Virus hält die Welt in Atem
Vogelgrippe-Impfung könnte Virus-Entwicklung beschleunigen
In einigen Ländern wie China wird gegen die Vogelgrippe geimpft. Das schützt das Geflügel, hat aber möglicherweise Auswirkungen auf das Virus.
Von Markus Brauer/Doreen Garud (dpa)
Die massenhafte Impfung von Geflügel gegen die Vogelgrippe hilft zwar dabei, die Übertragung des Virus von Wildvögeln auf Geflügel in Farmen zu vermeiden, könnte aber auch unerwünschte Folgen haben.
Die Entwicklung des Virus werde durch großflächige Impfungen möglicherweise vorangetrieben, heißt es in einer im Fachblatt „Science Advances“ erschienenen Studie.
A new study finds mass poultry vaccination reduces the overall spread of H5 bird flu but can advance its viral evolution. https://t.co/iYb7NtDILJpic.twitter.com/pYkUQPZnVp — Science Advances (@ScienceAdvances) January 23, 2025
H5N6- und H5N1-Virus
Die Forscher um Bingying Li von der Beijing Normal University betrachteten tausende Gen-Sequenzen des hochpathogenen H5-Subtyps des Vogelgrippevirus aus den Jahren 1996 bis 2023.
Zu diesen Viren gehört das H5N6-Virus, das derzeit unter Vögeln in China kursiert, sowie das H5N1-Virus, das in den vergangenen Jahren zu einem nie dagewesenem Massensterben unter anderem von Seevögeln in vielen europäischen, amerikanischen und afrikanischen Ländern geführt hat.
Auch zahlreiche wild lebende Säugetiere haben sich mit H5N1 infiziert, etwa See-Elefanten, Robben und Wale, die in Kontakt mit Seevögeln kamen. Außerdem verbreitete sich das Virus 2024 in den USA massenhaft unter Milchkühen.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben sich seit 2003 mindestens 950 Menschen mit dem Virus-Subtyp H5 infiziert, wovon mehr als die Hälfte gestorben ist. Die Organisation stuft das globale Gesundheitsrisiko als gering ein.
Um was für ein Virus geht es?
H5N1 ist ein Influenza-A-Virus wie die beim Menschen kursierenden Erreger der saisonalen Grippe. H und N bezeichnen zwei Eiweiße der Virushülle: Hämagglutinin und Neuraminidase. Sie kommen jeweils in verschiedenen Subtypen vor (H1 bis H16 und N1 bis N9). Der Name H5N1 bedeutet also die Kombination der Eiweiße H5 und N1 auf der Oberfläche der Variante.
Verheerende Vogelgrippe-Ausbrüche
Seit 1997 werden verstärkt auf H5N1 zurückgehende Ausbrüche erfasst, wie FLI-Experte Beer erläutert. Seit 2016 breite sich eine Untervariante des Erregers aus – die sogenannte Klade 2.3.4.4b.
Folge waren verheerende Vogelgrippe-Ausbrüche in inzwischen fast allen Teilen der Welt bei Wildvögeln, auch Geflügel und – seltener – Säugetiere wie Meeressäuger, Nerze, Füchse und Bären waren betroffen. Verschont blieb bisher nur Australien.
Zur Info: Eine Klade (von altgriechisch: kládos, Zweig) – auch Monophylum, monophyletische Gruppe oder geschlossene Abstammungsgemeinschaft genannt – ist in der Biologie eine systematische Einheit, die den letzten gemeinsamen Vorfahren und alle seine Nachfahren enthält.
Impfung von Geflügel zeigte gute Wirkung, aber . . .
Das Forscherteam hat für die Studie die Sequenzen von wichtigen Virus-Bindungsproteinen (Hämagglutinin) gesammelten Virusproben analysiert, um zu ermitteln, wie schnell sich das Virus in verschiedenen Teilen der Welt sowohl bei Wildvögeln als auch bei Hausgeflügel entwickelte.
Dabei kam heraus, dass die Übertragung von Wildvögeln auf nicht geimpftes Geflügel wie Enten, Gänse und Hühner häufiger vorkommt als auf geimpftes Geflügel. Das deute darauf hin, dass die Impfung tatsächlich helfe, die Ausbreitung einzudämmen.
Stärkere Selektion durch Impfstoffe
Allerdings stellen die Forscher fest, dass in Ländern, in denen Geflügel gegen Vogelgrippe geimpft wird – insbesondere in China – eine schnellere Virus-Evolution zu sehen ist als in Ländern ohne eine solche Impfung.
„Die chinesische Geflügellinie könnte im Vergleich zu anderen Linien eine stärkere Selektion durch Impfstoffe erfahren haben“, heißt es in der Studie. Das Virus passt sich an, um der durch die Impfstoffe verliehenen Immunität zu entgehen.
Gefährliche Virus-Anpassungen
Virus-Anpassungen können dazu führen, dass das Virus virulenter wird oder leichter auf andere Arten überspringen kann. So gibt es Befürchtungen, dass das H5N1-Virus mutieren und dann dauerhafte von Mensch zu Mensch übertragen werden könnte, was bisher noch nicht beobachtet worden ist.
Eine in „Science“ erschienene Studie kam im Dezember aber zu dem Schluss, dass schon der Austausch eines einzigen Virusproteins es H5N1 leichter machen könnte, an menschliche Zellen anzudocken.
Führen Massen-Impfungen zu schnellerer Virus-Evolution?
Bingying Li und Kollegen weisen darauf hin, dass ihre Erkenntnisse nicht zwangsläufig bedeuten, dass die massenhafte Impfung von Geflügel direkt zu einer schnelleren Virusevolution führte. „Unser Ergebnis stellt keinen kausalen Zusammenhang her, und es sind weitere virologische Untersuchungen erforderlich, um diese Hypothese direkt zu testen“, schreiben sie.
In ihrer Untersuchung geben sie auch detailliert an, welche Länder Impfprogramme gegen Vogelgrippe eingeführt haben. Demnach wies im Jahr 2010 Ägypten die höchste Impfrate auf (82 Prozent des Geflügels), gefolgt von China (73 Prozent im Jahr 2009), Vietnam (31 Prozent) und Indonesien (12 Prozent). Auch Bangladesch, Frankreich und die Niederlande hätten geimpft, die beiden Letztgenannten aber sehr wenig (unter 0,1 Prozent).
Impfungen gegen Vogelgrippe seit 2023 in der EU zugelassen
Nach Angaben des Friedrich-Loeffler-Instituts, des Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit, sind Impfungen gegen hochpathogene Vogelgrippe in der Europäischen Union seit 2023 zugelassen. Werden Infektionen bei Geflügel bemerkt, werden die Tiere der betroffenen Haltung getötet und beseitigt.
„Da die Vogelgrippe nach wie vor eine große Herausforderung für Wild- und Haustiere darstellt, kann unsere Forschung zur Entwicklung von Präventivmaßnahmen gegen Vogelgrippe beitragen, wie zum Beispiel einer globalen Impfpolitik“, resümieren die Forscher.