Proteste in Türkei

Türkei zunehmend gespalten

Die Opposition plant weitere Kundgebungen. Imamoglu startet unterdessen seinen Wahlkampf von der Gefängniszelle aus.

Menschen bei einer Kundgebung, zu der die Republikanische Volkspartei (CHP) gegen die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu aufgerufen hat.

© AP/Francisco Seco

Menschen bei einer Kundgebung, zu der die Republikanische Volkspartei (CHP) gegen die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu aufgerufen hat.

Von Susanne Güsten

An diesem Mittwoch beginnt eine Reihe von Kundgebungen der Opposition gegen die Inhaftierung von Präsidentschaftskandidat Ekrem Imamoglu und gegen die Regierung von Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Zweimal die Woche will Imamoglus Partei CHP möglichst viele Menschen auf die Straße bekommen, dazu kommen tägliche Veranstaltungen anderer regierungskritischer Gruppen – die Opposition habe einen „langen Atem“, sagt die CHP. Allerdings können die Erdogan-Gegner bisher nur ihre eigenen Anhänger motivieren: Die Türkei ist gespalten.

Nach Imamoglus Festnahme am 19. März hatten Hunderttausende zehn Tage lang in Istanbul und anderen Städten gegen Erdogan protestiert. Der Präsident ließ seinen Widersacher Imamoglu nach Meinung vieler Türken unter fadenscheinigen Korruptionsvorwürfen von der regierungstreuen Justiz hinter Gitter bringen. Ende März wurden die Proteste durch die Ferien am Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan unterbrochen, die viele Türken für einen Strandurlaub oder Familienbesuche nutzten. Die Ferien endeten am Montag, und die CHP will nun wieder Druck auf Erdogan machen. Sie fordert Imamoglus Freilassung und Neuwahlen vor dem regulären Termin 2028.

Mittwochs und samstags ist Demo

Die Oppositionspartei will ihre neuen Kundgebungen im Wechsel mittwochs in Istanbul und samstags in einer anderen Stadt organisieren. Der Auftakt soll am Mittwoch im Istanbuler Stadtteil Sisli stattfinden, einer Hochburg der CHP im europäischen Teil der Metropole: Die Partei hatte die Kommunalwahlen in dem Bezirk mit rund 200 000 Wählern im vorigen Jahr mit fast 67 Prozent der Stimmen gewonnen. Bürgermeister Resul Emrah Sahan wurde im März zusammen mit Imamoglu festgenommen und abgesetzt und durch einen Statthalter von Erdogans Regierung ersetzt. Bei der Veranstaltung am Mittwoch kann die CHP deshalb mit vielen Teilnehmern rechnen.

Als Schauplatz der ersten Samstags-Kundgebung am kommenden Wochenende wählte die CHP die Stadt Samsun am Schwarzen Meer. Samsun war Startpunkt des Kampfes von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk für die Schaffung der Republik nach dem Ersten Weltkrieg. Atatürk fuhr im Mai 1919 von Istanbul per Schiff nach Samsun, wo er begann, versprengte Truppen des osmanischen Heeres um sich zu sammeln. Nach einem Krieg gegen die Besatzungsmächte gründete er vier Jahre später die moderne Türkei.

Studentengruppen und die türkische kommunistische Partei rufen diese Woche außerdem zu Kundgebungen und Boykottaktionen in der Hauptstadt Ankara, in der nordwesttürkischen Industriestadt Bursa, im westtürkischen Izmir und im zentralanatolischen Konya auf.

Imamoglu feuert die Regierungsgegner aus seiner Gefängniszelle heraus an. In einem Beitrag für die Oppositionszeitung „Sözcü“, der sich wie ein Wahlkampfmanifest las, warf er Erdogans Regierung vor, jeden Herausforderer und Andersdenkenden als Feind zu betrachten. Unter diesen Bedingungen „wird nichts besser, alles wird schlimmer“. Die regierende „Oligarchen-Struktur“ setze die Zukunft des Landes aufs Spiel.

Konsumentenstreik wirkt – in beide Richtungen

Imamoglu spreche die Wähler der politischen Mitte in der Türkei an, sagt der ehemalige türkische Diplomat Ömer Murat, der im deutschen Exil lebt. Das sei der Grund, warum Erdogan seinen Rivalen aus dem Verkehr gezogen habe, sagte Murat unserer Zeitung.

An diesem Freitag werden zwei Prozesse gegen Imamoglu fortgesetzt, die bereits vor seiner Festnahme begonnen hatten. In einem Verfahren geht es um den Vorwurf der Manipulation von Ausschreibungen, in dem anderen um eine angebliche Beleidigung eines Staatsanwalts. „Die Türkei ähnelt allmählich dem Russland von Wladimir Putin“, sagte Ex-Diplomat Murat.

Die Opposition hofft, bei den neuen Protesten auch Anhänger des Regierungslagers auf ihre Seite ziehen zu können. Selbst unter Erdogan-Wählern gebe es kaum Unterstützung für den repressiven Kurs des Präsidenten, schrieb Imamoglu. „Niemand, der ein Gewissen hat, akzeptiert diese Praktiken.“

Die AKP hat seit Imamoglus Festnahme in den Umfragen an Boden verloren, während die CHP selbst in Befragungen regierungsfreundlicher Institute zugelegt hat. Allerdings halten viele AKP-Wähler weiter zu Erdogan. Nach einer Befragung des renommierten Instituts Konda finden 34 Prozent der Türken die Vorwürfe gegen Imamoglu falsch, 28 Prozent finden sie richtig, die restlichen 38 Prozent äußerten keine Meinung dazu.

An der seit Jahren bestehenden Polarisierung zwischen Erdogan-Gegnern und -Anhängern hat sich durch Imamoglus Inhaftierung bisher nichts geändert. Als die Opposition vorige Woche zu einem eintägigen Konsumentenstreik aufrief und Erdogans Regierung den Appell als wirtschaftsschädlich kritisierte, verzeichneten Einkaufszentren in Hochburgen der Opposition einen deutlichen Kundenrückgang, wie die regierungskritische Zeitung „Karar“ berichtete. In Einkaufszentren in Gegenden mit AKP-Mehrheit nahm die Zahl der Kunden dagegen zu.

Erdogans Regierung wirft der CHP vor, sie wolle sich „jenseits der Wahlurnen“ mit Straßenprotesten durchsetzen, wie Außenminister Hakan Fidan auf X schrieb. Die Regierungsgegner sollten den Bogen nicht überspannen, warnte Fidan. Die AKP sagt, die Ermittlungen gegen Imamoglu seien Teil eines rechtsstaatlichen Verfahrens.

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Erstellt:
7. April 2025, 14:14 Uhr

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