Prozess um Attacke in Mannheim
Verteidiger über Mann der Rouven Laur tötete: „junger, netter Mann“
Es ist ein blutiger Fall, der per Kamera dokumentiert wurde und die Republik erschütterte: die Messerattacke von Mannheim. Aber dem Verfahren, so der Richter, sind Grenzen gesetzt.
![Verteidiger über Mann der Rouven Laur tötete: „junger, netter Mann“ Die Anwälte des Angeklagten im Gerichtssaal.](/bilder/die-anwaelte-des-angeklagten-im-gerichtssaal-873503.jpg)
© AFP/THOMAS KIENZLE
Die Anwälte des Angeklagten im Gerichtssaal.
Von red/dpa/lsw
Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen hat der Prozess gegen einen 26-jährigen Afghanen wegen der tödlichen Messerattacke auf dem Mannheimer Marktplatz begonnen. Der Generalbundesanwalt hat Anklage gegen Sulaiman A. unter anderem wegen Mordes und versuchten Mordes erhoben. Der Täter radikalisierte sich demnach mutmaßlich nach der Machtergreifung der Taliban.
Sulaiman A. hatte auf dem Marktplatz in Mannheim fünf Teilnehmer einer Kundgebung der islamkritischen Bürgerbewegung Pax Europa (BPE) sowie einen Polizisten mit einem Messer verletzt. Der 29 Jahre alte Polizist Rouven Laur erlag später seinen Verletzungen. Ein anderer Beamte schoss den Angreifer nieder.
„Religiöse Pflicht, vermeintliche Ungläubige zu töten“
Oberstaatsanwältin Verena Bauer sagte beim Prozessauftakt in Stuttgart-Stammheim, der aus Afghanistan stammende Mann habe ab der Machtergreifung der Taliban 2021 begonnen, sich für deren Ideologie zu interessieren. Er habe sich dann intensiv mit dem Islam auseinandergesetzt und radikale Gelehrte in sozialen Medien verfolgt, schließlich Sympathien für den Islamischen Staat (IS) entwickelt. Spätestens Anfang Mai 2024 sei er zu der Überzeugung gelangt, dass es nicht nur legitim, sondern seine religiöse Pflicht sei, vermeintlich Ungläubige zu töten.
Angehörige des Polizisten bei Auftakt anwesend
Der 26-Jährige wurde am Morgen in Handschellen in den streng gesicherten Saal 1 des Oberlandesgerichts in Stuttgart-Stammheim geführt. Zahlreiche Medienvertreter und Besucher verfolgten den Prozessauftakt. Auch Angehörige des getöteten Polizisten, darunter die Mutter, waren als Nebenkläger anwesend.
Die Verteidiger kündigen an, ihr Mandant werde am kommenden Prozesstag Angaben zur Person machen. Ob er diese Angaben am Donnerstag kommender Woche allerdings persönlich äußert oder sie über seine Anwälte verlesen werden, werde erst kurz zuvor mitgeteilt. Angaben zur Sache, also zur Tat und den Vorwürfen, will der 26-jährige Afghane zunächst nicht machen.
Zum Auftakt bestätigte der Angeklagte dem Richter biografische Daten wie seinen Namen, seinen Geburtsort, dass er verheiratet ist, sowie seinen letzten Wohnort im hessischen Heppenheim. Zur Frage, ob er vor der Tat einem Beruf nachgegangen sei, sagte er: „Ich war nur in der Schule.“
Ein „junger, netter Mann“
Ein Verteidiger beschrieb seinen Mandaten in einer Sitzungspause als nett. „Er macht einen überaus positiven Eindruck, muss man sagen“, sagte er. „Er ist ein junger, netter Mann“, der der deutschen Sprache nahezu perfekt mächtig sei. Zur Verteidigungsstrategie sagte er: „Es ist unser Ziel, ihn als Menschen darzustellen.“ Es habe sicher Vorverurteilung gegeben.
Für das Verfahren sind zunächst mehr als 50 Prozesstage bis Ende Oktober angesetzt. Die Ladung der Zeugen und Sachverständigen sei noch nicht abgeschlossen, sagte eine Gerichtssprecherin vor Prozessauftakt. Voraussichtlich würden sich im Verfahrensverlauf unter anderem Gutachter zu rechtsmedizinischen, psychiatrischen, islamwissenschaftlichen und IT-forensischen Fragen äußern. Als Nebenkläger treten in dem Verfahren auch mehrere Verletzte auf, darunter das BPE-Vorstandsmitglied Michael Stürzenberger.
Richter präzisiert die Rolle des Verfahrens
Der Vorsitzende Richter präzisierte beim Prozessauftakt die Rolle des Verfahrens. In dem Prozess gehe es vor allem anderen um die individuelle Schuld des Anklagten und eine mögliche Rechtsfolge, sagte Richter Herbert Anderer. Das sei Sinn und Zweck des Strafprozesses.
Man werde die eine oder andere Frage nicht erörtern, manche nur streifen, sagte Anderer. Das tue man nicht, weil man uninteressiert sei oder bequem, sondern weil man sonst eine Grenze überschreite, die die Gewaltenteilung auferlege. Das Verfahren sei kein Untersuchungsausschuss, dies sei keine parlamentarische Stunde, so der Vorsitzende Richter. Man müsse die Grenze zur ersten und zweiten Gewalt ziehen, das möge zu Enttäuschung führen. Das Verfahren werde sehr emotionale Momente mit sich bringen, ganz sicher für die Verfahrensbeteiligten, aber auch für die Richterinnen und Richter.
Asylantrag des Angreifers 2014 abgelehnt
Der Angreifer war nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur 2013 als Teenager nach Deutschland gekommen und hatte einen Asylantrag gestellt. Der Antrag wurde 2014 abgelehnt. Es wurde allerdings ein Abschiebeverbot verhängt, vermutlich wegen des jugendlichen Alters. Der Täter hatte zuletzt mit seiner deutschen Ehefrau und zwei Kleinkindern im hessischen Heppenheim gewohnt - rund 35 Kilometer nordöstlich von Mannheim. Er war der Polizei vor der Tat nicht bekannt.
Der Angeklagte erfährt nach Angaben seiner Anwälte weiterhin viel Unterstützung von seiner Familie. „Die Ehefrau steht zu ihm“, sagte einer der Verteidiger. Sie werde möglicherweise auch im Verfahren aussagen.
Freund der Familie des Polizisten enttäuscht
Die Tat hatte auch eine intensive Debatte über striktere Abschiebungen ausländischer Straftäter ausgelöst. Als Konsequenz kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an, die Abschiebung von Schwerstkriminellen nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen.
Der Bürgermeister von Neckarbischofsheim und Freund der Familie des getöteten Polizisten Rouven Laur zeigte sich zum Prozessauftakt enttäuscht von der Politik. Nach dem Messerangriff seien viele Versprechungen gemacht worden, sagte Thomas Seidelmann (parteilos). „Wenn Sie hier mit Polizisten sprechen oder überhaupt in ganz Deutschland mit Polizisten sprechen, dann merken Sie, es ist sehr, sehr viel angekündigt worden, sehr wenig passiert.“