Urteil nach Unfalltod eines Müllwerkers in Erbstetten

Bei schlechten Sichtverhältnissen zu flott gefahren: Wegen fahrlässiger Tötung wird ein 75-Jähriger zu einer hohen Geldstrafe verurteilt.

Im Prozess wegen fahrlässiger Tötung ist am Backnanger Amtsgericht das Urteil gefällt worden. Symboldbild: BilderBox - Erwin Wodicka

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Im Prozess wegen fahrlässiger Tötung ist am Backnanger Amtsgericht das Urteil gefällt worden. Symboldbild: BilderBox - Erwin Wodicka

Von Christoph Zender

Backnang/Burgstetten. 120 Tagessätze zu jeweils 60 Euro, also insgesamt 7200 Euro – zu dieser Geldstrafe hat gestern das Backnanger Amtsgericht einen 75-jährigen Autofahrer wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Damit gilt der Verursacher eines Unfalls in Erbstetten, bei dem ein 57-Jähriger ums Leben gekommen ist, als vorbestraft. Eine Freiheitsstrafe auf Bewährung blieb dem Verurteilten erspart.

„Es gab nur Verlierer an diesem Tag.“ Mit diesen Worten leitet der Anwalt des angeklagten Autofahrers sein Plädoyer ein. Was war geschehen? Am 23. Januar dieses Jahres ereignete sich auf der K1836 hinter Erbstetten auf Höhe der Sportanlagen ein tragischer Verkehrsunfall. Dabei starb der Fahrer eines Müllfahrzeugs der Firma Schäf (wir berichteten). Wie der Verteidiger des damals 74-Jährigen aus einer Umlandgemeinde darlegte, wollte sein Mandant an diesem eisigen Wintermorgen mit seinem Auto zu einem Krankenhaustermin nach Stuttgart fahren. Die über Nacht am Fahrzeug vereisten Scheiben hatte seine Ehefrau vor der Abfahrt freigekratzt. Ob dies ausreichend erfolgt war, um eine sichere Fahrt zu gewährleisten, wurde in der Verhandlung intensiv erörtert. Denn an diesem Morgen waren die Sichtverhältnisse im Streckenabschnitt des Unfalls durch die tief stehende Sonne stark beeinträchtigt.

Zwar habe der Unfallverursacher die an dieser Stelle zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 Kilometern pro Stunde reduziert. Er konnte sich aber nicht mehr erinnern, mit welchem Tempo er sich dem am rechten Straßenrand stehenden Müllfahrzeug genähert hatte. „Ich habe wegen der Sonne gar kein Fahrzeug erkannt. Dann knallte es.“ Bei dem Aufprall wurde der an der Ladevorrichtung am Heck stehende Mann erfasst und tödlich verletzt.

„Es war null Sicht. Ich habe kein Fahrzeug gesehen, sondern nur einen großen grauen Umriss“, sagte ein Autofahrer als Zeuge, der sich aus Richtung Erbstetten kommend der Unfallstelle genähert hatte. Wegen der stark blendenden Sonne sei er nur mit circa 40 Stundenkilometern gefahren, habe diese weiter auf Schrittgeschwindigkeit reduziert und sei so 15 bis 20 Meter vor den verunfallten Fahrzeugen zum Halten gekommen. Er habe in das Auto des Verursachers hineinschauen können. Durch die an diesem Januartag herrschenden Minustemperaturen kann laut Gutachter nicht ausgeschlossen werden, dass sich das auf den Bildern zu sehende Eis auf den Scheiben erst nach dem Unfall gebildet hatte.

Der Unfall wäre wohl durch eine angepasste Geschwindigkeit zu vermeiden gewesen. Der Gutachter geht davon aus, dass der Verursacher mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 70 Stundenkilometern in den stehenden Lkw geprallt sein muss. Viel zu schnell angesichts der schlechten Sichtverhältnisse. Hierin sieht auch der Staatsanwalt in seinem Antrag die Hauptschuld des Angeklagten. Durch eine angemessene Verringerung der Geschwindigkeit hätte der Unfall verhindert werden können. Er fordert eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Zudem soll er der hinterbliebenen Tochter des Unfallopfers ein Schmerzensgeld von 4000 Euro zahlen und die Kosten des Verfahrens übernehmen.

Auch der Verteidiger des Angeklagten bestätigt in seinem Plädoyer den Vorwurf der fahrlässigen Tötung. Allerdings sei der Angeklagte bislang unbescholten und habe sich auch im Straßenverkehr zuvor nichts zuschulden kommen lassen. Zudem leide er unter den physischen und insbesondere psychischen Folgen des Unfalls bis heute. Vor diesem Hintergrund bittet er, die Haftstrafe in eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen umzuwandeln.

„Fahrlässige Tötung ist das Schwierigste, was es im Strafrecht zu verhandeln gibt. Niemand wollte, dass es passiert, aber eine Verantwortlichkeit ist zuzurechnen“, so der Vorsitzende Richter bei seiner Urteilsverkündung. Den Angeklagten treffe kein leichtes Verschulden. Durch eine den Sichtverhältnissen angemessene Fahrweise hätte das Unglück verhindert werden können. In seinem Urteil würdigt der Richter aber auch die Reue, die der 75-Jährige zeigt.

In einem emotional vorgetragenen Schlusswort richtete sich dieser an die persönlich nicht anwesende Tochter des Unfallopfers, die bis heute selbst unter den Ereignissen des tragischen Unglücks schwer leidet. „Es tut mir unfassbar leid“, so der 75-jährige Verurteilte.

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Erstellt:
10. November 2023, 06:00 Uhr

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