Auf Pilzsuche im Wald
Manfred Krautter ist Pilzsachverständiger. Er weiß, wo im Wald er fündig wird, wenn er mal wieder Lust auf eine Pilzpfanne hat – und welche Pilze überhaupt hineindürfen.

Manfred Krautter freut sich über ein besonders schönes Exemplar des Maronenröhrlings – ein wohlschmeckender Speisepilz, der roh allerdings giftig ist. Fotos: Melanie Maier
Von Melanie Maier
Welzheim. Mit Manfred Krautter braucht man nicht lange durch den Wald zu spazieren, um essbare Pilze zu finden. Nur wenige Schritte von dem Waldweg entfernt, auf dem er sein Auto geparkt hat, bückt sich der Pilzsachverständige der Deutschen Gesellschaft für Mykologie und dreht ein von der Knolle bis zum Hut komplett lilafarbenes Exemplar aus dem moosigen Waldboden. „Ein Violetter Lacktrichterling“, klärt der 65-Jährige aus Plüderhausen auf. „Er hat zwar keinen speziellen Eigengeruch, aber man kann die Hüte gut in einer Suppe mitkochen. Dann hat man was fürs Auge.“

© Melanie Maier
Um einen Pilz zu bestimmen, muss man an ihm riechen und ihn genau anschauen.
Keine zwei Meter weiter wachsen Pilze, die sich nicht fürs Abendessen eignen: Der gelbe Schwefelritterling kann Bauchweh und Übelkeit verursachen. Trotzdem dreht Krautter vorsichtig einen der Pilze aus dem Boden und riecht an der Hutunterseite. Der Schwefelritterling macht seinem Namen alle Ehre: Sein Geruch erinnert eindeutig an verfaulte Eier. „Um einen Pilz zweifelsfrei bestimmen zu können, muss man auch an ihm riechen“, sagt Krautter. Er kennt Pilze, die nach Marzipan, Stachelbeerkompott oder sogar Zigarren riechen. Die goldene Regel unter Pilzexperten lautet: Man muss sich zu 100 Prozent sicher sein, um welchen Pilz es sich handelt. „Wenn man sich nur zu 99 Prozent sicher ist, bleibt der Pilz im Wald stehen und wird nicht gegessen“, betont Krautter. Er schneidet einen Pilz nur dann mit dem Messer ab, wenn er sich ganz sicher ist, um welche Art es sich handelt. Ist das nicht der Fall, dreht er ihn vorsichtig ab – dann braucht er alle Merkmale des Pilzes, auch die Knolle, zur Bestimmung.
Der Orangefuchsige Raukopf zersetze die Nieren
Pilzsammlern empfiehlt er außerdem, sich ein aktuelles Fachbuch zuzulegen. Bis in die 60er-Jahre habe man beispielsweise alle Schleierlinge als essbar angesehen, sagt er. Erst, als in Polen mehr als 50 Menschen nach einer Hochzeitsfeier starben, bei welcher der Orangefuchsige Raukopf serviert worden war, änderten die Fachleute ihre Meinung. Gegen ihn, sagt Krautter, nehme sich der hochgiftige Grüne Knollenblätterpilz geradezu als Waisenkind aus. Der Orangefuchsige Raukopf zersetze die Nieren. Wegen seiner langen Latenzzeit von bis zu drei Wochen seien die Überlebenschancen verschwindend gering.

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Der Hallimasch ist bei Waldbesitzern nicht beliebt: Er zersetzt Holz.
Vor knapp zehn Jahren legte Krautter seine Prüfung zum Pilzsachverständigen ab. Sein Interesse an den eukaryotischen Lebewesen war aber schon früher geweckt worden: durch seine Schwiegermutter, die aus dem bayerischen Böhmerwald stammte. Sie begleitete er in den 80er-Jahren einmal zum Pilzesammeln in den Wald – und war fasziniert von der neuen Welt, die sich ihm eröffnete. „Aus meinem Elternhaus kannte ich das nicht“, erzählt Krautter. Die Schwaben, meint er, hätten generell wenig Ahnung von Pilzen.
Ungefähr 20 Jahre lang eignete er sich als Autodidakt mit Büchern Pilzwissen an, bis er schließlich einen Kurs an der Pilzschule Schwäbischer Wald belegte. Heute kann man ihn als Pilzsachverständigen kontaktieren, wenn man befürchtet, einen giftigen Pilz gegessen zu haben. Etwa zehn Anrufe bekommt er deshalb pro Jahr. „Es gibt nicht so viele Leute, die sich gut mit Pilzen auskennen. Ich wollte etwas an die Gesellschaft zurückgeben“, sagt Krautter, der neben seinem Hauptberuf – er ist Geologe und Paläontologe – auch noch als Naturparkführer im Schwäbisch-Fränkischen Wald unterwegs ist.
Da kann man stattdessen auch auf einem Bierdeckel herumkauen
Essbar seien eigentlich sehr viele Pilze, sagt er und biegt in einen Waldweg ein. „Essbar heißt aber nur: Ich könnte sie gefahrlos essen. Viele schmecken aber nicht. Da könnte man stattdessen auch auf einem Bierdeckel herumkauen“, vergleicht er. Er zeigt auf einen leuchtend gelborangen Pilz, der an eine Koralle erinnert. Den Klebrigen Hörnling, auch Ziegenbart genannt, könne man als hübsche Garnitur im Salat verwenden. „Er schmeckt aber nach nicht viel und kommt unten genauso wieder raus“, sagt der Pilzexperte. Als Speisepilze werden nur Pilze mit Eigenaroma bezeichnet, wie die bekannten Pfifferlinge, Champignons oder auch Steinpilze, die ihr Aroma allerdings erst entfalten, wenn man sie trocknet.
Letztere konnte man in den vergangenen Wochen zuhauf in den Wäldern des Rems-Murr-Kreises finden. Nach dem trockenen Sommer brachte der ergiebige Herbstregen eine regelrechte Pilzschwemme mit sich, weiß Krautter. Die Zeit des Steinpilzes sei zwar fast wieder vorbei, Speisepilze könne man aber das ganze Jahr über finden. Im Herbst sei die Vielfalt bloß am größten.
Im Januar zum Beispiel kann man den Mu-Err-Pilz, auch als Judasohr bekannt, sammeln. Er ist frostbeständig. Bei Krautter gehört er zwingend in die Pekingsuppe.
Um stets ein paar Speisepilze auf Vorrat zu haben, trocknet Krautter seine Schätze nicht nur mit dem Dörrgerät, sondern friert auch welche ein. Wenn er Lust auf Pilze hat, kocht er sich mit ihnen „ein schönes Sößle zum Braten“, ein Pilzomelette oder dicke Bandnudeln in einer Pilz-Sahne-Soße. „Das Beste ist eigentlich ein Mischgericht: wenn man 20 verschiedene Pilzarten auf einmal in der Pfanne kocht. Dann schalte ich die Dunstabzugshaube aus, damit das Aroma in der Wohnung bleibt“, verrät er. Und was in der Pfanne übrig bleibt, tunkt er mit einem Stück Weißbrot aus.
Kurse Wer Lust hat, selbst Pilze sammeln zu gehen, kann Kurse zum Beispiel bei der Pilzschule Schwäbischer Wald buchen: www.pilzschule-schwaebischer-wald.de.