Tübingens OB kritisiert fehlende Streitkultur der Grünen
dpa Tübingen. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) hat seiner Partei eine fehlende Streitkultur vorgeworfen. „Diese Partei muss verdammt aufpassen, dass sie nicht von einer avantgardistischen lebendigen Partei zu einer der eingeschlafenen Füße wird“, sagte Palmer dem „Südkurier“ und der „Heilbronner Stimme“ (Dienstag). Er kämpfe dafür, dass man zurückkehre zu einer offenen Streitkultur, die Differenzen aushalte und sich nicht einmauere.
Es werde inzwischen bei den Grünen überhaupt nicht mehr gestritten, das gelte selbst für Waffenlieferungen in die Ukraine. Er sei noch dabei gewesen, als man auf Parteitagen gestritten habe wie die Kesselflicker und Joschka Fischer als Kriegstreiber beschimpft worden sei, sagte Palmer den Zeitungen.
Zugleich kritisierte Palmer die inhaltliche Ausrichtung der Grünen. Er mache sich große Sorgen über diese Verwandlung in eine Partei in der die Funktionäre einer neuen Ideologie huldigten. „Nämlich eben dieser Wokeness, die die Menschen nicht mehr als Individuen sieht, sondern ihnen Rechte und Pflichten zuteilt, je nach ihrer Zugehörigkeit zu fiktiven Identitäten, die an Hautfarbe, Ethnizität und sexueller Orientierung festgemacht werden“, sagte Palmer. Unter „Wokeness“ oder Wachsamkeit versteht man allgemein ein großes Bewusstsein für soziale Ungleichheit sowie rassistische oder sexistische Diskriminierung.
Diese Scheinkonsense, diese ständige Verletztheit und das Dahertragen der eigenen Gefühle als Maßstab für die ganze Welt machten die Auseinandersetzung in der Sache unmöglich, befand Palmer. Darum gehe es auch in dem Parteiausschlussverfahren gegen ihn.
Ein Landesparteitag hatte Anfang Mai 2021 beschlossen, ein Parteiordnungsverfahren gegen den wegen seiner Provokationen umstrittenen Rathauschef anzustrengen. Zur Tübinger OB-Wahl im Herbst möchte Palmer als unabhängiger Kandidat antreten. „Wenn es soweit kommen sollte, lege ich Wert darauf, dass die Grünen gegen den grünen Amtsinhaber antreten. Und nicht ich gegen die Grünen“, sagte Palmer.
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