Traumjob Lehrer – auch in schwierigen Zeiten
Die Schulen ächzen unter dem Lehrermangel, die Unterversorgung abzufedern ist für das Kollegium eine stressige Ausgabe. Wir haben mit vier jungen Lehrkräften gesprochen, die sich dennoch bewusst für den Beruf entschieden haben.
Von Lorena Greppo
Backnang. Kurz bevor es im neuen Schuljahr 2023/24 wieder losging mit dem Unterricht waren in Baden-Württemberg noch 565 unbesetzte Lehrerstellen an den 4500 Schulen gemeldet. Der Lehrermangel ist im Alltag spürbar, darüber ist man sich einig. „Man traut sich fast nicht, krank zu sein“, sagt Jasmin Seelig. Die 27-Jährige unterrichtet in ihrem ersten Jahr nach dem Referendariat an der Mörikeschule in Backnang. Sie weiß: Wenn eine Person ausfällt, haben die Kolleginnen und Kollegen noch mehr Arbeit als ohnehin schon. Und dennoch stimmt sie ihrer Kollegin Debora Fritz zu, als diese sagt: „Ich freue mich trotzdem jeden Tag, hierherzukommen.“
Die beiden Frauen, ebenso wie Pauline Treiber und Manuel Koch, haben sich bewusst für den Lehrberuf entschieden – obwohl sie wussten, wie viel Stress und Arbeit damit in der aktuellen Zeit verbunden ist. Bei Manuel Koch war es sogar der zweite Bildungsweg. Zuerst hatte er eine Ausbildung zum Sozialversicherungsfachangestellten angefangen. „Aber der Bürojob hat mir auf Dauer nicht zugesagt“, erklärt er. Also hat der heute 31-Jährige sich umorientiert und ist nun Lehrer für Wirtschaft, Geschichte und Politik. Der Start in den Lehrberuf sei herausfordernd, sind sich alle einig. „Nach dem Referendariat hat man plötzlich einen vollen Lehrauftrag“, schildert Jasmin Seelig. „Da muss man schon recht selbstständig einsteigen.“ Man müsse als Person Resilienz wie auch Geduld mitbringen, fügt sie an und ihre Kollegen ergänzen: Flexibilität, Kommunikationsfähigkeit, Empathie sind notwendige Tugenden für angehende Lehrkräfte. Ein Lehreralltag sei abwechslungsreich, so Manuel Koch, im Guten wie im Schlechten.
Jüngeren fehlen im Vertretungsfall ihre festen Ansprechpartner
Gefragt nach den schönen Seiten des Berufs sind sich die vier jungen Lehrerinnen und Lehrer einig: die Schüler. „Wir bereiten die Jugendlichen auf das Berufsleben vor“, schildert Debora Fritz. Und schon früher, in der Grundschulzeit, begleite man sie beim Großwerden, beim Staunen und Lernen, fügt Jasmin Seelig hinzu. In der Schule haben viele auch noch mal ganz andere Möglichkeiten, sich zu entfalten, als zu Hause.
„Die Schüler geben einem richtig viel“, fasst Pauline Treiber zusammen. Umso bedauerlicher sei es dann auch, wenn die Umstände dazu führen, dass der Unterricht nicht wie geplant stattfinden kann. „Sie sind traurig, wenn zum Beispiel der Sportunterricht ausfällt, weil der Lehrer krank ist“, sagt Debora Fritz. Pauline Treiber unterrichtet die Primarstufe (Grundschule). Sie weiß, dass die Schüler in diesem Alter eine verlässliche Struktur und feste Ansprechpartner brauchen. „Da fällt es weniger am Unterricht selbst auf, wenn jemand ausfällt, sondern wenn die Bezugsperson fehlt.“ Schließlich können ja auch die Kollegen, die einspringen, einen guten Unterricht machen. „Aber wenn man in eine Klasse kommt und nicht einmal die Namen kennt, dann wird es schwierig“, sagt Manuel Koch. „Jemanden namentlich zu ermahnen, das hat Signalwirkung.“
Junglehrerinnen und Junglehrer teils unzureichend vorbereitet
Dass aber eine Vertretung gebraucht wird, das komme regelmäßig vor. Allein am Vortag hatte Debora Fritz zwei Vertretungsstunden. „Es vergeht kaum eine Woche ohne“, sagt sie. Das sei an sich nicht schlimm, nur erfahre man im Krankheitsfall einer Lehrkraft erst kurzfristig davon und könne die Stunden meistens nicht so gut vorbereiten. Und dann könne es sein, dass man eine Klasse in einer anderen Stufe übernimmt. „Da ist es schwierig, sich reinzufuchsen.“ Besonders bei Erkältungswellen merke man die Mehrbelastung.
Auf solche Situationen seien viele Junglehrerinnen und Junglehrer unzureichend vorbereitet. „Ich würde mir daher im Studium mehr Praxiserfahrung wünschen“, sagt Jasmin Seelig. So sieht es auch Manuel Koch. Ein Studienkollege von ihm sei im dritten Jahr gescheitert, weil er das Praxissemester nicht gepackt habe. „Und das Referendariat ist noch mal eine ganz andere Belastung“, hebt er hervor. In jener Phase sei man quasi ständig in einer Drucksituation. „Viele hören das und wollen gar nicht erst anfangen“, so Kochs Erfahrung.
Wie aber könnte man die Situation verbessern, auch für jene Kollegen, die es bis an die Schulen geschafft haben und aufgrund der Unterversorgung über die Maßen gefordert sind? Ad hoc sieht Debora Fritz nur eine Stellschraube: das Ganztagsprinzip zu hinterfragen. „Wenn viele Stunden ausfallen, muss das angepasst werden.“ Das allerdings könne man Eltern schwer vermitteln, die sich darauf verlassen, dass ihr Kind nachmittags in der Schule ist.
Die Schüler belohnen dasEngagement der Lehrkräfte mit Fleiß
Für Außenstehende sei es oft schwierig, die Fallstricke der Schulen zu verstehen. Umso wichtiger sei es da, sich mit den Kollegen auszutauschen. Das funktioniere an der Mörikeschule vorbildlich. „Die anderen haben immer ein offenes Ohr“, findet Jasmin Seelig. „Das Kollegium ist super und die Schulleiterin sehr fürsorglich“, sagt Debora Fritz. Manchmal müsse man sich Rat einholen, ein Gespräch unter Kollegen helfe dann ungemein.
Und die größte Belohnung: „Wenn die Schüler kommen und sagen: Heute hat der Unterricht richtig Spaß gemacht“, führt Debora Fritz als Beispiel an. „Oder wenn man von den Eltern hört, dass die Kinder gerne zur Schule gehen“, fügt Pauline Treiber hinzu. Besondere Highlights seien auch die Unterrichtsbesuche. „In den Momenten, wo es um etwas geht, ziehen sie alle mit“, erzählt Manuel Koch. Erst vor wenigen Tagen hatte er im Rahmen des Besetzungsverfahren einen Unterrichtsbesuch. „Ich hatte viel Energie reingesteckt, um die Stunde gut zu planen“, erinnert der 31-Jährige sich. „Und alle haben toll mitgearbeitet.“
Umfrage Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) hatte einen Monat nach Schuljahresbeginn eine Umfrage von mehr als tausend Schulleitern im Land im Blick auf die Unterrichtsversorgung in Baden-Württemberg veröffentlicht. Das Ergebnis: Obwohl die Schülerzahlen stark gestiegen sind, vor allem in den Grundschulen, ist die Situation nicht schlechter geworden als im Vorjahr. Grund zur Entwarnung gebe das aber nicht, denn für eine Vollversorgung der Schulen im Land fehlen noch immer mehrere Hundert Lehrkräfte. Kultusministerin Theresa Schopper sprach von 565 unbesetzten Lehrerstellen an den 4500 Schulen.
Versorgung Laut der VBE-Umfrage konnte nur jede dritte Grundschule alle freien Stellen besetzen. Jede zehnte hat Lücken von mehr als zehn Prozent. Bei den weiterführenden Schulen lautet die Rückmeldung wie folgt: Jede sechste Schule habe alle Lehrerstellen besetzt, jede zweite habe Lücken. Jede fünfte weiterführende Schule gab an, den Regelbetrieb nicht leisten zu können. Die größte Not sieht der VBE an den Schulen mit sonderpädagogischem Profil. Hier haben laut Umfrage 70 Prozent der Schulen Versorgungslücken von mehr als zehn Prozent. Mehr als ein Drittel befinde sich „im Notbetrieb“.