Traumberuf Hausärztin?
In vielen Gemeinden droht ein Hausarztmangel, denn immer weniger junge Mediziner wollen eine eigene Praxis eröffnen. Doch es gibt auch positive Beispiele, etwa in Oppenweiler.
Von Kornelius Fritz
Oppenweiler. Eigentlich hatte Eva Steininger all das erreicht, wovon eine junge Ärztin träumen kann. Ihre Promotion und die Facharztausbildung zur Internistin und Notfallmedizinerin hatte sie erfolgreich abgeschlossen und durfte nun, mit gerade mal 31 Jahren, die Notaufnahme am Klinikum in Schorndorf leiten. „Ich war damit eine der jüngsten Oberärztinnen Deutschlands“, erzählt die gebürtige Ulmerin.
Deshalb sorgte es auch für einiges Erstaunen, als sie den gut bezahlten Krankenhausjob mit den festen Arbeitszeiten schon nach knapp zwei Jahren wieder kündigte, um eine Hausarztpraxis in Oppenweiler zu übernehmen. Von der aufstrebenden Spezialistin zur Landärztin? Das klang für die Kollegen eher nach Rückschritt. „In meinem Bekanntenkreis konnte kaum jemand nachvollziehen, warum ich eine so gute Stelle aufgebe“, erinnert sich Steininger.
Sie selbst hat diese Entscheidung aber aus voller Überzeugung getroffen. „Es war schon immer mein Traum, etwas Eigenes zu machen“, erzählt sie. Denn so interessant die Arbeit in der Klinik auch war – zuvor hatte sie bereits an Krankenhäusern in Marbach am Neckar und Bad Cannstatt gearbeitet –, sie fühlte sich dort letztlich immer nur wie ein kleines Rädchen im großen Getriebe. „Richtig frei kann man in einem Klinikkonzern nicht arbeiten. Da wird einem viel von oben vorgegeben“, erzählt sie.
Eine Nachfolge wurde dringend gesucht
Deshalb meldete sich Eva Steininger auf eine Anzeige, die die Gemeinde Oppenweiler in einem Ärztemagazin geschaltet hatte. Bürgermeister Bernhard Bühler suchte dringend eine Nachfolge für die Praxis in der Bahnhofstraße, nachdem der langjährige Hausarzt Stefan Gerber krankheitsbedingt aufhören musste.
Dass sich Eva Steininger, die sich auch noch andere Praxen angeschaut hatte, am Ende für Oppenweiler entschied, lag nicht nur daran, dass sie und ihr Mann ganz in der Nähe in Backnang wohnen. Die 33-Jährige war auch beeindruckt davon, wie sich der Bürgermeister und auch das Praxisteam ihres Vorgängers um sie bemühten. „Man hat gespürt, dass hier alle an einem Strang ziehen“, sagt die Medizinerin. So kam ihr die Gemeinde zum Beispiel in der Startphase bei der Miete entgegen und vermittelte den Kontakt zu örtlichen Handwerkern, die die Praxisräume innerhalb von nur zwei Wochen sanierten.
Trotzdem war der Schritt in die Selbstständigkeit nicht ohne Risiko: Für die Ausstattung ihrer Praxis musste die junge Ärztin eine sechsstellige Summe investieren, hinzu kamen hohe laufende Kosten, denen zunächst keine Einnahmen gegenüberstanden, denn die Krankenkassen vergüten die ärztlichen Leistungen immer erst Monate später.
Arbeitsbelastung war höher als beim Klinikjob
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Gleichzeitig war die Arbeitsbelastung ungleich höher als beim geregelten Klinikjob. Denn auch außerhalb der Sprechzeiten gibt es für die Hausärztin jede Menge zu tun. Neben Hausbesuchen und Visiten im Pflegeheim ist viel Papierkram zu erledigen: „Wir müssen unheimlich viel dokumentieren.“ Und letztlich ist sie als Selbstständige auch dafür verantwortlich, dass in ihrer Praxis die Computer funktionieren und das Toilettenpapier rechtzeitig bestellt wird. „Mein Arbeitstag beginnt um 7 Uhr und endet oft um 22 Uhr“, erzählt Eva Steininger. Manchmal lädt sie ihre Diabetespatienten sogar noch am Wochenende zu gemeinsamen Wandertouren ein.
Aber das alles mache sie gern, sagt sie und lächelt zufrieden: „Das ist mein Projekt. Hier kann ich tun, was ich für richtig halte.“ Außerdem spürt sie die Dankbarkeit ihrer Patienten, zu denen sie hier einen viel engeren Draht hat als im Krankenhaus. Auch fachlich empfindet sie den Wechsel keineswegs als Verschlechterung: „Jeder Tag ist anders, die Abwechslung macht es spannend.“ Wobei sie als ausgebildete Internistin auch viele Untersuchungen selbst durchführt, für die andere Hausärzte eine Überweisung schreiben müssten.
Die Entscheidung nicht bereut
Knapp ein Jahr nach der Eröffnung ihrer Praxis ist Eva Steininger nach wie vor von ihrer Entscheidung überzeugt. Sie kann allerdings auch gut nachvollziehen, warum viele ihrer Kolleginnen und Kollegen den Schritt in die Selbstständigkeit scheuen. „Für mich ist es das Richtige, ich kann es anderen aber nicht empfehlen.“ Denn sie hat nicht das Gefühl, dass der hohe Einsatz angemessen honoriert wird. Dass man als Hausärztin nicht reich werde, sei ihr klar gewesen, doch was sie stört, sind Ungerechtigkeiten bei der Bezahlung. So dürfe sie als Hausärztin zum Beispiel bestimmte Leistungen wie eine Diabetesberatung nicht abrechnen, obwohl sie sich als Internistin genau darauf spezialisiert hat. Als unfair empfindet sie auch die Besuchspauschalen, die Hausärzte pro Quartal erhalten, unabhängig davon, ob ein Patient einmal oder zehnmal in die Praxis gekommen ist. Steininger spricht von einer „Flatrate beim Arzt“ und sagt: „Für dieses Honorar würde kein Handwerker kommen.“
Aber eigentlich will die junge Ärztin nicht klagen. Schließlich liebt sie ihre Arbeit. Doch wer den Schritt in die Selbstständigkeit wage, der müsse eben auch wissen, auf was er oder sie sich einlässt. „Denn das hier“, sagt Eva Steininger, „ist nicht nur ein Job, das ist mein Leben.“
Versorgungsgrad Für die hausärztliche Versorgung sind die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) zuständig. Diese ermitteln auch den sogenannten Versorgungsgrad für bestimmte Regionen. Für den sogenannten Mittelbereich Backnang liegt dieser laut KV Baden-Württemberg aktuell nur bei 74 Prozent, 23,5 Hausarztsitze sind nicht besetzt. Der Raum Backnang gilt damit als unterversorgt.
Anreize Um Medizinern eine Niederlassung schmackhaft zu machen, hat die KV Baden-Württemberg ein Förderprogramm gestartet. Haus- und Fachärzte, die in Baden-Württemberg eine Praxis gründen oder eine bestehende Praxis übernehmen, können eine Förderung von bis zu 120000 Euro beantragen. Gefördert werden auch Praxen, die weitere Ärzte anstellen oder eine Zweigpraxis einrichten.
Oppenweiler Dass es in Oppenweiler gelungen ist, eine neue Hausärztin zu gewinnen, führt Bürgermeister Bernhard Bühler auch darauf zurück, dass die Praxisräume der Gemeinde gehören. So habe man selbst eine Nachfolgerin suchen und dieser attraktive Konditionen bieten können. Bühler hat sich persönlich um dieses Thema gekümmert: „Das sollte Chefsache sein“, findet der Bürgermeister.