihre außergewöhnlich gut erhaltenen und vielfältigen Fossilien bekannt ist. Die fossile Fauna dieser Zeit umfasst eine Vielzahl von Tieren, darunter trächtige Fischsaurier mit erhaltenen Embryonen, langhalsige Plesiosaurier, Meereskrokodile, verschiedene große Fische, Krebstiere, Tintenfische, Ammoniten und Flugsaurier.
Momentaufnahmen des Meereslebens im frühen Jura
Zusammen bieten diese Stücke eine der umfassendsten Momentaufnahmen des Meereslebens im frühen Jura. Versteinerte Weichteile, wie Mageninhalt oder Haut, sind sehr selten, da sie nur unter besonderen Umweltbedingungen erhalten bleiben können.
Der Meeresboden des Posidonienschiefers war sauerstoffarm, was zu guten Erhaltungsbedingungen führte. Zudem sorgte der sehr weiche Schlamm dafür, dass tote Tiere schnell im Schlamm versanken, ohne dass Aasfresser oder Wasserströmungen ihre Überreste zerstörten.
Der Tintenfisch fressende Flugsaurier Campylognathoides ist in der Dauerausstellung des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart im Museum am Löwentor für die Besuchenden zu sehen.