Vier Biberacher und ihre Fahrt in den Tod
Unglück wird in der Heimat der Skifahrer kontrovers diskutiert – 28-Jähriger weiter vermisst
Unglück - Eine Gruppe Skifahrer aus Biberach wollte eine der steilsten Pisten der Welt bezwingen – trotz Lawinengefahr. Der Ausflug endet mit einer Tragödie.
Lech/Biberach Das Sprechen fällt schwer bei der Turngemeinde Biberach. Für ein Telefonat stehe kein Verantwortlicher zur Verfügung, sagt am Montag ein Mitarbeiter der Geschäftsstelle – zwei Tage, nachdem eine Gruppe von vier Vereinsmitgliedern im Alter von 28, 32, 36 und 57 Jahren in der Nähe von Lech am Arlberg von einer Lawine verschüttet wurde. Schriftlich nimmt die Erste Vorsitzende der Skiabteilung, Birgit Schwaiger, doch noch Stellung. „Es ist für uns und den ganzen Verein ein großer Schock und riesiger Verlust“, schreibt sie. Die vier Skifahrer seien „privat am Arlberg unterwegs“ gewesen. Ein 28-Jähriger wird immer noch in den Schneemassen vermisst, mit seinem Tod muss ebenfalls gerechnet werden.
Einer der Toten ist über Biberach hinaus bekannt. Es handelt sich um Stefan Scheffold, Vorstandsmitglied der Volksbank Allgäu-Oberschwaben mit Sitz in Leutkirch. Scheffold, ein passionierter Freizeitsportler, verschaffte seiner Bank in Zeitungsanzeigen ein junges, aktives Image, trat mit Namen und Gesicht als „begeisterter Radsportler“ auf. Der parteilose Oberbürgermeister Norbert Zeidler sagt: „Dieser tragische Unfall macht mich sehr betroffen. Meine Gedanken sind bei den Angehörigen. Ihnen gilt mein ganzes Mitgefühl.“ Nicht nur der tragische Skiunfall beschäftigt derzeit die Stadtspitze. In der Nacht zum Sonntag ist in der Biberacher Innenstadt – wohl bei einem Streit unter Jugendlichen – ein 17-Jähriger erstochen worden. Auf der Facebook-Seite der TG Biberach wird der Skiunfall kontrovers diskutiert. Dort finden sich tröstende Kommentare, aber auch sehr kritische Stimmen. „Traurig, dass versierte Skifahrer so verantwortungslos handelten. Die Rettungskräfte wurden in unnötiger Weise, durch egoistisches Handeln, in Lebensgefahr gebracht“, heißt es beispielsweise.
Die vier Skifahrer aus Biberach waren kurz vor Auslösung der Lawine in die Skiroute Langer Zug eingefahren, die zu den steilsten Abfahrten der Alpen gehört. Mit einem Gefälle von knapp 80 Prozent sei die Abfahrt „steiler als eine Skiflugschanze“, lautet eine Warnung, die aber eben zugleich als Werbung für risikofreudige Wintersportler wirkt. Die Toten hatten Lawinenausrüstung am Körper, als sie gefunden wurden. Ein TG-Mitglied kommentiert: „Ich denke, dass die gute Ausrüstung ein falsches Gefühl der Sicherheit gegeben hat.“ Es sei bei so einer Schneelage wohl ähnlich wie bei Bergwanderern, die Gefahrentafeln für Steinschlag ignorierten. „Für einen guten Skifahrer ist Schnee eine Herausforderung und keine Gefahr.“
Doch wie konnte es zu dem Unglück kommen? Eine Rekonstruktion: Das Quartett bricht am Samstag früh zum Skiwochenende auf. Am Vormittag erreichen sie die Rüfikopf-Seilbahn in Lech. Auf der Bergstation auf 2344 Metern liegt der Schnee meterhoch. Die Skipisten 181 und 215, die zum Schafalplift führen, sind nicht präpariert.
Der Schlepplift liegt auf 1989 Meter und bringt Tourengänger normalerweise 60 Meter höher zur Skiroute Langer Zug, dessen Einstieg auf 2049 Metern liegt. Laut Lech Zürs Tourismus GmbH ist der Lift an diesem Samstag geschlossen. Die vier packen ihre Ski, stapfen die 660 Meter lange Strecke zu Fuß hoch. Weil derzeit akute Lawinengefahr besteht, haben die Behörden ein Warnschild am Einstieg am Langen Zug aufgestellt. „Der Lange Zug ist derzeit gesperrt. Das war er auch zur Zeit des Unglücks“, sagt Hermann Fercher, der Leiter der Lech Zürs Tourismus GmbH. „Mit einem Schild, das nicht zu übersehen ist.“ Der Lange Zug gilt mit einer Steigung von 72 bis 80 Prozent als eine der zehn steilsten Pisten der Welt. Laut Fercher verlässt das Quartett nach dem Einstieg die Piste und fährt ins offene Gelände Richtung Wasserschlössel, einem der steilsten Abschnitte. Er liegt mehrere Hundert Meter rechts der offiziellen Skiroute.
Auf rund 1700 Metern passiert es: Eine Lawine löst sich und reißt die Skifahrer mit sich. Drei von ihnen können die Bergretter trotz Lawinen-Notfallausrüstung nur noch tot bergen. Die Suche nach dem vierten wird am Sonntag eingestellt. Bei Lawinenwarnstufe 5 hoffe er nicht, „dass sich auch nur ein Mensch wagt, in den freien Skiraum hinauszugehen“, sagt der Bürgermeister von Lech, Ludwig Muxel. „Und zwar aus Rücksicht auf sich selbst als auch auf die, die ihn suchen müssen, wenn etwas passiert.“
Nach dem ersten Schock kommt die Fassungslosigkeit über so viel Leichtsinn. „Gegen so etwas kann man leider nichts machen“, sagt Tourismuschef Fercher am Montag. „Wir werden permanent die Urlauber auf die Gefahren im freien Gelände hinweisen, solange die Lawinengefahr so hoch ist wie momentan.“