Krieg in der Ukraine
US-Satellitenaufklärung fehlt der Ukraine massiv
Vor allem die Erkenntnisse amerikanischer Aufklärungssatelliten fehlen der ukrainischen Luftabwehr, um rechtzeitig russische Luftangriffe abzuwehren. Mit tödlichen Folgen für die Zivilbevölkerung der Ukraine.

© dpa
Ukrainische Feuerwehrleute versuchen nach einem russischen Luftangriff auf die Bergbaustadt Dobropillja Feuer zu löschen. Elf Menschen starben, mindestens 30 wurden verletzt. Die Attacke wurde US-Satellitenaufklärung zu spät entdeckt.
Von Franz Feyder
Der amerikanische Präsident Donald Trump hat in der vergangenen Woche verfügt, dass vorerst keine Munition und Waffensysteme mehr in die Ukraine geliefert werden. Zudem werden dem Land keine Geheimdienstinformationen mehr zugänglich gemacht. Ein Überblick darüber, was das für die Ukraine bedeutet.
Was ist mit dem Stopp von „Geheimdienstinformationen“ an die Ukraine gemeint?
Damit ist auf US-amerikanischer Seite gemeint, dass den ukrainischen Streitkräften alle Informationen aus der satellitengestützten Aufklärung vorenthalten werden. Das umfasst sowohl die aus dem All betriebene Funkaufklärung, bei der Funk- und Telefongespräche sowie teilweise schriftliche Kommunikation abgefangen werden. Aber auch alles das, was Satelliten optisch entdecken und beobachten. Diese Aufklärungsergebnisse wurden vor allem der ukrainischen Luftabwehr übermittelt. Sie waren entscheidend dafür, dass bei Luft- und Raketenangriffen die meisten russischen Jagdbomber, Drohnen und Raketen abgefangen wurden. Im Bereich der klassischen Spionage dürfte die Ukraine für Russland erheblich besser als die USA aufgestellt sein.
Welche Informationen genau gaben die USA aus der satellitengestützten Aufklärung an die Ukraine weiter?
Derzeit unterhalten die USA weltweit das Monopol auf zahlreiche Satelliten, die in diesem Fall dynamische Ereignisse tief im russischen Hinterland entdecken und fortlaufend beobachten können. Dabei registrieren die Analysten, wenn selbst 500 bis 1000 Kilometer von den ukrainischen Grenzen die Aufklärungssatelliten den Start von Bomberstaffeln, Raketen oder Mutterschiffen für Drohnen entdecken. Dadurch, dass der Flugweg dieser russischen Waffen fortlaufend überwacht wird, konnten die Soldaten der ukrainischen Luftabwehr die wahrscheinlichen Zielgebiete berechnen und die eigene Luftabwehr auf die angreifenden Objekte konzentrieren. Jetzt tauchen diese unvermittelt in einer Entfernung von 50 bis 100 Kilometer von der ukrainischen Grenze auf. Die Zeit der ukrainischen Luftabwehr, auf diese Bedrohung zu reagieren, wird drastisch reduziert. So wurden am Wochenende in der ostukrainische Bergbaustadt Dobropillja elf Menschen getötet und mindestens 30 zum Teil schwer verletzt.
Was macht die Beobachtung des russischen Hinterlandes so einzigartig?
Satelliten funktionieren, indem sie sich mit hoher Geschwindigkeit um die Erde bewegen und dabei Signale senden oder empfangen, Daten sammeln oder beobachten. Sie nutzen die Schwerkraft der Erde, um in einer stabilen Umlaufbahn zu bleiben, ohne ständig Energie für ihren Flug aufwenden zu müssen. Aufklärungssatelliten bewegen sich in einer niedrigen Erdumlaufbahn bis zu einer Höhe von 2000 Kilometern sehr schnell. Sie brauchen etwa 90 Minuten, um einmal die Erde zu umrunden. Da die Erde sich selbst dreht, sieht der Satellit bei jeder Umrundung jedoch einen neuen Bereich der Erde. Die USA haben jedoch so viele hochauflösende Satelliten im All, dass sie beispielsweise das russische Hinterland ununterbrochen beobachten können.
Welche Auswirkungen hat das noch für die Ukraine?
Die ukrainischen Befehlshaber müssen für ihre Zielplanung auf Luftbildaufnahmen zurückgreifen, die teilweise bis zu acht, zwölf Stunden alt sind. Damit sind sie im militärischen Sinn nahezu veraltet. So kann die Ukraine nicht mehr wie in der Vergangenheit auf russischem Staatsgebiet logistische Zentren, Kommandozentralen und Truppenkonzentrationen punktgenau angreifen.
Was hat Europa in diesem Bereich zu bieten?
Europa hat derzeit nichts zu bieten, was wie die US-Systeme in Echtzeit Informationen über sich dynamisch entwickelnde Prozesse liefern könnte. Europäische Satelliten können aktuell nur stationäre Ziele entdecken und zu ihnen nach zwei, drei Stunden neue Erkenntnisse liefern.
Wie kann Europa schnell hilfsweise reagieren?
Mit dem Satellitensystem Kopernikus, dem Erdbeobachtungsprogramm der Europäischen Union (EU) und der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Mit ihm wird die Erde kontinuierlich beobachtet und überwacht, um Umweltschäden zu entdecken, die Folgen von Katastrophen wie Hochwasser oder Erdbeben bewerten oder Bauern und Förstern bei Saat und Ernte mit Daten über Bodenfeuchtigkeit zu helfen. Während US-Aufklärungssatelliten zehn Quadratzentimeter große Flächen in einem sogenannten Pixel wiedergeben, gibt ein Pixel bei europäische Satelliten Flächen von zehn Quadratmetern und mehr wieder. Ein Pixel ist die kleinste Einheit eines digitalen Bildes. Es handelt sich um einen einzelnen Punkt in einem Rasterbild, der eine bestimmte Farbe oder Helligkeit darstellt. Für eine Übergangszeit könnten neue Computerprogramme und Satelliten mit hochauflösenderen Kameras im Kopernikus-Programm Europas Problem überbrücken.
Was fehlt der Ukraine noch nach dem Rückzug der USA?
Aus Gesprächen mit ukrainischen Front-Kommandeuren ergibt sich, dass ihnen die fehlenden Satelliteninformationen die „mit großem Abstand meisten Kopfzerbrechen bereiten“. „Wir sehen nicht mehr, wie die Russen sich auf strategischer und teilweise operativer Ebene verstärken oder Schwerpunkte bilden“, sagt ein an der Südfront bei Pokrovsk eingesetzter Kommandeur. Überrascht wurden ukrainische Artilleristen aber auch davon, dass Trump anordnete, die Feuerleiteinheit des Mehrfachraketenwerfers HIMARS per Mouseclick aus den USA abzuschalten. Das Waffensystem, von dem die USA seit Februar 2022 insgesamt 39 Stück, Deutschland drei lieferte, schießt seit vergangenem Wochenende nur noch sehr ungenau und ist damit so gut wie unbrauchbar. „Das werte ich schon als Verrat an uns“, sagt ein ukrainischer Brigadekommandeur unserer Zeitung.
Wie wirkt sich aus, dass die USA keine Munition, keine Haubitzen, Kampf- und Schützenpanzer mehr liefern?
Vor allem die skandinavischen und baltischen Staaten bemühen sich derzeit, die von den USA gestoppten Munitionslieferungen zumindest aufzufangen. Fehlende Artillerie sowie Panzer führen dazu, dass die ukrainischen Soldatinnen und Soldaten entweder mit veraltetem Gerät aus Sowjetzeiten ausgerüstet werden oder als reine Infanterieverbände kämpfen müssen. Das schränkt die Fähigkeit zur mobilen Gefechtsführung erheblich ein und wird zu noch mehr und noch tieferen Verteidigungskomplexen im Süden und Osten der Ukraine führen.