Europaparlament

Ursula von der Leyen leert das Füllhorn aus

Die Deutsche ist erneut zur EU-Kommissionschefin gewählt worden. Grund dafür ist auch ihr taktisches Geschick, fast jedem ein kleines, politisches Geschenk zu machen.

Blumen für die Siegerin. EVP-Fraktionschef Manfred Weber gratuliert Ursula von der Leyen, die soeben zur neuen EU-Kommissionschefin gewählt worden ist.

© AFP/Frederick Florin

Blumen für die Siegerin. EVP-Fraktionschef Manfred Weber gratuliert Ursula von der Leyen, die soeben zur neuen EU-Kommissionschefin gewählt worden ist.

Von Knut Krohn

Natürlich liegen die Blumen für die Siegerin griffbereit. Nur Augenblicke nach ihrer Wahl zur EU-Kommissionspräsidentin wird Ursula von der Leyen der erste Strauß in die Hand gedrückt. Eine Niederlage wäre eine kleine Sensation gewesen, aber im Augenblick des Triumphes ist selbst der stets kontrollierten und zurückhaltenden Norddeutschen die Erleichterung anzusehen. 401 Abgeordnete stimmten am Donnerstag in Straßburg für eine zweite Amtszeit der 65-jährigen, selbst in den eigenen Reihen nicht ganz unumstrittenen Konservativen.

Eine gewiefte Machtpolitikerin

Doch Ursula von der Leyen erwies sich wieder einmal als gewiefte Machtpolitikerin. Um die Kritiker auf ihre Seite zu ziehen, öffnete sie schon vor ihrer Bewerbungsrede vor den 720 Parlamentariern noch einmal das politische Füllhorn. So versprach sie im Streit um das Verbrenner-Aus einen Vorstoß für Ausnahmen für sogenannte E-Fuels. Um die EU-Klimaziele zu erreichen, sei ein technologieneutraler Ansatz erforderlich, bei dem die synthetischen Kraftstoffe eine Rolle spielten. Damit hatte Ursula von der Leyen ein vor allem in den Reihen der Konservativen ein symbolträchtiges Thema abgeräumt.

Allerdings formulierte sie dann auch in ihrer Rede so geschickt, dass sogar die Grünen den entscheidenden Passus zu ihren Gunsten interpretieren können. „Das Ende von neuen fossilen Verbrennern bis 2035 ist festgeschrieben und wurde von Ursula von der Leyen heute in ihrer Rede bestätigt“, betonte Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament. Und er fügte hinzu: „E-Fuels werden immer ein Nischenprodukt im Straßenverkehr sein.“ Die deutschen FDP-Abgeordneten, sie sind die größten Verfechter der E-Fuels, konnte sie damit aber nicht überzeugen. Die Vorsitzende der fünf FDP-Europaabgeordneten, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, erklärte nach der Rede, dass sie die Konservative nicht wählen würden. Sie kritisierte, Ursula von der Leyen habe gemeinsamen europäischen Schulden keine klare Absage erteilt.

Eine Rede wie eine Wundertüte

Die Bewerbungsrede Ursula von der Leyens war aufgebaut wie eine große Wundertüte, aus der sie für die Zuhörer im Halbrund des Straßburger Plenarsaals einen netten Satz hervorzaubert. Harte Worte fand sie nur für die Feinde der Demokratie, denen kündete sie einen entschlossenen Kampf gegen Demagogen und Extremisten an. Europa könne nicht weltweit Diktatoren kontrollieren. Aber es könne sich entscheiden, seine eigene Demokratie zu schützen und in die Sicherheit und Verteidigung dieses Kontinents zu investieren, so die CDU-Politikerin.

In ungewöhnlich offener Weise wurde von ihr der ungarische Ministerpräsidenten Viktor Orban direkt angesprochen. Dessen Reise zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin kritisierte Ursula von der Leyen als Entgegenkommen gegenüber einem Politiker, der den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat. Es habe sich nicht um eine „Friedensmission“, sondern um eine „Appeasement-Mission“ gehandelt, sagte sie. Das dürfte auch als deutliche Botschaft an andere Politiker und Politikerinnen verstanden werden, dass sich Brüssel nicht weiter auf der Nase herumtanzen lässt, denn inzwischen arbeiten nicht nur in Ungarn einige Machthaber daran, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit zu demontieren.

Eine Rede in vielen Sprachen

Immer wieder griff Ursula von der Leyen zu einem kleinen rhetorischen Kniff. Wenn sie jemanden besonders ansprechen wollte, tat sie das in dessen Sprache. So formulierte sie ihre Ziele für den Ausbau der Verteidigungsfähigkeit Europas auf Französisch. Das ist eines der Lieblingsthemen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Den Passus über die Landwirtschaft und den Umweltschutz hielt sie auf Deutsch, da in Deutschland die Agrarlobby eine besondere Macht hat. Das Thema Wirtschaft wurde von ihr schließlich auf Englisch abgehandelt, die Sprache, die in Brüssel jeder versteht.

So will sie in den ersten 100 Tagen der neuen Legislaturperiode eine Strategie für eine saubere Industrie in Europa vorlegen. Der „Clean Industrial Deal“ werde Investitionen in Infrastruktur und Industrie kanalisieren, insbesondere für energieintensive Sektoren, sagte die CDU-Politikerin in Straßburg. „Dies wird zur Schaffung von Leitmärkten für alles von sauberem Stahl bis zu sauberen Technologien beitragen. Es wird die Planung, Ausschreibung und Genehmigung beschleunigen“, sagte Ursula von der Leyen. Die Strategie solle auch dazu beitragen, die Energiekosten zu senken.

Eine Abgeordnete treibt den Teufel aus

Ursula von der Leyen gab sich in ihrer Rede immer wieder kämpferisch und erntete dafür freundlichen Applaus. Wirklich unruhig wurde es erst bei der Aussprache nach ihrem Auftritt. Die rechtsextreme rumänische Abgeordnete Diana Sosoaca hatte sich einen Maulkorb umgebunden, begann in den hinteren Reihen des Parlaments plötzlich zu schreien und mit religiösen Symbolen in der Luft herumzufuchteln. Schon vor der Sitzung hatte sie offensichtlich versprochen, dem Europaparlament mit Myrrhe und einer Ikone den Teufel austreiben zu wollen. Die Saaldiener begleiteten die tobende Abgeordnete aus dem Saal.

Zum Artikel

Erstellt:
18. Juli 2024, 16:04 Uhr
Aktualisiert:
18. Juli 2024, 16:28 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen