Neue Erkenntnisse zum Erdmantel
Versunkene Welten unter dem Pazifischen Ozean entdeckt
Geophysiker machen im unteren Erdmantel Bereiche sichtbar, in denen sich Erdbebenwellen anders verhalten als angenommen. Das deutet auf Gesteinszonen, die kälter oder anders zusammengesetzt sind als das umgebende Gestein. Das bisherige Verständnis von der Plattentektonik wird in Frage gestellt.
Von Markus Brauer
Niemand kann ins Erdinnere blicken. Auch kann niemand tief genug bohren, um Gesteinsproben aus dem Erdmantel zwischen der Lithosphäre und dem Erdkern zu holen oder dort Temperatur und Druck zu messen. Deshalb nutzen Geophysiker indirekte Methoden, um zu sehen, was sich tief unter unseren Füssen abspielt.
So verwenden sie beispielsweise Seismogramme – also Erdbebenaufzeichnungen –, um die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Erdbebenwellen zu ermitteln. Damit berechnen sie die innere Struktur der Erde. Das ist fast so, wie Mediziner, die mittels Ultraschall Organe, Muskeln oder Adern im Körperinneren abbilden, ohne dafür den Körper zu öffnen.
Seismische Wellen liefern wichtige Informationen
Und das geht so: Bebt die Erde, breiten sich vom Herd seismische Wellen in alle Richtungen aus. Auf ihrem Weg durch die Erde werden sie gebrochen, gebeugt oder reflektiert. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wellen hängt vom jeweiligen Wellentyp ab, aber auch von der Dichte und Elastizität des Materials, das die Wellen durchlaufen.
Seismografische Stationen zeichnen diese unterschiedlichsten Wellen auf, und anhand dieser Aufzeichnungen können Geophysiker auf die Struktur und die Beschaffenheit der Erde schließen und die Vorgänge im Erdinnern untersuchen.
Lage von tektonischen Platten
So bestimmten Erdwissenschaftler anhand der seismischen Aufzeichnungen die Lage von untergetauchten tektonischen Platten im gesamten Erdmantel. Sie fanden sie stets dort, wo sie diese erwartet hatten: im Bereich von sogenannten Subduktionszonen, also dort, wo zwei Platten aufeinandertreffen und die eine unter die andere ins Erdinnere abtaucht.
Dies hat den Wissenschaftlern geholfen, den plattentektonischen Zyklus zu erforschen, also die Bildung und Zerstörung von Platten an der Erdoberfläche im Laufe der Erdgeschichte.
Plattenreste, wo es keine geben kann
Jetzt aber hat ein Forscherteam von Geophysiker der ETH Zürich und des California Institute of Technology eine überraschende Entdeckung gemacht: Mit einem neuen hochauflösenden Modell finden sie im Erdinnern weitere Bereiche, die nach Resten von untergetauchten Platten aussehen.
Diese liegen aber nicht dort, wo sie erwartet wurden, sondern auch unter großen Ozeanen oder im Innern von Kontinenten – weit entfernt von Plattengrenzen. Dort aber gibt es keine geologischen Hinweise auf längst vergangene Subduktion. Diese Studie wurde vor kurzem in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlicht.
#High-resolution models of Earth's #Mantle reveal unexpected zones resembling submerged tectonic plates, challenging current plate tectonic theories. These anomalies suggest a complex mantle structure. @ETH_en@SciReportshttps://t.co/i2dwvAiLqzhttps://t.co/fmV3NaDALG — Phys.org (@physorg_com) January 7, 2025
Liegt unter dem Pazifik eine vergangene Welt?
Das Neue an ihrem Modellansatz ist, dass die ETH-Forscher nicht nur einen Typ von Erdbebenwellen nutzen, um die Struktur des Erdinnern zu untersuchen, sondern alle. Fachleute nennen das Verfahren „Full Waveform Inversion“. Das macht das Modell sehr rechenintensiv, weshalb die Forschenden den Supercomputer Piz Daint am CSCS in Lugano benutzten. Liegt unter dem Pazifik eine vergangene Welt?
„Offenbar sind solche Zonen im Erdmantel viel weiter verbreitet, als bisher angenommen“, sagt Thomas Schouten vom Geologischen Institut der ETH Zürich.
Eine der neu entdeckten Zonen liegt unter dem westlichen Pazifik. Dort sollte aber nach gängigen plattentektonischen Theorien und Erkenntnissen kein Material von abgetauchten Platten vorhanden sein, weil es unmöglich ist, dass es in der jüngeren geologischen Geschichte Subduktionszonen in der Nähe gab.
Material der geologischen Anomalien ist unbekannt
Um welches Material es sich handelt, ist den Forscher jedoch nicht bekannt, auch nicht, was dies für die Dynamik im Inneren der Erde bedeutet. „Das ist unser Dilemma. Mit dem neuen hochaufgelösten Modell sehen wir zwar überall im Erdmantel solche Anomalien. Was sie genau sind und was für Material die von uns aufgedeckten Muster erzeugt, wissen wir nicht.“
Es sei wie bei einem Arzt, der jahrzehntelang mit Ultraschall den Blutkreislauf untersucht und genau dort Arterien findet, wo er sie vermutet, sagt ETH-Professor Andreas Fichtner. „Gibt man ihm jedoch ein neues, besseres Untersuchungsinstrument, sieht er plötzlich in der Pobacke eine Arterie, die da eigentlich nicht hingehört. Genauso geht es uns mit den neuen Erkenntnissen“, erklärt der Wellenphysiker. Er hat das Modell in seiner Gruppe entwickelt und den Code geschrieben.
Mehr Informationen aus den Wellen ziehen
Die Forscher können also bislang nur spekulieren. „Wir denken, dass die Anomalien im unteren Erdmantel vielfältige Ursprünge haben“, betont Schouten. Er hält es für möglich, dass sie nicht bloß aus kaltem Plattenmaterial bestehen, das in den letzten 200 Millionen Jahren abgetaucht ist.
„Es könnte entweder sehr altes silikatreiches Material sein, das seit der Entstehung des Erdmantels vor vier Milliarden Jahre dort ist und trotz der Konvektionsbewegungen im Mantel überlebt hat. Oder es könnten Zonen sein, wo sich eisenreiches Gestein über Milliarden von Jahren anreichert als Folge dieser Mantelbewegungen“, sagt er.
Für den Erdwissenschaftler heißt es nun, dass es mehr Forschung mit noch besseren Modellen braucht, um mehr Details im Erdinnern zu sehen. „Die Wellen, die wir für das Modell nutzen, bilden im Wesentlichen nur eine Eigenschaft ab, nämlich die Geschwindigkeit, mit der sie durch das Erdinnere rasen“, betont Schouten. Das werde dem komplexen Inneren der Erde jedoch nicht gerecht.
Info: Aufbau der Erde
Schalenaufbau Geologisch betrachtet ist die Erde aus drei Schalen aufgebaut: dem Erdkern, dem Erdmantel und der Erdkruste. Knapp 71 Prozent der Oberfläche des Blauen Planeten sind von Wasser bedeckt. Der Rest ist – wie ein Kuchen mit Puderzucker – mit einer Bodenkruste überzogen. Einer wenigen Millimeter bis einige Meter dünnen Schicht, die Geologen auch als Pedosphäre bezeichnen (von griechisch „pédon“, Erdboden). Sie breitet sich überall dort zwischen der Gesteinsschicht (Lithosphäre) und Biosphäre aus, wo nicht nackter Feld zutage tritt.
Erdkern In der Tiefe der Erde ist die Hitze ihres planetarischen Geburtsvorgangs erhalten geblieben. Dies sorgt im inneren Erdkern für Temperaturen von 5000 bis 6000 Grad Celsius – so heiß wie auf der Oberfläche der Sonne. Der Erdkern hat einen Radius von circa 3500 Kilometer und besteht aus Eisen und Nickel, die durch den großen Druck jedoch in festem Zustand sind.
Erdmantel Der Kern wird vom Erdmantel umgeben, der nach außen 2900 Kilometer mächtig ist. Dieser besteht aus festem Gestein aus magnesium- und eisenreichen Silikat-Mineralien mit einem hohen Anteil an Eisen und Magnesium.
Asthenosphäre Der als Asthenosphäre bezeichnete obere Bereich des Erdmantels ist 1000 bis 1400 Grad Celsius heiß.
Lithosphäre Über der Asthenosphäre befindet sich die Lithosphäre. Diese ist 100 bis 200 Kilometer mächtig und umfasst neben der obersten, festen Schicht des Erdmantels die Erdkruste – die feste, spröde Oberfläche der Erde.
Erdkruste Die äußere Hülle des Erdkörpers wird von der relativ dünnen (5 bis 70 Kilometer) Erdkruste gebildet. Diese besteht ebenfalls vorwiegend aus Silikaten und Oxiden, jedoch mit geringerem Eisen- und Magnesium-Anteil sowie einem erhöhten Anteil an Aluminium und Elementen.