Lage im Überblick
Neue US-Regierung sieht Nahen Osten am "Wendepunkt"
Donald Trumps Nahost-Gesandter betrachtet die Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas als «unglaubliche Chance für die Region» - und finanziellen Profit. Wird ein historisches Abkommen nun erweitert?
Von dpa
Washington/Tel Aviv - Die neue US-Regierung sieht die Waffenruhe im Gaza-Krieg als große Chance, um die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten im Nahen Osten voranzutreiben. Sollte dies gelingen, wäre das ein enormer Fortschritt für Israel und die gesamte Region, sagte Steve Witkoff, der Nahost-Gesandte des neuen US-Präsidenten Donald Trump, dem Sender Fox News.
Schon während Trumps erster Amtszeit begann Israels Isolation im Nahen Osten zu bröckeln. Nun nährt ein Telefonat des Republikaners mit dem einflussreichen saudischen Königshaus Hoffnungen auf erneutes Tauwetter in der Region. Trump hatte 2020 die sogenannten Abraham-Abkommen zur Normalisierung der Beziehung zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten auf den Weg gebracht - damals ein historischer Durchbruch.
Durch die seit Sonntag geltende Waffenruhe im Gaza-Krieg und den Machtwechsel in den USA gebe es jetzt wieder eine besondere Dynamik, sagte Witkoff. Katar und Ägypten hätten sich schon sehr erfolgreich als Vermittler bei den Verhandlungen mit der Hamas eingebracht, nun könnten andere Länder folgen. "Ich glaube, dass man jeden in dieser Region an Bord holen könnte", sagte Witkoff. "Das ist ein Wendepunkt."
"Der Anfang vom Ende des Krieges"
Politische Normalisierung sei "eine unglaubliche Chance für die Region" und "der Anfang vom Ende des Krieges" - was wiederum bedeute, dass Investitionen möglich würden, weil Banken sich nicht mehr gegen Kriegsrisiken absichern müssten. Die Voraussetzung für all das, meint Witkoff, sei die mühsam ausgehandelte Waffenruhe in Gaza gewesen.
Saudi-Arabien hat politisch und wirtschaftlich besonderes Gewicht in der Region. In einem Telefonat anlässlich seiner Vereidigung habe Kronprinz Mohammed bin Salman am Mittwochabend mit Trump besprochen, wie beide Länder gemeinsam "Frieden, Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten" voranbringen könnten, berichtete die saudische Agentur Spa. Trump habe ebenfalls Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert. Seitens der neuen US-Regierung gab es zunächst keine Stellungnahme zu dem Gespräch.
Weitreichendes Verteidigungsabkommen geplant?
Medienberichten zufolge war es Trumps erstes Telefonat mit einem ausländischen Staatsführer seit der Vereidigung am Montag - zumindest wurde bislang nichts über ein anderes Gespräch davor bekannt. Dass er als Erstes mit Salman sprach, dem faktischen Herrscher der Regionalmacht Saudi-Arabien, gebe Aufschluss über die Prioritäten der neuen US-Regierung, kommentierte die Zeitung "Times of Israel". Das Gespräch deute darauf hin, dass Trump ein weitreichendes Verteidigungsabkommen mit Saudi-Arabien anstrebe und die historischen Abraham-Verträge erweitern wolle.
Als jüdischer Staat umgeben von islamisch geprägten Ländern war Israel im Nahen Osten über Jahrzehnte isoliert und unterhielt nur mit Ägypten und Jordanien einen "kalten Frieden". Die mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko und dem Sudan geschlossenen Abraham-Verträge waren ein Meilenstein - brachen sie doch mit dem Grundsatz, vor einer Annäherung an Israel müsse dessen Konflikt mit den Palästinensern gelöst werden.
Hamas-Terror machte Annäherung zunichte
Viele Muslime werteten diese Kehrtwende als Verrat. Wohl auch deshalb wurde sie offiziell vor allem als wirtschaftlicher Erfolg verkauft, wobei die Golfstaaten und Israel auch der gemeinsame Feind Iran verbindet. Ende September 2023 teilte Israels Regierung dann mit, ein "historischer Frieden" mit Saudi-Arabien sei in greifbarer Nähe und werde "einen neuen Nahen Osten schaffen".
Zwei Wochen später überfielen Terroristen der Hamas und anderer Gruppen den Süden Israels. Das Massaker am 7. Oktober 2023 löste den Gaza-Krieg aus und stürzte den Nahen Osten in eine tiefe Krise. Vermutet wird, dass die Hamas mit dem beispiellosen Überfall die sich damals konkret abzeichnende Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien verhindern wollte. Tatsächlich kam der Normalisierungsprozess dadurch zum Erliegen.
Israel treibt Militäroperation im Westjordanland voran
Zwar wurde nun eine Waffenruhe im Gaza-Krieg erzielt. Allerdings gibt es Befürchtungen, dass die seit 2007 im Gazastreifen herrschende und von Israels Militärschlägen der vergangenen Monate geschwächte Hamas jetzt radikale Palästinenser im Westjordanland aufrüstet, um eine weitere Front gegen Israel zu eröffnen. So rief die Hamas die Bevölkerung zur "Generalmobilisierung" und zu Konfrontationen mit den israelischen Sicherheitskräften und Siedlern auf.
Am Dienstag ordnete die israelische Regierung eine groß angelegte Militäroperation im Westjordanland an, bei der seither rund ein Dutzend Palästinenser getötet wurden. Vor allem in der Stadt Dschenin, einer Hochburg militanter Palästinenser, kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen.
Die saudische Regierung reagierte empört, verurteilte den Gewalteinsatz der israelischen Armee und forderte die internationale Gemeinschaft auf, das völkerrechtswidrige Vorgehen der "Besatzungsmacht" zu stoppen. Ein UN-Sprecher warnte davor, das Leben unschuldiger Menschen aufs Spiel zu setzen und zivile Infrastruktur zu zerstören.
Berichten zufolge gab es Razzien in mehreren Städten des 1967 von Israel besetzten Westjordanlands, auch Drohnenangriffe wurden gemeldet. Die israelische Armee teilte mit, mehrere Terroristen seien getötet worden. Nach palästinensischen Angaben gab es mindestens zwölf Tote und Dutzende Verletzte.
Der Militäreinsatz in Dschenin ist der umfangreichste seit langem. Zuvor hatte sich die ohnehin schon gespannte Lage im Westjordanland angesichts des Erstarkens militanter Palästinenser und zunehmender Gewalt radikaler israelischer Siedler gegen palästinensische Zivilisten drastisch verschärft.
Gewalt und Truppenabzug im Gazastreifen
Ungeachtet der Feuerpause kam es auch in Gaza zu gewaltsamen Konfrontationen, bei denen ein Palästinenser getötet wurde. Nach Angaben eines Militärsprechers handelte es sich um einen Kämpfer der Terrororganisation Islamischer Dschihad. Das Militär appellierte an die Palästinenser, sich nicht den Truppen zu nähern.
Gemäß der getroffenen Vereinbarungen zogen israelische Truppen am Mittwoch mit ihren Fahrzeugen aus Dschabalija im nördlichen Gazastreifen ab. Das Militär veröffentlichte Aufnahmen einer Panzerkolonne, die das Gebiet entlang des Grenzzauns verließ. Der von der Hamas geforderte Komplettabzug der Armee aus dem Küstengebiet gehört zu den größten Streitpunkten der kommenden Verhandlungen über die nächsten Phasen des Gaza-Abkommens, die bisher ausgeklammert wurden.