Bundestagswahl 2025
Von Bibern und Bundeskanzlern
Was haben Friedrich Merz und Olaf Scholz gemeinsam? Und könnten die schwierigen Koalitionsverhandlungen in Österreich darauf hindeuten, was in Deutschland dräut? Journalisten unserer Zeitung diskutierten am Donnerstagabend im Haus der Architekten.
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© Lichtgut/Max Kovalenko
Die beiden Parlamentskorrespondenten von Stuttgarter Zeitung und Nachrichten, Tobias Peter und Rebekka Wiese diskutierten mit StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs, der Journalistin Ursula Weidenfeld und dem Kommunikations- und Politikwissenschaftler Frank Brettschneider (von links) vor 120 Zuhörern im Haus der Architekten in Stuttgart.
Von Annika Grah
War das der „Laschet-Moment“ für Olaf Scholz? Warum sind die Umfragen zur Bundestagswahl seit Wochen wie festgetackert? Und was sind nach dem erbitterten Migrations-Streit im Bundestag eigentlich die Optionen nach dem 23. Februar? Die Ereignisse des Tages – der mutmaßlich islamistische Anschlag eines Asylbewerbers auf eine Demonstration in München – wirkten noch nach bei der Diskussionsveranstaltung der „Stuttgarter Zeitung“ und „Stuttgarter Nachrichten“ am Donnerstagabend im Haus der Architekten in Stuttgart.
Das Thema bleibt gesetzt
„Was die politische Debatte betrifft, wird es keine neuen Argumente geben dadurch“, erwartet Kommunikations- und Politikwissenschaftler Frank Brettschneider. „Dieses Ereignis verschiebt den Kampf um Themen wieder in Richtung Migration.“ Damit werde sich der Diskussionsraum kurz vor der Wahl auch nicht für andere Themen öffnen, sagt er und liefert damit schon einen Teil der Antwort auf die Frage mehrerer Zuhörer, warum weder Wirtschaft noch Klimaschutz oder Europa eine Rolle im Wahlkampf spielen.
Unter dem Titel „Die Wahl 2025 – Zeitenwende für Deutschland?“ diskutierte Chefredakteur Joachim Dorfs mit Frank Brettschneider, der Journalistin Ursula Weidenfeld und den Parlamentskorrespondenten unserer Zeitung, Rebekka Wiese und Tobias Peter, auch das zweite Thema des Tages: die Vorwürfe gegen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der den Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) als „Hofnarr“ seiner Partei bezeichnet hatte.
Die Journalisten Ursula Weidenfeld und Tobias Peter waren sich einig in der Feststellung, dass Scholz kein Rassist ist. „Olaf Scholz ist unfassbar überheblich und diese Überheblichkeit äußert sich in verschiedenen Situationen“, sagte Weidenfeld. Das sei ihm zum Verhängnis geworden. Erstaunlicherweise habe er genau damit 2021 Erfolg gehabt, als er im politischen Berlin völlig allein stand mit der Meinung, er werde sicher Bundeskanzler. Ein Charakterzug, den er mit Friedrich Merz (CDU) teilt, so ihr Urteil. „Wir haben zwei Kanzlerkandidaten, die beide ausstrahlen, dieses Amt steht mir zu.“
Doch auch dieses Ereignis dürfte nach Einschätzung von Parlamentskorrespondentin Rebekka Wiese keine Bewegung in den Wahlkampf bringen. „Insgesamt ist dieser Wahlkampf faszinierend undynamisch“, stellt sie fest. Der Wahlforscher Brettschneider erklärt die Trägheit der Umfragewerte mit dem hohen Anteil unentschiedener Wähler. Wie die sich entscheiden, werde sich kurzfristig zeigen. Es werde sehr stark darum gehen, welches Thema im Augenblick der Wahlentscheidung leicht verfügbar sei und den Ausschlag gebe, sagt Brettschneider. Instrumente wie der Wahl-O-Mat böten nur eingeschränkt eine Entscheidungshilfe. In Umfragen gäben rund 40 Prozent an, dass sie vom Ergebnis überrascht seien. Das sei aber für die meisten kein Grund, anders als geplant zu wählen. Die Möglichkeit der doppelten Gewichtung einzelner Fragen sorge für starke Abweichungen, erläuterte Ursula Weidenfeld und sorgte damit für Heiterkeit. Wer den Paragraf 218 nicht abschaffen wolle, lande automatisch in der Werteunion, mit der Gewichtung der Frage „Wollen Sie Biber erschießen?“, habe man im Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl 2021 sicher die AfD herausbekommen.
Österreich als Blaupause?
Und nach der Wahl? Einen Zuhörer bewegt die Frage, ob Österreich mit dem Wahlsieg der rechtspopulistischen FPÖ eine Blaupause werden könne. Das sei ja nun gerade gescheitert, scherzt Brettschneider, um dann ernsthaft hinzuzufügen: „Wenn man das nicht hinbekommt auch in einer demokratischen Mitte über den eigenen Schatten zu springen und Kompromisse zu finden, dann wird es schwierig.“ Da sei Österreich genauso die Blaupause wie Frankreich, Italien oder die Niederlande. Tobias Peter schätzt die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwann zu Koalitionen mit der AfD kommt, nicht gering ein. Er sagt: „Vielleicht schauen Historiker am Ende irgendwann mal auf diese Bundestagswoche und werden sagen, das war doch der Anfang dazu, weil diese Tür einen Spalt weit aufgemacht wurde.“ Doch dieses Mal, so die Erwartung von Brettschneider, sei eine Koalition mit der SPD unter einem Bundeskanzler Friedrich Merz am wahrscheinlichsten. Auch Rebekka Wiese glaubt, dass Deutschland noch aus der Mitte regierbar ist, das hätten alle Parteien auch nach der Migrationsdebatte betont. „Nach der Wahl werden alle wieder abrüsten.“ Wenn Friedrich Merz allerdings bei der Migration rote Linien ziehe, würden Kompromisse nicht einfacher.
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© LICHTGUT/Max Kovalenko
„Die Wahl 2025 – Zeitenwende für Deutschland“? Lautete der Titel der Veranstaltung von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten
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© LICHTGUT/Max Kovalenko
Parlamentskorrespondentin Rebekka Wiese im Gespräch mit StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.
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© LICHTGUT/Max Kovalenko
Auch der Leiter des Berliner Büros, Tobias Peter, war extra nach Stuttgart gereist.
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© LICHTGUT/Max Kovalenko
Rund 120 Zuschauer kamen trotz der winterlichen Witterungsverhältnisse ins Haus der Architekten in Stuttgart.
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© LICHTGUT/Max Kovalenko
Die Journalistin und Kolumnistin Ursula Weidenfeld sorgte für Heiterkeit mit ihren Berichten über Erfahrungen mit dem Wahl-O-Mat.
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© LICHTGUT/Max Kovalenko
Der Politikwissenschaftler Frank Brettschneider (rechts) ordnete Ergebnisse aus der Wahlforschung ein.
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© LICHTGUT/Max Kovalenko
Die Zuschauer beschäftigte die Frage, warum Themen wie Wirtschaft oder Klimaschutz im Wahlkampf kaum eine Rolle spielen.