„Unternehmen müssen das E-Auto endlich angehen“

IG-Metall-Landeschef Zitzelsberger sieht in neuen Technologien ein großes Jobrisiko, hält Nichtstun aber für noch gefährlicher

Es wird ernst: Schon in diesem Jahr soll die E-Auto-Offensive der Autoindustrie beginnen – mit allen möglichen Folgen für die Jobs. Die IG Metall kritisiert, dass sich in der Branche noch immer nicht alle darauf vorbereitet haben.

Frage: VW-Chef Herbert Diess hat den Abbau von bis zu 7000 Stellen angekündigt, weil für das Elektroauto viel weniger Menschen benötigt werden als für die heutigen Technologien. Werden solche Töne bald auch im Südwesten zu hören sein?

Antwort: So offensiv wie VW geht bisher kein Unternehmen hier vor. Aber es zeichnet sich klar ab, dass die Elektromobilität viel schneller kommen wird, als wir noch vor einem Jahr erwartet hatten. In den vergangenen drei Jahren hat sich die Zahl der neuen E-Autos Jahr für Jahr exponentiell gesteigert – weltweit und auch in Deutschland. Dieses Wachstum führt dazu, dass die E-Autos bald eine relevante Stückzahl erreichen werden. Es gibt daher Grund zur Sorge, dass dieser schnelle Hochlauf die Arbeitsplätze unter Druck bringt.

Frage: Ein gewisser Ausgleich für wegfallende Arbeitsplätze in der Verbrennungstechnologie könnte ja die Ansiedlung von Jobs für das Elektroauto sein. Doch von Investitionen in diese Technologie ist im Südwesten bislang nicht viel zu sehen. Lassen die Unternehmensleitungen ihre Beschäftigten im Regen stehen?

Antwort: Die Unternehmen scheinen sich an vielen Standorten mehr mit der Aufrechterhaltung ihrer Profitabilität zu beschäftigen als mit der Frage, wie man Arbeitsplätze sichern und mit den Beschäftigten die Veränderungsprozesse organisieren kann. Diesem Verhalten werden wir nicht tatenlos zusehen.

Frage: Was wollen Sie tun?

Antwort: Wir werden massiv darauf drängen, dass die Unternehmen die Umsetzung tatsächlich angehen, und zwar gemeinsam mit den ­Beschäftigten. Das gilt für die großen Tanker ebenso wie für die Zulieferer. Deshalb ­werden wir mit den Betriebsräten eine ­Bestandsaufnahme vornehmen, welche Produkte Zukunftspotenzial haben und welche unter Druck kommen. Also die Frage klären, wo Veränderungen erforderlich sind und welche davon bereits angegangen wurden. Dort, wo noch nicht genügend unternommen worden ist, werden wir nicht abwarten, bis die Geschäftsführung tätig wird, sondern selbst Veränderungsprozesse anstoßen.

Frage: Viele Arbeitnehmer gehen in den nächsten Jahren ohnehin in den Ruhestand. Gibt es Unternehmen, die sich dem Technologiewandel durch massenhafte Verrentung entziehen, statt in neue Technologien zu investieren?

Antwort: Die Rente wird vielen Unternehmen sicher helfen, oft aber nicht ausreichen, um den absehbaren Wegfall von Arbeit auszugleichen. Solche Überlegungen wären aber ohnehin viel zu kurz gesprungen, denn es geht ja vor allem darum, auch für nachfolgende Generationen gute Arbeitsplätze zu schaffen. Allein auf Verrentung zu setzen würde einen gigantischen Stillstand erzeugen und der nächsten Generation ihre Perspektiven nehmen.

Frage: Viele Komponenten fürs Elektroauto müssen aber nicht in Deutschland hergestellt werden, weil Unternehmen sie in aller Welt zusammenkaufen, wo es weder deutsche Löhne noch eine deutsche Mitbestimmung gibt. Nutzen die Arbeitgeber die Elektromobilität, um sich aus dem deutschen Tarifsystem zu verabschieden?

Antwort: Wir erkennen deutlich, dass die Wertschöpfungstiefe auf den Prüfstand kommt. Dazu gehört auch die Überlegung, konventionelle Produkte, die irgendwann ohnehin auslaufen werden, gleich nach Osteuropa zu verlagern. Werden zudem noch die Elektroantriebe im Ausland produziert, entsteht eine erhebliche Gefahr für die Arbeitsplätze.

Frage: Die großen Unternehmen haben früher stets Bekenntnisse zum Standort und zu ihren Belegschaften abgegeben. Gehen sie allmählich auf Distanz zu ihren eigenen Beschäftigten?

Antwort: In Schönwetterphasen, wie wir sie jetzt ­jahrelang hatten, sind solche Bekenntnisse ­natürlich relativ einfach abzugeben. Was sie wirklich wert sind, zeigt sich aber erst, wenn schwierige Entscheidungen anstehen. Also jetzt.

Frage: Wie können Arbeitnehmer verhindern, dass sich die Unternehmen von ihnen abwenden?

Antwort: Zunächst einmal, indem sie öffentlich sichtbar werden. Vor einigen Tagen sind mehr als 5000 Bosch-Beschäftigte in Feuerbach auf die Straße gegangen, um dagegen zu protestieren, dass ihre Jobs in Gefahr kommen. Das war sicher nicht das letzte Mal, dass Beschäftigte sich auf diese Weise bemerkbar machen. Der Technologiewandel darf nicht dazu führen, dass die Unternehmensleitungen ihre eigenen Beschäftigten vergessen.

Frage: Deutschland hat ja eine weitreichende gesetzliche Mitbestimmung. Ist sie zu schwach, um Ihnen in dieser Lage ausreichend Einfluss zu verschaffen?

Antwort: Es ist richtig, dass Betriebsräte über Arbeitsbedingungen mitbestimmen können und sogar beim Salamipreis in der Kantine mitreden. Aber jetzt, da es um weitreichende Entscheidungen über neue Technologien geht, zeigen sich deutliche Lücken. Um ­Beschäftigung abzusichern, brauchen wir mehr Mitbestimmung.

Frage: Unternehmen sagen, noch mehr Einfluss der Arbeitnehmer gefährde ihre Flexibilität.

Antwort: Das genaue Gegenteil ist der Fall: Mehr Mitbestimmung würde in vielen Firmen dazu führen, dass der Wandel vorankommt. In einem Teil von ihnen hat dieser Wandel ja noch nicht einmal begonnen.

Frage: Die Arbeitgeber klagen ja schon jetzt, ein Tarifsystem, das den Beschäftigten ein Durchschnittseinkommen von 63 000 Euro im Jahr einbringe, sei zu teuer. Werden Tarifverträge im Zeitalter des Elektroautos niedrigere Löhne festschreiben?

Antwort: Die hohen Zahlen spiegeln vor allem die Tatsache wider, dass in der Branche immer mehr Menschen mit einer hohen Qualifikation arbeiten und deshalb verstärkt in höheren Entgeltgruppen angesiedelt werden. Die Löhne selbst sind dagegen im Einklang mit den Rahmenbedingungen gestiegen . . .

Frage: . . . was aber nichts daran ändert, dass die Arbeitgeber jetzt ganz neue Möglichkeiten sehen, Arbeit verstärkt an Billiganbieter ohne Tarifbindung zu vergeben.

Antwort: Die Gefahr eines Schmuddelwettbewerbs ist sehr real. Natürlich kann das Unternehmen A versuchen, seinen Beschäftigten Einschränkungen beim Gehalt abzuverlangen, um sich einen Vorteil gegenüber Unternehmen B zu verschaffen, dessen Beschäftigte daraufhin ebenfalls Zugeständnisse machen. Am Ende treffen sich alle auf einem niedrigeren Gehaltsniveau wieder, ohne dass es einem der Unternehmen etwas gebracht hätte. In einen solchen Abwärtsstrudel dürfen wir uns nicht hineinziehen lassen. Der Kostendruck durch die neuen Technologien spricht deshalb nicht gegen, sondern für eine Ausweitung der Tarifbindung . . .

Frage: . . . die aber in Ländern wie China nicht gilt, die die ganze Welt mit günstigen Elektrokomponenten beliefern wollen.

Antwort: Vielleicht brauchen wir tatsächlich so etwas wie einen Tarifvertrag für die Transformation, der die Fragen abdeckt, die mit der Einführung neuer Technologien verbunden sind und Beschäftigung sichert. Wichtige Bestandteile davon haben wir schon heute – von der Weiterbildung über das mobile Arbeiten bis hin zur immer stärker ausgeweiteten Flexibilität bei den Arbeitszeiten und zur Kurzarbeit. All das ebnet den Firmen schon jetzt den Weg zu neuen Technologien. Wenn die Arbeitgeber von Flexibilität reden, meinen sie nach meinem Eindruck allzu oft, dass es vor allem billig sein soll. Einen Weg, dessen Hauptziel das Kostendrücken ist, wird es mit uns aber nicht geben.

„Was die Bekenntnisse zum Standort wert sind, wird sich

erst jetzt zeigen.“

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Erstellt:
18. März 2019, 03:04 Uhr

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