Sozialbeiträge

Union und SPD vereinbaren Entlastungen für die Krankenkassen

Mehr versicherungsfremde Leistungen – etwa die Beiträge für die Bürgergeldbezieher – sollen direkt aus dem Steuertopf bezahlt werden.

Ob er auch künftig Gesundheitsminister bleibt, ist höchst unsicher: der SPD-Politiker Karl Lauterbach.

© dpa/Rolf Vennenbernd

Ob er auch künftig Gesundheitsminister bleibt, ist höchst unsicher: der SPD-Politiker Karl Lauterbach.

Von Norbert Wallet

In der vergangenen Wahlperiode war die Gesundheitspolitik der Schauplatz großer Reformen und großer Konflikte. In den nächsten vier Jahren könnte es hier ruhiger werden. Das Papier, auf das sich die Unterhändler von Union und SPD in den Koalitionsverhandlungen geeinigt haben, enthält jedenfalls keine grundstürzenden Sensationen.

Aufatmen werden nach der Lektüre die gesetzlichen Krankenkassen (GKV). Ein Teil ihrer seit langem vorgetragenen Anliegen wurden berücksichtigt. Noch in dem Streitgespräch unserer Zeitung zwischen dem Chef der Südwest-AOK, Johannes Bauernfeind, und der Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland, Dorothee Brakmann, waren sich beide Diskutanten auffallend einig, dass die GKV endlich von versicherungsfremden Leistungen befreit werden sollte.

Drei Kassenforderungen werden erfüllt

Dem wollen die Koalitionäre nun in drei wichtigen Punkten folgen: Die Beiträge für die Bürgergeldempfänger sollen künftig voll aus Steuermitteln übernommen werden, und der Bundeszuschuss zum Ausgleich für versicherungsfremde Leistungen, der bislang starr bei 14,5 Milliarden verharrte, soll nun „entsprechend der Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen“ dynamisiert werden. Zudem sollen die Kassen nun doch nicht zur Hälfte die Lasten des Transformationsfonds tragen, der die Umbrüche im Zuge der Krankenhausreform abfedern soll. Das dadurch fehlende Geld soll aus dem Sondervermögen kommen.

In der Pflegeversicherung vereinbarten Union und SPD die pflegebedingten Eigenanteile bei den Heimkosten zu begrenzen. Das soll Teil einer „großen Pflegereform“ werden, deren Grundzüge binnen eines halben Jahres vorgestellt werden sollen. Auch hier sollen versicherungsfremde Leistungen vom Bund übernommen werden. Ausdrücklich genannt werden die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige und die Ausbildungsumlage. Die Zusatzkosten durch die Corona-Pandemie werden zurückerstattet.

Das Gesundheitssystem soll vor allem durch die Einführung eines „verbindlichen Primärarztsystems“ effizienter werden, bei dem der Hausarzt als Lotse fungiert. Im Prinzip ist dies das in Baden-Württemberg gut bekannte System der hausarztzentrierten Versorgung. Allerdings bleiben auch Kostenrisiken. In unterversorgten Gebieten sollen die Honorarbudgets für Fachärzte entfallen. Und auch die Einnahmesituation von Apothekern soll verbessert werden.

Erste Reaktionen gegenüber unserer Zeitung fallen nicht unfreundlich aus. So nennt es ein Sprecher von Pharma Deutschland eine „sehr gute Nachricht“, dass die Koalition die Beitragssätze der Bürgergeldempfänger und die notwendige Entwicklung der Krankenhauslandschaft über den neuen Transformationsfond finanzieren will. Sogar „noch erfreulicher“ sei, dass die Bundesregierung die Pharmastrategie fortsetzen wolle. Das werde dem Wirtschaftsstandort Deutschland „sehr helfen“. Südwest-AOK-Chef Bauernfeind nennt die Entlastung von versicherungsfremden Leistungen, etwa bei den Bürgergeldempfängern, „nicht nur notwendig, sondern ordnungspolitisch überfällig“ und das geplante Primärarztsystem „nachvollziehbar“. Was ihm fehlt sind „echte Strukturreformen und wirksame Begrenzungen auf der Ausgabenseite“.