Versuchswiese für Obstbäume der Zukunft in Spiegelberg

140 Apfelbäume und andere Baumarten wurden am Wochenende auf einer Spiegelberger Pilotfläche gepflanzt. Die Aktion ist Teil eines Forschungsprojekts, das Aspekte zu klimaresilienten Bewirtschaftungsformen und alternativen Baumarten im Streuobstbau untersucht.

Christian Schulz (Warnweste) und Max Schäfer pflanzen auf der Versuchswiese in Spiegelberg Streuobstbäume. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Christian Schulz (Warnweste) und Max Schäfer pflanzen auf der Versuchswiese in Spiegelberg Streuobstbäume. Foto: Alexander Becher

Von Nicola Scharpf

Spiegelberg. Eine Wiese so groß wie ein Fußballfeld oberhalb des Spiegelberger Friedhofs ist Pilotfläche für ein Forschungsprojekt im Streuobstbau geworden. Seit dem Wochenende stehen dort 64 wurzelechte Apfelbäume vom Bittenfelder Sämling und der Harberts Renette sowie Exemplare von anderen Arten wie Esskastanien-, Pekannuss-, Maulbeer-, Walnuss-, Mandel- und Feigenbäume, insgesamt 140 Bäume. Mit dieser großen Pflanzaktion ist die Flächenagentur Baden-Württemberg in die Umsetzungsphase eines auf eineinhalb Jahre angelegten Forschungsprojekts gegangen, das um die zehn Forschungs- und Versuchsfragen untersucht. Es geht darum, Aspekte zu klimaresilienten Bewirtschaftungssystemen und alternativen Baumarten zu erforschen. „Wir hoffen, zeigen zu können: So kann man es in der Zukunft machen. So steht eine Obstbaumwiese gut da“, benennt Janet Maringer, eine der Projektverantwortlichen bei der Flächenagentur, das Ziel.

Aber nicht nur der Klimawandel in Form von heißer und trockener werdenden Sommern, milderen Wintern und Niederschlägen, die als Starkregen fallen, ist im Rems-Murr-Kreis angekommen und macht Streuobstwiesen zu schaffen. Wie andernorts sind auch in Spiegelberg die Ausgangsbedingungen suboptimal. Maringer umreißt: An den tief eingeschnittenen Hängen dominieren saure Böden mit sehr geringen Nährstoffverfügbarkeiten. Wegen fehlender Nährstoffe und Erträge sowie mangelnder Pflege würden viele Streuobstwiesen, die die Hänge zieren, aufgegeben. Generell werde häufig falsch gepflanzt, so Maringers Beobachtung. Sie führt das darauf zurück, dass Wissen darüber, beispielsweise wie richtig veredelt wird, verloren gegangen ist. „Das Know-how ist verdunstet“, sagt Christoph Schulz aus Nordheim, der für die praktische Umsetzung des Projekts verantwortlich ist. Unter Einbeziehung historischer Erfahrungen geht die Flächenagentur auf der Spiegelberger Versuchsfläche neue Wege, damit Streuobstwiesen auch unter zukünftigen klimatischen Bedingungen produktiv sein können. Die ungewöhnlich große Wiese von 7.000 Quadratmetern – durch die Realteilung sind eher Flächen um die 1500 Quadratmeter üblich – gehört der Stuttgarterin Aline Mitchell, die das Stück an der Kreuzung des Panoramawegs mit dem Brechofenweg von ihrer Spiegelberger Großmutter geerbt hat und sich dann an die Flächenagentur mit der Frage wandte, was sie mit der Wiese machen könnte. Sehr gelegen kam, dass das Ministerium für ländlichen Raum die Flächenagentur Baden-Württemberg mit dem Forschungsprojekt zur Klimaresilienz beauftragte.

Ammenbäume als Schutz vorstarker Sonneneinstrahlung

Lukas Mischnick von der Flächenagentur sowie Christoph Schulz und sein gleichnamiges Ingenieurbüro, der auch eine zweite, in einem ehemaligen Weinberg gelegene Pilotfläche in Nordheim geplant hat, sind die Praktiker vor Ort. Konkret bedeutet das: Am Wochenende wurden auf der Spiegelberger Wiese wurzelechte Apfelbäume von „herausragenden alten, vitalen Sorten“, so Schulz, gepflanzt. „Wenn ein Baum oben riesengroß ist, muss er auch unten riesengroß sein“, so seine These. Die jungen Bittenfelder Sämlinge und Harberts Renette wurden zudem in Zweierverbünden gepflanzt, von denen später nur der größere, kräftigere Baum bestehen bleiben wird. Zur Seite wurden ihnen außerdem Ammenbäume gestellt, die sie vor starker Sonneneinstrahlung schützen und mit Nährstoffen versorgen sollen. „Diese stickstofffixierenden Arten wie die Erle stehen dicht beieinander um den Hauptbaum herum. Das Konzept der Ammenbäume ist abgeguckt von der Forstwirtschaft“, erklärt Maringer. Es wurden Walnüsse gesät, die Pfahlwurzeln bilden. „Diese Bäume wirft nichts mehr um“, sagt Schulz. Außerdem wurden Beete aus Trester, dem Rückstand beim Saftpressen, mit sortenreinen Apfelkernen angelegt – für die Anzucht einer möglichst diversen Unterlage. Die Zöglinge kommen aus Air-Pruning-Töpfen, die das korrekte Wurzelwachstum anregen. Eingesetzt wurde neben qualitativ hochwertigem Pflanzgut und Mäuseschutz auch Pflanzenkohle, die vom Juxer Sommerberghof stammt, 40 Liter für jedes Pflanzloch. Aber die Grundstückseigentümerin und Familie Löffelhardt vom Sommerberghof sind nicht die einzigen Spiegelberger, die am Projekt beteiligt sind.

„Diese Wiese soll 100 Jahre alt werden“

Die Feuerwehr unterstützte bei der Aktion, indem sie Wasser zur Verfügung stellte. Beim Bauhof konnte diverses Material wie etwa Tierschutzzäune für die Bäumchen zwischengelagert werden. Und unter den rund 30 freiwilligen Pflanzhelfern, viele vom Fach und aus einem Umkreis von über 100 Kilometern angereist, waren interessierte Spiegelberger Bürger sowie Bürgermeister Max Schäfer und seine Frau.

„Diese Wiese soll 100 Jahre alt werden“, sagt Schulz. Es bleiben zwar bewusst nicht so viele Bäume stehen, wie gepflanzt wurden. Dennoch leistete jeder Pflanzhelfer seinen Beitrag dazu, dass die Bäumchen besser wurzeln und stabiler wachsen können – damit sie robust sind gegenüber dem, was das Klima in Zukunft für sie bereithält. „Streuobst ist wichtig, das sagen Politiker jeden Sonntag“, meint Christoph Schulz süffisant und spricht trotzdem von „Lähmung“, wenn er die aktuelle Stimmungslage in Bezug auf die Zukunft des Streuobstanbaus charakterisiert. Umso froher ist er, „dass es zum Anlaufen gekommen ist“. Er registriert Aufbruchstimmung, als Nebenprodukt entsteht Vernetzung unter den Beteiligten. Dem Spiegelberger Projekt misst er baden-württembergweite Bedeutung zu: „Das wird viel stimulieren. Es wird für viele Leute spannender werden.“

Die Flächenagentur und ihr Streuobstprojekt

Die Agentur Das interdisziplinäre Team der Flächenagentur Baden-Württemberg mit Hauptsitz in Ostfildern hat seine Schwerpunkte in den Bereichen Planung von Ökokontomaßnahmen und Erstellung von ökologischen Fachgutachten, Vermittlung von Ökopunkten und Waldausgleichsflächen, Biodiversitätsberatung, naturbasierter Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung, Bildung und Training. Groß geworden ist die Agentur durch die Ökokontobewegung. Die entsprechende Verordnung trat für das Land Baden-Württemberg im April 2011 in Kraft.

Das Projekt Es wurde vom Ministerium für Ländlichen Raum ausgeschrieben und an die Flächenagentur vergeben. Ein Schwerpunkt des angewandten Forschungsprojekts liegt auf einer Literaturstudie, deren Ergebnisse schließlich in Merkblättern für die Praxis münden sollen. Die zweite Säule ist das Anlegen der Pilotflächen in Spiegelberg und Nordheim. Im dritten Teil geht es um die Kommunikation, also darum, dass auf den Pilotflächen Workshops für Praktiker stattfinden.

Praxis Am Tag der Streuobstwiese, der 2024 vom 26. bis 28. April begangen wird, soll es auf der Spiegelberger Pilotfläche auch noch einen Workshop für Praktiker geben.

Zukunftsperspektive Nach Ablauf des Projektzeitraums im Dezember 2024 können sich weitere Forschungsprojekte mit Fördergeldern aus anderen Töpfen anschließen – beispielsweise für die Untersuchung, wie Vögel, Bienen und andere Insekten auf die klimaresiliente Baumwiese reagieren. Auch soll die Pilotfläche weiterhin beobachtet und von örtlichen Verantwortlichen gepflegt werden.

Zum Artikel

Erstellt:
11. Dezember 2023, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen