Rechnungshof: Grün-Schwarz weicht vom „Pfad der Tugend“ ab
dpa/lsw Stuttgart. Es ist eine kalte Dusche für Kretschmann und Grün-Schwarz: Der Rechnungshof hält die neuen Schulden im Nachtragshaushalt für rechtlich problematisch. Dabei wollte Finanzminister Bayaz den Etat an diesem Mittwoch endgültig über die Bühne bringen.
Die grün-schwarze Landesregierung gerät wegen ihres Nachtragshaushalts mit neuen Milliardenschulden immer stärker in Erklärungsnot. Der Landesrechnungshof geht davon aus, dass der Etat gegen die Regeln der Schuldenbremse in der Landesverfassung verstößt. „Wir sehen hier Zweifel an der Verfassungsgemäßheit des Haushalts“, sagte Günther Benz, Präsident des Rechnungshofs, am Montag in Stuttgart. Die neuen Schulden seien „problematisch“, weil das Land über einen Kassenüberschuss in Höhe von 3,2 Milliarden Euro aus dem Jahr 2020 verfüge, den sie auch verwenden könne. Die FDP kündigte an, gegen den Etat zu klagen. Die SPD sieht eine „herbe Ohrfeige“ für den neuen Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) und die grün-schwarze Koalition.
Finanzminister hält Kurs: „Wir sind noch mitten in der Pandemie“
Bayaz will trotz der massiven Kritik am Nachtragsetat festhalten und ihn am Mittwoch im Landtag beschließen lassen. „Die Finanzlage des Landes ist nach wie vor extrem belastet“, teilte das Ministerium auf Anfrage mit. Es sei - anders als vom Rechnungshof dargestellt - nicht möglich, den Überschuss aus dem Jahr 2020 einzusetzen, um im Nachtrag ohne Kredite auskommen zu können. „Wie hoch der Überschuss tatsächlich ist, wissen wir aktuell noch nicht“, hieß es. Das Plus werde erst Ende des Jahres festgestellt. „Wir werden ihn deshalb erst für den Haushalt 2022 einsetzen.“ Für den Etat 2022 hatte Grün-Schwarz schon angekündigt, ohne neue Schulden auskommen zu wollen. Die Eckpunkte sollen an diesem Dienstag im Kabinett beschlossen werden.
Rechnungsprüfer: Grün-Schwarz verlässt „Pfad der Tugend“
Benz hält es zwar für richtig, dass das Land sich im Doppelhaushalt 2020/2021 einen Puffer von 940 Millionen Euro für mögliche weitere Folgen der Corona-Krise schafft. Doch seien dafür keine neuen Schulden nötig. „Die kann man finanzieren, weil es in der Schublade ist.“ Es sei nicht überzeugend, wenn das Land argumentiere, das Plus sei noch nicht formal festgestellt. Haushaltsrechtlich sei es sehr wohl möglich, die Überschüsse zu nutzen, erklärte Benz. Mit den neuen Schulden verlasse Grün-Schwarz den „Pfad der Tugend“.
Wenn die Regierung wegen Corona erneut die Ausnahmeklausel der Naturkatastrophe bei der Schuldenbremse nutzen wolle, müsse sie auch nachweisen, dass die Landesfinanzen insgesamt beeinträchtigt seien. „Wir glauben das nicht“, erklärte Benz. Zum Jahresende 2020 habe das Land durch anziehende Steuereinnahmen einen Kassenüberschuss von 3,2 Milliarden Euro erzielt. Die Regierung könne deshalb die benötigten 940 Millionen Euro hier entnehmen. „Eigentlich erfordert die Schuldenbremse auch diese Finanzierung und damit auch den Verzicht auf neue Schulden.“
Das Finanzministerium hatte den Überschuss aus dem Jahr 2020 in internen Unterlagen für die Aufstellung des Haushalts 2022 auf 2,6 Milliarden Euro beziffert. Benz sagte: „Wir gehen davon aus, dass die 2,6 Milliarden Euro ein valider Wert sind.“ Grün-Schwarz müsse diesen Spielraum jetzt als Alternative zu weiteren Notlagen-Krediten nutzen. Grün-Schwarz hat wegen Corona im Doppelhaushalt 2020/2021 schon 13,5 Milliarden Euro neue Kredite aufgenommen.
Passen neue Stellen in Ministerien in die Zeit?
Die Regierung will sich mit dem Nachtrag vor allem für den unsicheren Verlauf der Corona-Krise wappnen und die Folgen bei Kommunen und Unternehmen abmildern. Aus der Rücklage sollen unter anderem der Weiterbetrieb von Impf- und Testzentren sowie denkbare weitere Hilfsprogramme finanziert werden, aber auch der Rettungsschirm für den Öffentlichen Nahverkehr. Zudem mussten die Kosten der Regierungsbildung, etwa das neue Bauministerium und die vier zusätzlichen Posten für Staatssekretäre, im Haushalt abgebildet werden.
Der Rechnungshof-Präsident bemerkte hierzu, die Regierung müsse selbst darüber nachdenken, ob dies in die Zeit passe. Es gehe jedoch nicht an, dass Grün-Schwarz immer neue Stellen schaffe. Die Grünen unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann haben seit 2011 den Regierungsapparat um etwa 1100 Stellen auf 4000 aufgestockt. Benz forderte: „Ich muss gucken, dass ich mit dem vorhandenen Personal auskomme.“ Er sprach sich aber dagegen aus, die Besoldung der Beamten zu beschneiden. Der Öffentliche Dienst müsse attraktiv bleiben, sonst gehe der Nachwuchs in die freie Wirtschaft.
Eine weitere Möglichkeit des Landes zur Konsolidierung sei, die Ausgabereste im Haushalt aufzulösen. Diese seien 2019 gegenüber dem Vorjahr um 777 Millionen Euro auf 6,4 Milliarden Euro gestiegen.
FDP, SPD und AfD in seltener Eintracht
FDP, SPD und AfD sehen sich durch den Rechnungshof bestätigt. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Es ist erfreulich, dass der Rechnungshof unsere Einschätzung teilt: Dieser Haushalt ist nicht nur politisch unangemessen, sondern grob verfassungswidrig. Wir werden vor dem Landesverfassungsgericht dagegen vorgehen.“ SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sagte: „Wir fordern die Landesregierung auf: Nehmen Sie diesen verfassungswidrigen Haushaltsentwurf vom Tisch.“ Für die AfD erklärte Rainer Podeswa: „Der Landesrechnungshof sieht den dritten Nachtragshaushalt zurecht als den Sündenfall der grün-schwarzen Landesregierung.“
© dpa-infocom, dpa:210719-99-437408/3