Tödlicher Unfall wirft Fragen auf
Nachdem am Montag ein Siebenjähriger bei einem Unfall am Bleichwiesenkreisel ums Leben gekommen ist, wird die Gefährlichkeit des Fußgängerüberwegs diskutiert, ebenso wie mögliche rechtliche Folgen für die vielen Schaulustigen.
Von Lorena Greppo
Backnang. An der Unfallstelle wurden Blumen und Kuscheltiere niedergelegt und Kerzen aufgestellt. Dass bei einem Verkehrsunfall am Backnanger Bleichwiesenkreisel am Montag ein Siebenjähriger sein Leben verlor, berührt die Menschen. Derzeit wird die Familie des jungen Unfallopfers unter anderem von Ehrenamtlichen eines Arbeitskreises Asyl betreut. Unter den entsprechenden Artikeln in den sozialen Medien haben zahlreiche Nutzer ihre Anteilnahme zum Ausdruck gebracht. Der Fall hat aber auch Diskussionen angeregt. Im Fokus stehen dabei vor allem die Frage, ob und wie der Unfall hätte verhindert werden können, und das Entrüsten angesichts der vielen Schaulustigen, die sich am Montag um die Unfallstelle geschart haben.
Ersteres ist auch Gegenstand der weiteren Ermittlungen. Wie Polizeipressesprecher Rudolf Biehlmaier berichtet, wurde über die Staatsanwaltschaft ein Sachverständiger beauftragt. Für diesen gehe es vor allem um die Vermeidbarkeit des Verkehrsunfalls. Denn: „Die Stelle ist in ihrer baulichen Art gängig und eigentlich auch übersichtlich“, so Biehlmaier. In der Stadt werden zweimal im Jahr Verkehrsschauen vorgenommen, um kritische Stellen in Augenschein zu nehmen und gegebenenfalls zu entschärfen. Dabei werden auch Hinweise aus der Bevölkerung aufgenommen. Bislang ist der besagte Kreisverkehr jedoch nicht als Unfallschwerpunkt aufgefallen.
Geklärt werden muss nun, ob der Autofahrer zu schnell unterwegs war
Der siebenjährige Junge sei hinter einem anderen Kind hergefahren, habe die Straße aus Sicht des Autofahrers von links nach rechts gequert und folglich schon etwa 70 Prozent der Straße hinter sich gelassen, da müsse man sich schon fragen: „Hätte er das Kind sehen müssen?“ Nun müsse also geklärt werden, wie schnell der 19-jährige Audi-Fahrer unterwegs war, ob er womöglich unkonzentriert oder abgelenkt war. Ein anderer Verkehrsteilnehmer hatte gegenüber der Polizei ausgesagt, der Audi-Fahrer habe ihn kurz vor dem Unfall „geschnitten“, sodass er selbst bremsen musste. Auf eine Beeinträchtigung aufgrund von Alkohol oder Drogen bei dem 19-Jährigen gebe es hingegen keine Hinweise, so der Polizeisprecher.
Fragen traten auf Facebook auch dazu auf, ob der Junge vor dem Zebrastreifen hätte von seinem Fahrrad absteigen müssen. Zwar besagt die Straßenverkehrsordnung, dass Kinder unter acht Jahren mit dem Fahrrad auf dem Gehweg fahren müssen, gleichwohl gilt, dass auf einem Fußgängerüberweg nur Fußgänger oder Rollstuhlfahrer Vorfahrt haben, nicht jedoch Radfahrer. Wie also ist dieser Fall zu bewerten? Ein Gerichtsurteil am Osnabrücker Landgericht gibt Aufschluss darüber: Auf einer Hauptverkehrsstraße war ein achtjähriger Junge mit seinem Rad über den Zebrastreifen gefahren, woraufhin ihn eine Autofahrerin erfasste. Der Fall ging glimpflich aus, es entstand lediglich ein Sachschaden. Die Ansicht des Gerichts sei aber klar dargelegt worden, schreibt der ADAC auf seiner Website: „Die Autofahrerin hätte erkennen können, dass es sich um ein jüngeres Kind handelte, bei dem sie Unsicherheiten einkalkulieren muss, so der Richter.“ Diese Einschätzung wurde in allen Instanzen bestätigt. Die Schlussfolgerung des ADAC lautet daher: „Ein Autofahrer haftet für einen Unfall mit einem Kind, das mit seinem Fahrrad einen Zebrastreifen überquert, zu 100 Prozent. Das gilt auch, wenn das Kind vor dem Zebrastreifen in einem Bogen vom Gehweg auf die Straße fährt.“ Dennoch rät die Polizei grundsätzlich allen Radfahrern dazu, vor einem Fußgängerüberweg vom Rad abzusteigen – auch Kindern.
Keine Behinderung der Einsatzkräfte durch die vielen Schaulustigen
Rechtliche Folgen hatten viele Facebook-Nutzer auch für die vielen Schaulustigen gefordert, die am Montagnachmittag an der Unfallstelle stehen geblieben sind, um den weiteren Einsatz zu verfolgen. Aus polizeilicher Sicht sei das von den eingesetzten Beamten nicht als dramatisch geschildert worden, sagt Biehlmaier. „Ja, viele Menschen haben den Rettungseinsatz beobachtet. Allerdings hat dieser auch im Innenstadtbereich stattgefunden, da sind viele Menschen unterwegs.“ Die Polizei schreite diesbezüglich nur dann ein, wenn die Umstehenden den Einsatz behindern oder illegalerweise Fotos vom Opfer machen, erklärt der Polizeisprecher. Das sei nach seinen Informationen nicht der Fall gewesen. „Das Kind war relativ frühzeitig vom Deutschen Roten Kreuz mit Decken abgeschirmt worden, die Feuerwehr hat dann Sichtschutzwände aufgestellt.“
Dabei gehe es nicht nur darum, das Unfallopfer und die Einsatzkräfte vor den Blicken der Passanten zu schützen, sondern auch andersherum das Umfeld vor den Eindrücken eines schweren Unfalls zu bewahren, sagte Christian Siekmann, Sprecher des DRK-Kreisverbands Rems-Murr.
Eine Wertung des Verhaltens der Menschen will Biehlmaier nicht abgeben, in den sozialen Medien hingegen haben zahlreiche Nutzer dies angeprangert. Vor allem dass auch Eltern mit Kindern und Jugendlichen stehen geblieben sind, missfiel einigen. Allerdings sei die Unfallstelle von der Polizei mit einem weiß-roten Band abgesperrt worden, so Biehlmaier, die Passanten hätten sich hinter dem Band versammelt. Diese Auskunft bestätigt auch Jan Kusche, Sprecher der Backnanger Feuerwehr. „Wir hatten ein, zwei Diskussionen mit Passanten, die wissen wollten, warum sie da nicht vorbeikönnen, aber niemand war besonders aufdringlich.“ Die Masse an Schaulustigen erklärt auch er sich mit der Lage, dass Leute bei Unfällen stehen bleiben und hinschauen, sei an sich jedoch keine Besonderheit. Weil die Verkehrssituation am Kreisverkehr so schwierig war, haben die Wehrleute auch die Aufgabe übernommen, die Notfallseelsorger an die Unfallstelle zu bringen – „es war sonst kaum ein Durchkommen“.
Weil derartige Einsätze auch für die Helfer belastend sind, gibt es auch für sie Möglichkeiten zur Nachsorge. „Man schaut nacheinander und fragt, wie es den Kameraden geht“, berichtet Jan Kusche. Die Gespräche untereinander seien meist schon hilfreich, bei Bedarf gebe es aber auch professionelle Angebote. So sei es auch bei der Polizei, sagt Rudolf Biehlmaier. „Bei belastenden Eindrücken können die Beamten Hilfe in Anspruch nehmen.“ Die einzelnen Teams kennen sich untereinander gut, fügt er an. „Sie sprechen miteinander und arbeiten das Geschehen so auf.“