Von der Sporthalle an den Bankschalter
Karrieren abseits des Sports (3): Der Backnanger Olympiaturner Sebastian Krimmer lässt keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass es für ihn der völlig richtige Schritt war, seine Sportklamotten mit dem feinen Zwirn zu tauschen.
Von Uwe Flegel
„Es ist schön, Zeit für Dinge zu haben, die früher aus Termingründen nicht machbar waren oder für die ich einfach zu fertig war.“ Sebastian Krimmer spürt sofort den leicht überraschten Blick und erklärt: „Seit ich arbeite, ist am Freitag Schluss, und danach steht bis Montag vor allem die Familie im Mittelpunkt.“ Ganz offensichtlich lässt eine Ausbildung zum Finanzassistenten im Bankbereich ein wenig mehr Freiraum als das Dasein als deutscher Spitzenturner, der viele, viele Wochenenden des Jahres bei Wettkämpfen in irgendwelchen deutschen und internationalen Sporttempeln verbringt.
Wobei das Mehr an Freizeit nicht daran liegt, dass das frühere Mitglied des deutschen Nationalteams am Bankschalter nichts zu tun hätte, stellt Krimmer klar. Den Unterschied machen der Trainingsaufwand und die Herausforderungen, die ein Turner bewältigen muss, der an Olympischen Spielen, an Welt- sowie Europameisterschaften teilgenommen und deutsche Meisterschaften gewonnen hat. „Wenn du einen gewissen Leistungsstand erreicht hattest, war ja nicht Schluss. Du musstest dich ständig weiterentwickeln. Irgendwo auf der Welt gibt’s immer einen, der sich ein neues Übungsteil, einen noch höheren Schwierigkeitsgrad einfallen lässt“, berichtet der 30-Jährige.
Leistungsdruck gibt es für den gebürtigen Backnanger zwar nun auch im Beruf, im Vergleich zur Zeit im Spitzensport ist der aber geringer. Überhaupt profitiert er für die Arbeit bei der Kreissparkasse bei Faktoren wie Zielstrebigkeit, Ehrgeiz, Durchhaltevermögen und Fokussierung auf ein Ziel vom einstigen Dasein als Topturner: „Im Profisport geht nichts nebenher“, weiß der Pauschenpferd- und Barrenspezialist, der mit Deutschland bei der Mannschafts-WM vor zehn Jahren in Rotterdam Bronze gewann. Um solche Erfolge und Teilnahmen an sogenannten Einzelfinals sowie Top-Acht-Plätze mit dem Nationalteam feiern zu können, hat er viel investiert. Von klein auf ging es unter der Woche um 6 Uhr vom Elternhaus in Richtung Schule und Turnhalle in Stuttgart. Erst gegen 20 Uhr war er wieder daheim im Murrtal. Ein zeitlicher Aufwand, der sich merklich verringert hat, seit der Geschäftsanzug tagsüber die Turnklamotten ersetzt. Wobei, ganz ohne die geht es immer noch nicht. Als Trainer und Turner im Drittliga-Team steht er bei der TSG weiterhin dreimal pro Woche in der Halle, sofern das nicht irgendeine Coronabeschränkung gerade verhindert.
Sebastian Krimmer lässt keinen Zweifel daran, dass für ihn der Schritt ins Berufsleben richtig war. Er sagt sogar: „Für mich war’s der perfekte Zeitpunkt. Es ist schön, morgens mal ohne Schmerzen aufzustehen.“ Und er hat deutlich mehr Zeit für seine Ehefrau Johanna und den kleinen Flynn. „Seine Geburt hat mir das Aufhören auf jeden Fall erleichtert.“ Dafür nimmt er gern in Kauf, bis zur Abschlussprüfung im Mai wieder die Schulbank drücken zu müssen, statt in einem Kraftraum regelmäßig Hanteln stemmen zu dürfen. Zumal der 30-Jährige mit den meist deutlich jüngeren Schulkameraden gut klarkommt. „Klar gab’s und gibt’s da schon mal einen blöden Spruch, aber ich bin ja auch nicht gerade auf den Mund gefallen“, sagt er lächelnd, profitiert dabei sicher auch von seinen Erfahrungen als Trainer bei den Backnanger Turnern und weiß: „Es gibt auch viele, die an einem durchaus hochschauen.“ Die Zahl an WM-Medaillengewinnern, an Olympiastartern, an deutschen Meistern im Rems-Murr-Bankengewerbe geht zwar einerseits nicht unbedingt gegen null, ist andererseits aber überschaubar.
Das mit dem Überblick ist allerdings für den ehemaligen Nationalturner selbst bei der Karriere nach dem Sport in einem Punkt nicht ganz so einfach, wie er grinsend gesteht: „Was mir wirklich noch schwerfällt, das ist die Freiheit bei der Urlaubsplanung.“ So etwas kannte er in den vielen Jahren als Spitzensportler nicht, bestimmte da doch der Kalender der deutschen und internationalen Turnwelt weitgehend seine Termine. Wer den oftmaligen BKZ-Sportler des Jahres allerdings kennt, der weiß, dass er das Problem mit der neuen Freizeit recht schnell in den Griff bekommt. Falls nicht, helfen ihm seine Frau und der noch nicht ganz zwei Jahre alte Flynn sicher gerne dabei.
In der Serie Karrieren abseits des Sports stellen wir regelmäßig Athleten aus der Region in ihrem Berufsalltag vor. Dabei geht es zum einen um bekannte Sportler in ihrem Beruf, zum anderen um solche, die einen ungewöhnlichen Beruf ausüben oder in ihrem Job besonders erfolgreich sind. Weitere Sportler mit interessanten oder ungewöhnlichen Berufen können sich unter sportredaktion@bkz.de melden.