Twitter verliert offenbar Hälfte des Firmenwerts
Gerade ein halbes Jahr ist es her, dass Elon Musk Twitter übernommen hat. Seitdem ist viel passiert – unter anderem ein Beinahe-Bankrott. Auch der Firmenwert ist drastisch gesunken.
Von afp/sfl
44 Milliarden Dollar hatte Tech-Unternehmer Elon Musk im Oktober 2022 für den Kurznachrichtendienst Twitter bezahlt. Nun ist das Unternehmen weniger als die Hälfte wert. Musk bezifferte den aktuellen Wert auf 20 Milliarden Dollar (18,56 Milliarden Dollar).
In einer internen E-Mail, aus der US-Medien zitieren, beschreibt der Unternehmer den Wertverlust des Unternehmens. In dem Schreiben ging es um ein neues Programm zur Vergütung von Mitarbeitern über Aktien. Musk gibt außerdem zu, die Kommunikationsplattform habe derart große finanzielle Schwierigkeiten gehabt, dass sie zeitweise vor dem Bankrott gestanden habe. Schon seine Ankündigung der Kaufabsichten im April 2022 hatte zu einem Verlust der Tesla-Aktie von mehr als drei Prozent geführt.
Massenentlassungen und technische Probleme
Es ist nicht Twitters erste Krise nach der Übernahme durch den Milliardär, der auch Chef des Elektroautoherstellers Tesla und des Raumfahrtunternehmens SpaceX ist. Direkt nach seiner Übernahme hatte Musk zuerst die gesamte Führungsetage und dann rund die Hälfte der damals 7500 Angestellten fristlos entlassen. Sie wären einfach aus ihrem Firmen-Mail-Account und aus Slack ausgeloggt worden, wie ein ehemaliger Angestellter auf LinkedIn berichtet. Offene Kommunikation über die Zukunft der Belegschaft habe es nicht gegeben. Mitarbeitende erfuhren aus Tweets ihres neuen Chefs, wie es mit dem Unternehmen in Zukunft weitergehen soll.
Die Massenentlassung handelte Musk eine Massenklage ein: Der sogenannte Warn Act verpflichtet in den USA Unternehmen dazu, solche Massenentlassungen mindestens 60 Tage vorher anzukündigen. Anwältin Shannon Liss-Riordan, die bereits für Klagen gegen Tesla zuständig war, hatte die Sammelklage eingereicht.
Da Musk auch viele Mitarbeitende aus der technischen Abteilung und der Produktentwicklung entlassen hatte, kam es in den folgenden Monaten immer wieder zu technischen Störungen auf der Plattform.
Auch in der Kommunikationsabteilung, unter anderem zuständig für die Pressearbeit, wurden zahlreiche Personen entlassen. In Deutschland wurde Ende 2022 die komplette Pressestelle aufgelöst. Mit dem Unternehmen in Kontakt zu treten, ist seither schwierig. Journalistinnen und Journalisten, die Anfragen an die E-Mail-Adresse press@twitter.com stellten, bekamen jüngst lediglich ein Emoji, das einen braunen Haufen darstellt, als automatische Antwort. Der Deutsche Journalisten-Verband hatte dies kritisiert.
Schreibt man Presseanfragen an @Twitter, kommt ein braunes Häufchen als Antwort. @ElonMusk ruiniert #Twitter und verhält sich nicht nur in seiner Verachtung der #Pressefreiheit wie ein pubertierender Teenager. Das ist nicht witzig, das ist einfach nur beschämend. @TwitterDEhttps://t.co/4khEMoCb0j — Journalisten-Verband (DJV) @DJV@federated.press (@DJVde) March 20, 2023
Blaue Haken und Falschinformation
Eine weitere Änderung, die auf Musks Konto ging, ist „Twitter Blue“: Bis dato wurden die charakteristischen blauen Häkchen nur nach vorheriger Verifizierung an Prominente, Politiker, Journalisten und Unternehmen vergeben. Sie dienten als Symbol für eine bestätigte, glaubwürdige Quelle. Nun kann man für acht Euro pro Monat eine Art Abo-Lizenz für den blauen Haken erwerben. Beiträge von Abonnentinnen und Abonnenten sollen demnach prominenter platziert und mehr Menschen angezeigt werden.
Dies kann zur Verbreitung von Falschinformationen und Propaganda beitragen, wie eine Studie der US-Forschungsgruppe Reset zeigt: Mehrere prorussische Twitter-Profile hatten in den Wochen nach der Abo-Einführung das Verifikationssymbol gekauft und verbreiteten Falschinformationen über den Ukraine-Krieg. Kritiker hatten schon bei Musks Übernahme von Twitter Befürchtungen geäußert, dass dies einen Rückschlag im Kampf gegen Hassbotschaften und Falschnachrichten bedeuten könne.
Antisemitischen Tweets haben deutlich zugenommen
Eine Studie des Institute for Strategic Dialogue fand heraus, dass sich die Zahl der antisemitischen Tweets nach Musks Übernahme mehr als verdoppelt hatte: Von Juni 2022 bis Februar 2023 zählten die Forscher 325.739 antisemitische, englischsprachige Tweets. Der wöchentliche Durchschnitt stieg in den drei Monaten nach Musks Übernahme um 106 Prozent. Auch die Geschwindigkeit, mit der neue antisemitische Accounts erschienen, verdreifachte sich laut der Studie.
Musk versteht sich als Verteidiger der freien Rede, er wolle daher die Moderation von Tweets faktisch eliminieren, kündigte er an. Gleichzeitig sperrte er für eine kurze Zeit die Twitter-Accounts mehrerer Journalisten, die sich kritisch zu ihm oder seinen Aktivitäten bei Twitter geäußert hatten. Auch der ehemalige US-Präsident Donald Trump, der seit Anfang 2021 in sozialen Medien gesperrt ist, durfte unter Musk zurückkehren. Eine knappe Mehrheit von 51,8 Prozent hatte sich in einer Umfrage für eine Entsperrung von Trumps Account ausgesprochen. Allerdings hatten nur rund 15 Millionen von Twitters 230 Millionen aktiven Nutzern überhaupt abgestimmt.
Fehlende Werbekunden sorgen für Umsatzeinbußen
Viele der großen Werbekunden hatten nach Musks turbulentem Start bei Twitter ihre Werbung erst einmal ausgesetzt. Dazu zählen Pfizer, General Motors und Volkswagen. Da Twitter 90 Prozent seines Umsatzes mit Werbung macht, blieb dies nicht ohne Auswirkungen. So benannte Musk in der jüngsten E-Mail auch die fehlenden Werbeeinnahmen als einen Grund für den stark gesunkenen Wert des Unternehmens. Musk äußerte die Erwartung, dass der Konzern im zweiten Jahresquartal durch die Rückkehr von Werbekunden wieder in die Gewinnzone kommen könne. Er sehe einen „klaren, aber schwierigen Weg“ vor Twitter, auf dem der Wert des Unternehmens auf 250 Milliarden Dollar steigen könne, also mehr als das zehnfache seines jetzigen Wertes. In welchen Zeiträumen dies geschehen könne, sagte Musk nicht.