Angeklagte Mutter: „Ich würde nie mein Kind umbringen, nie“
dpa/lsw Tübingen. Die Angeklagte gesteht, nach einer geheim gehaltenen Schwangerschaft allein ihr Kind zur Welt gebracht zu haben. Ihren Angaben nach nimmt sie das röchelnde Baby in den Arm und versucht, es wiederzubeleben - vergebens. Der Staatsanwalt sieht den Ablauf anders.
Eine 48 Jahre alte Frau hat vor dem Landgericht Tübingen energisch bestritten, ihr Kind direkt nach der Geburt getötet zu haben. „Ich habe mein Kind nicht an mich gedrückt und erstickt“, sagte die Frau am Mittwoch. Das Mädchen habe komisch geatmet und geröchelt, sie habe es im Arm gehalten und mehrmals versucht, es zu beatmen. Irgendwann später habe sie den toten Säugling in ihre Tiefkühltruhe im Keller gelegt. Sie habe ihre Schwangerschaft geheim gehalten aus Angst, ihr Ehemann könnte sie aus der Wohnung werfen, sagte die 48-jährige Deutsche.
Die Staatsanwaltschaft wirft der Frau Totschlag vor. Sie habe das Mädchen in Lichtenstein (Landkreis Reutlingen) nach der Geburt erstickt, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Trück. Die heute 48-Jährige sei Anfang des Jahres 2018 von ihrem Ehemann schwanger geworden, habe die Schwangerschaft geheim gehalten. Weder vor, während noch nach der Geburt habe die Frau ärztliche Hilfe in Anspruch genommen. Nach der Geburt soll sie das Neugeborene fest an sich gedrückt haben. Währenddessen habe es aufgehört zu atmen. Den Tod des Kindes soll sie zumindest billigend in Kauf genommen haben.
Ihre Kindheit und ihre zweite Ehe beschrieb die Angeklagte vor Gericht als mindestens schwierig. Am ersten Prozesstag wurde deutlich, dass sie bereits ihre erste Schwangerschaft ihrem ersten Ehemann verheimlichte. Am Tag der Geburt erfuhr er, dass er Vater geworden ist, wie ein Polizeibeamter aus den Vernehmungen der Frau erzählt. Mit diesem Mann bekam die Angeklagte noch eine weitere Tochter. Mit ihrem zweiten Ehemann verdrängte sie nach eigenen Angaben wieder eine Schwangerschaft. Sie brachte Zwillinge zur Welt, zwei Mädchen. Die Ehe scheiterte, die Frau zog aus.
Vor Gericht macht die Frau Erinnerungslücken geltend. Sie habe damals neben sich gestanden, sei unter Schock gewesen. Sie wisse nicht einmal mehr, in welchem Jahr und in welchem Monat sie ihr letztes Kind gebar. „2018 war es auf jeden Fall nicht“, sagte sie. Eines Tages habe sie Schmerzen bekommen und sei in die Dusche gegangen. Dann hätten Wehen eingesetzt. „Und dann kam sie auch schon raus“, beschreibt die Angeklagte die Geburt. „Das Kind hat nicht geschrien. Ich würde nie mein Kind umbringen, nie. Ich liebe meine Kinder.“ Sie habe Luft in den Säugling reingedrückt, ob durch Nase oder Mund wisse sie nicht mehr. Vergeblich. Dann habe sie die Nabelschnur abgeklemmt und durchgeschnitten und das Kind später in die Tiefkühltruhe - die sie bei der Vernehmung als Grab bezeichnete - gelegt.
Der Leiter des Tübinger Perinatalzentrums und der Abteilung Hebammenwissenschaft, Harald Abele, verwies auf einen Artikel in der Fachzeitschrift „Speculum“, der sich mit verdrängten und verheimlichten Schwangerschaften beschäftigt. „Bei der verheimlichten Schwangerschaft weiß die Schwangere von ihrer Schwangerschaft, teilt dies der Umgebung jedoch nicht mit, während die verdrängte Schwangerschaft auch von der betroffenen Frau nicht wahrgenommen wird“, steht in dem Artikel. Als Ursache für die Verdrängung würden ausgeprägte unbewusste Ängste genannt. Die Verdrängung sei dann ein unbewusster Abwehrmechanismus.
Der Prozess wird am Freitag (11.2) fortgesetzt, voraussichtlich mit einem Urteil. (5 Ks 21 Js 13994/20)
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